Tiertherapie:Die Pferdeflüsterin

Lesezeit: 3 min

Wenn beispielsweise ein Pferd nicht von der Koppel will, dann wird Dorothea Wochner zu Sherlock Holmes. Wunder kann die Tierpsychologin nicht vollbringen, meist sind die Besitzer Teil des Problems.

Von Alexandra Vettori, Freising

Es hat sich schon in der Kindheit angedeutet: Da saß Dorothea Wochner stundenlang bei einem Pony und schaute ihm nur zu, wie es grasend über die Koppel zog. Mit zwölf Jahren bekam sie eine Reitbeteiligung bei einem ehemaligen Rennpferd, das schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht hatte und entsprechend schwierig war.

Jahre später war ein lammfrommes Tier daraus geworden, immer mehr Stallgenossinnen fragten Dorothea Wochner bei Problemen um Rat. Es folgten Fortbildungen und im vorigen Jahr hat die Freisingerin ihre Leidenschaft - die Beobachtung von und Kommunikation mit Tieren durch das Studium der Tierpsychologie - zum Beruf gemacht. Seither ist die ehemalige Bürokauffrau zertifizierte Pferde- und Hundeverhaltenstherapeutin.

Ohne den Besitzer geht es nicht

Viel habe sie von ihrer ersten Stute gelernt, erzählt die 33-Jährige. Der Schlüssel zum Erfolg? "Hinschauen, Zeit nehmen, Hineinfühlen, Beobachten - auch sich selbst." Da liegt oft die Crux, wenn ein Besitzer mit Pferd oder Hund nicht klar kommt. Ein Hund, der beißt oder nicht beim Frauchen bleibt, ein Pferd, das sich nicht von der Koppel holen lässt, vor jeder dunklen Ecke scheut, sich dem Satteln oder dem Hufschmied widersetzt oder in keinen Anhänger steigt, das sind die Probleme, mit denen die Leute zu Dorothea Wochner kommen.

Therapiehunde
:Chanel passt auf

Die elfjährige Leoni hat Diabetes, eine Krankheit, die tödlich enden kann. Doch sobald das Mädchen in den Unterzucker fällt, erschnuppert ihre Hündin die Unordnung im Stoffwechsel und bellt wie verrückt - aus Freude über den wunderbaren Duft

Von Karl Forster

Wenn sie dann Besitzer und Tier in ihrer Alltagsumgebung beobachtet, sieht sie meist früh, ob und wie der Tierhalter am Problem mitwirkt. Dass dieser willens ist, dies zu erkennen, sei die Grundvoraussetzung für eine gelungene Therapie, betont sie. Dorothea Wochner hat aber auch gelernt: "Viele Besitzer wollen nicht wahr haben, dass sie mit den Problemen etwas zu tun haben."

Übertriebener Ehrgeiz

Haupteinsatzgebiet von Dorothea Wochner sind Reitställe. Kommt sie zu einem vierbeinigen Klienten, schaut sie sich erst einmal dessen Lebensraum an; die Box, die Koppel, sein Futter. Dann untersucht sie die körperliche Verfassung des Tieres, tastet Muskeln ab, schaut, ob es sich gerne anfassen lässt. Stellt sie körperliche Probleme fest, verweist sie an Tierärzte, Chiropraktiker oder Hufschmiede. Das sei nicht ihr Metier, die Entwicklung aber begleitet sie. Trense und Sattel nimmt sie unter die Lupe, oft drückt etwas und führt zur Abwehr beim Pferd. Auch dessen Vorgeschichte hört sie sich an. "Irgendwann ergibt es dann ein Bild, dann weiß ich, es geht in diese Richtung." Das sei sehr spannend erzählt sie, "wie bei Sherlock Holmes".

Die moderne Reiterei, räumt Wochner ein, habe sich im Vergleich zum früheren Drill deutlich zum Guten gewandelt. Dennoch stellt sie immer wieder übertriebenen Ehrgeiz bei den Reitern fest, bei Dressurübungen etwa, oft ausgelöst durch den Pferdeleistungssport. "Da findet teilweise eine richtige Gehirnwäsche über die Medien statt", erzählt sie. Wer das nicht glaube, der solle beim Fernsehen mal den Ton ausschalten und genau hinschauen. Sind körperliche Ursachen für das tierische Fehlverhalten ausgeschlossen, geht es an die Beziehung von Reiter und Tier.

"Wenn ich schief bin, wird auch das Pferd schief"

Dorothea Wochner erstellt einen individuellen Therapieplan oder rät dem Reiter, selbst einen Physiotherapeuten aufzusuchen. "Wenn ich schief bin, wird auch das Pferd schief", sagt sie. Mit ihrem Wallach Soprano, einem siebenjährigen Hannoveraner, den sie selbst ausbildet, führt sie vor, wie eine perfekte Beziehung aussieht. Der Braune strotzt vor Freude und Wohlbefinden, lässt sein Frauchen nicht aus den Augen, als er ohne Strick und Halfter mit ihr in der Halle spielt. Leckerlis sind für Dorothea Wochner kein Problem. "Wenn wir arbeiten, wollen wir am Ende des Monats ja auch Lohn." Allerdings setzt sie eher auf Karotten als auf gekaufte Pellets.

Es sei viel Wissen um das Wesen der Pferde verloren gegangen, viel werde gemacht, weil es immer so war. Links Aufsteigen, sei so ein überholter Lehrsatz, erzählt sie. "Das kommt aus der Zeit, als man noch einen Säbel trug." Sie rät Reitern, mehr auf die eigenen Gefühle zu vertrauen und sich nicht von Lehrmeinungen und Erziehungsmoden verunsichern zu lassen.

Dorothea Wochner hat kein Problem, als Pferdeflüsterin bezeichnet zu werden, solange damit nicht die Erwartung verbunden ist, sie vollbringe Wunder. "Schwierigkeiten", sagt sie, "löst man nicht durch Wunder. Sondern durch Beobachtung, Gespür und Pferdeverstand."

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: