SZ-Adventskalender:Die Altersarmut nimmt zu

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Auch in der Boomregion Dachau leben Rentner, die von Armut betroffen sind. (Foto: Catherina Hess)

Immer mehr ältere Menschen kommen mit ihrer Rente kaum über die Runden, davon sind überwiegend Frauen betroffen. Sobald Sonderausgaben anfallen, wie zum Beispiel ein kaputter Kühlschrank, geraten sie in Not und brauchen Hilfe.

Von Gudrun Regelein, Freising

Seit etwa zehn Jahren kennt Günter Miß, der Leiter der Sozialen Beratung der Caritas Freising, Frau Richter (Name geändert) nun schon. Die 78-jährige Frau lebt seit einiger Zeit alleine, ihr Mann hat sie verlassen. Das war kurz nachdem sie an Krebs erkrankte, ihr Mann kam mit der Situation einfach nicht mehr zurecht. Zwar habe sich die alte Dame inzwischen damit arrangiert, alleine zu sein, erzählt Günter Miß, aber ihre angespannte finanzielle Lage belaste sie sehr. Früher konnte das Paar mit der Rente des Mannes irgendwie auskommen, nun aber bekommt Frau Richter nur noch gut 200 Euro Rente. Zwar werde diese durch Grundsicherung im Alter aufgestockt, aber die 399 Euro im Monat, von denen die alte Dame nun leben muss, seien nicht gerade viel, sagt Günter Miß. "Wir haben das einmal ausgerechnet. Das sind etwa zehn Euro täglich."

Frau Richter ist kein Einzelfall, immer wieder kommen Menschen, denen im Alter ihr Geld nicht zum Leben ausreicht: Etwa 100 über 65-jährige Klienten suchen jedes Jahr in der Soziale Beratung Hilfe. Vor allem Frauen seien das, denn diese hätten wegen Erziehungszeiten oder da sie häufig nur in geringfügigen Jobs beschäftigt waren, häufiger als Männer Brüche im Erwerbsleben - und damit eine geringere oder auch gar keine Rente. Immer häufiger aber kämen auch "klassische Gastarbeiter", Migranten, die seit vielen Jahren in Deutschland lebten.

Dass die Altersarmut auch bei der Diakonie ein brisantes Thema ist, sagt Susanne Noller von der Kirchlichen Allgemeinen Sozialarbeit (Kasa). Vor allem Frauen seien betroffen, "viele, die kommen sind bereits in einer Notlage", berichtet die Sozialpädagogin. Denn die Hürde, Hilfe in Anspruch zu nehmen, sei sehr groß. Viele würden lieber eisern sparen und knapsen - beispielsweise im Winter nur ein Zimmer heizen oder sich trotz einer Diabetes nicht abwechslungsreich, sondern nur von Kartoffeln und Nudeln ernähren. Dennoch steige die Zahl der Rentnerinnen, die in der Kasa um Hilfe bitten. "Viele können sich nicht einmal Kleinigkeiten leisten, wie den neuen Bademantel, der für einen Krankenhausaufenthalt gebraucht wird", erzählt Susanne Noller. Bei vielen werde dann auch im Laufe der Gespräche deutlich, dass sie einsam sind: Einen Besuch im Caféhaus oder Essengehen könnten sich diese Senioren nicht leisten. "Zwischen Einsamkeit und Altersarmut besteht sicher ein Zusammenhang", sagt Susanne Noller.

Zu der Tafel in Freising, die an bedürftige Menschen Ware verteilt, kommen derzeit 44 über 65-jährige Rentenbezieher - auch hier sind es überwiegend Frauen. Der Vorsitzende Peter Bach vermutet, dass es eigentlich noch viel mehr Rentner gibt, die bedürftig sind und eigentlich bei der Tafel einkaufen dürften. "Die Dunkelziffer ist sicherlich hoch." Viele aber schämten sich zu kommen, "weil sie sich dann outen würden", sagt Bach.

Geld von anderen anzunehmen falle ihr sehr schwer, sagt Frau Lange (Name geändert). Irgendwie sei sie immer über die Runden gekommen. "Es darf halt nichts passieren", sagt die 82-Jährige. Mit ihrer nur sehr geringen Rente, die durch Grundsicherung im Alter aufgestockt wird, ist es ihr aber nicht möglich, etwas für Notfälle anzusparen. Mitte November ging nun der Kühlschrank der alten Dame kaputt. Frau Lange war sehr verzweifelt, sie wusste nicht, woher sie das Geld für einen neuen nehmen sollte. Eine Nachbarin lieh ihr etwas, wie sie das zurückzahlen soll, weiß Frau Lange noch nicht. Der "Adventskalender für gute Werke", das Spendenhilfswerk der Süddeutschen Zeitung, will Frau Lange nun unterstützen. Frau Lange ist aber kein Einzelfall: Im Landkreis Freising lebten im September 280 Bezieher - darunter 191 Frauen - von der Grundsicherung im Alter. Derzeit beträgt der monatliche Regelsatz für Alleinstehende 399 Euro, dazu kommen dann noch einmal "angemessene" Mietkosten. Günter Miß von der Caritas ist aber davon überzeugt, dass es im Landkreis noch viel mehr arme Rentner gibt, die eigentlich eine finanzielle Unterstützung in Anspruch nehmen könnten. "Die versuchen, irgendwie alleine über die Runden zu kommen." Aber auch diejenigen, die sich an der Grenze zur Grundsicherung befänden, seien mit Sonderausgaben, wie für Heizöl oder den Ersatz für eine zerbrochene Brille, vollkommen überfordert.

© SZ vom 05.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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