SZ-Adventskalender:Der tägliche Kampf

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Viele Familien leben knapp über der Armutsgrenze und sind in ständiger Sorge, ob das Geld reicht

Von Clara Lipkowski, Freising

Anna Schmidt (Name von der Redaktion geändert) ist eine stolze Frau. Sie will unabhängig sein und es alleine schaffen, ihre zwei Söhne großzuziehen. Dafür geht sie Vollzeit in der Gastronomie arbeiten, während die elf- und 14-jährigen Buben in der Schule sind. Mit ihrem Einkommen und dem Unterhalt, den sie vom Vater der Kinder bekommt, rettet sie sich von Monat zu Monat. "Sie hat immer Wert darauf gelegt, keine Aufstockung zu bekommen", sagt Markus Mehner von der Caritas Freising, der die Familie als Sozialberater betreut.

Viele Familien im Landkreis leben in der ständigen Sorge, dass das Geld nicht reicht. Als arm gilt in Deutschland, wer als Single weniger als 990 Euro netto im Monat verdient. Und wer arm ist, hat Angst vor Ausgrenzung. "Für viele ist es ein Problem, darüber zu sprechen", sagt Markus Mehner, "denn das Thema ist immer noch mit Scham besetzt." Viele wagten gar nicht den Gang zum Jobcenter, um eine Aufstockung zu beantragen, aus Furcht, die eigene Lebenssituation zu offenbaren. So war es auch bei Anna Schmidt Sie wollte nicht um Hilfe bitten.

Beate Drobniak, die für das Diakonische Werk Freising arbeitet, kennt die Lage der Bedürftigen. (Foto: Marco Einfeldt)

"Dem entgegen steht das Problem, dass viele Menschen mit wenig Geld von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen werden", sagt Mehner. Einfach mal ins Café gehen, mehrere Paar Schuhe kaufen? Undenkbar. So auch im Fall von Anna S. Einmal traf der Geldmangel auch ihren Sohn. Eine Klassenfahrt stand an. Woher aber sollte sie die bezahlen?, fragte sie sich. Schweren Herzens ging sie zur Sozialberatung der Caritas. Eine Prüfung ihres Einkommens ergab: Eine Aufstockung kann sie gar nicht bekommen. Sie verdient zu viel. Das klingt paradox, doch sie errechnet sich aus mehreren Faktoren, darunter Gehalt, Unterhaltszahlungen und Kindergeld. Daraus wird der Bedarf ermittelt. Anna Schmidt lag knapp über der Grenze der Bedürftigkeit. Hilfe vom Jobcenter ausgeschlossen. Auch Angebote aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, das Kosten für Klassenfahrten erstattet, konnte die Alleinerziehende nicht nutzen. Als die Waschmaschine kaputt ging, stand die Mutter vor dem Problem: Wie finanziere ich die Reparatur?

Beate Drobniak arbeitet für das Diakonische Werk Freising und kennt die Situationen bedürftiger Menschen im Landkreis gut. Sie weiß von Familien, die nicht genug Geld haben, um sich gesund und abwechslungsreich zu ernähren. "Da kommen dann eben jeden Tag Nudeln mit Sauce auf den Tisch, berichtet sie. Einige Kinder hätten nur ein Paar Schuhe und nicht wie andere gleich mehrere. Der Gang zur Tafel sei häufig notwendig, auch wenn viele Familien aus Scham nicht um Essen bitten wollten. Hinzu komme der bürokratische Stress, den der Gang zum Jobcenter auslösen kann.

Davon weiß eine sechsköpfige Familie im Landkreis zu berichten. Der Vater hat einen zweiten Job angenommen, weil der Verdienst seiner Arbeit in der Frachtabfertigung nicht reicht. Also geht er noch putzen. Seine Frau besucht zurzeit einen Deutschkurs. Sie ist aus dem EU-Ausland hergezogen und will, wenn ihr Deutsch gut genug ist, schnell Zugang zum Arbeitsmarkt finden. So weit ist sie aber noch nicht. Deswegen bekommt die Familie finanzielle Unterstützung vom Jobcenter, was die Situation nicht unbedingt leichter gemacht hat.

Da das Einkommen des Vaters mal mehr, mal weniger abwirft, wird monatlich die Hilfszahlung angepasst. Das kann bedeuten, dass plötzlich Geld auf dem Konto fehlt - weil eine Zahlung nachträglich gekürzt und vom Konto abgezogen wurde. Manchmal kommt es vor, dass plötzlich ein bisschen mehr drauf ist als gedacht. "Dadurch hat die Familie keinen Überblick über die eigenen Finanzen", sagt Drobniak. "Wer nicht weiß, wie viel er noch ausgeben kann, gerät schnell in die Schuldenfalle." Das wäre für die Familie eine Katastrophe, denn schon jetzt reicht es vorne und hinten nicht.

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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