Bildung:Harsche Kritik an Reformplänen

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Musik spielt bei der kognitiven Entwicklung von Kindern eine große Rolle. (Foto: Robert Michael/dpa)

Das Kultusministerium wird den Stundenplan an den Grundschulen überarbeiten. Als Folge werden wohl Stunden in den künstlerischen Fächern gekürzt. Im Landkreis Freising stößt das auf Unverständnis.

Von Gudrun Regelein, Freising

Es sei eine vollkommen falsche, eine drastische Entscheidung, sagt Freisings Kulturreferentin Susanne Günther (Grüne). Bei den künstlerischen Fächern Stunden zu streichen, sei kontraproduktiv. "Es ist schließlich erwiesen, dass Musik bei der Entwicklung der Kinder eine wichtige Rolle spielt." In Bayern wird wohl aber genau das passieren: Als Reaktion auf die extrem schlechten Ergebnisse deutscher Schülerinnen und Schüler bei der jüngsten Pisa-Studie wird im Freistaat der Stundenplan für Grundschulkinder reformiert.

Vom kommenden Schuljahr an wird es in jeder Jahrgangsstufe eine zusätzliche Stunde Deutsch geben, in der ersten und vierten Jahrgangsstufe jeweils eine weitere Mathematikstunde. Die Gesamtstundenzahl aber wird nicht steigen, die Schulen sollen flexibel umschichten können. Als Ausgleich kann in den Fächern Kunst, Musik und Werken oder auch Englisch gekürzt werden - das Fach Religion aber wird nicht angetastet.

Musische Fächer sind ein Gewinn

Dass bei den musischen Fächern gekürzt werden soll, hält Sabine Jackermaier, Rektorin der Grundschule Freising am Steinpark, für falsch. "Da fehlen mir buchstäblich die Worte." Für die persönliche Entwicklung eines Kindes seien die musischen Fächer mehr als ein Gewinn, betont sie. An ihrer Schule gibt es in den Jahrgangsstufen drei und vier eine Streicherklasse, die Resonanz der Eltern sei durchweg positiv. "Wir werden bereits bei der Einschulung danach gefragt."

Es gehe aber nicht nur darum, dass Kinder ein Instrument erlernen können, sagt die Rektorin. "Das Gemeinschaftsgefühl wird gestärkt, wenn alle gemeinsam ein Musikstück zum Klingen bringen. Gegenseitige Achtsamkeit, Rücksichtnahme, auch Inklusion werden nebenbei erlernt und angewendet." Musik und Kunst seien ein absolut wichtiger Bereich, den Kinder ohne Druck erfahren sollen. "Ich möchte auf keinen Fall eine Kürzung im Bereich Musik vornehmen."

Eine Stundenaufstockung in den beiden Grundlagenfächern, vor allem in Deutsch, sei aber dennoch ein Schritt in die richtige Richtung. "Das bietet die Möglichkeit, Unterrichtsinhalte mehr zu vertiefen, intensiver zu üben und damit zu festigen", sagt Jackermaier. Wenn dafür umgeschichtet werden muss, könnte die dritte Stunde Religion, die es in den Jahrgangsstufen drei und vier gibt, gestrichen werden. "Es geht ja nicht darum, Religion aus der Stundentafel zu löschen", betont Jackermaier. "Meiner Meinung nach wäre hier aber eine sinnvolle Kürzung leicht machbar." Feedback von den Eltern ihrer Schule zu der Stundentafel-Reform gibt es bereits, und zwar ein großes, berichtet die Schulleiterin: "Größter Punkt des Unverständnisses sind die drei Stunden Religion, an denen festgehalten wird."

Die schönen Fächer bieten eine Auszeit

Auch der Vater eines Grundschulkindes, der anonym bleiben will, kann nicht nachvollziehen, dass gerade das Fach Religion unantastbar sein soll. "Ob drei oder zwei Stunden ist doch nicht entscheidend - auch zwei sind ausreichend", sagt er. Musik, Handarbeiten oder Werken, die schönen Fächer, seien wichtig. "Nicht nur, weil sie den Kindern Freude machen." Sie böten auch eine Auszeit, eine willkommene Abwechslung zu dem theoretischen Unterricht, sagt der Vater.

Kerstin Rehm, Kreisvorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), sieht das genauso: Musik, Kunst und Werken dürften auf keinen Fall gestrichen werden. "Das brauchen die Kinder." Schule dürfe nicht vollkommen verkopft werden, es dürfe in der Grundschule nicht nur um Selektion gehen. Freude am Lernen, das Miteinander sei wichtig. Neben dem Kognitiven komme dem Kreativen eine wichtige Rolle zu.

Auch bei Englisch oder Religion könnte gestrichen werden

Der BLLV-Kreisverband hat Vorschläge, wie die Mehrstunden für Deutsch und Mathe geschaffen werden können: Zum einen könnte Englisch, dem in der Grundschule noch keine so große Bedeutung zukomme, gestrichen werden. "Zumindest eine der beiden Stunden, die in der dritten und vierten Klasse derzeit auf dem Stundenplan stehen", sagt Rehm. Oder man könnte eine der drei Religionsstunden in der dritten und vierten Klasse auf den Nachmittag legen. Ganz gestrichen werden dürfte das Fach Religion aber auf keinen Fall, betont Rehm. Gar keine Stunden zu streichen und die Gesamtstundenzahl aufzustocken - wie bereits gefordert wird - aber sei angesichts des schon jetzt eklatanten Lehrermangels definitiv nicht möglich.

Dass zukünftig die kreativen Bildungsthemen vernachlässigt werden, kann auch der Leiter der Musikschule Freising, Odilo Zapf, nicht verstehen: "Es ist doch mittlerweile erwiesen, dass Musik, die Kunst, wichtig für die kognitive Entwicklung eines Kindes sind." Das Musizieren stärke neben sozialen Fähigkeiten auch die Konzentrations- und die Lernfähigkeit. Und sei hilfreich für die Entwicklung von Sprachfähigkeiten und beim Lernen neuer Wörter. "Wenn beispielsweise im Deutschunterricht Lieder gesungen werden, kann sich der Spracherwerb verbessern", berichtet Zapf. Eigentlich müssten die künstlerischen Fächer sogar noch gestärkt und nicht gestrichen werden - aber für diese habe sich offensichtlich in der Politik kein Fürsprecher gefunden, für Religion dagegen schon. "Das ist bedauerlich."

Kulturreferentin Susanne Günther ist sich sicher, dass die Entscheidung zugunsten der Religion dem internen Machtkampf zwischen Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) geschuldet war. "Söder wollte zeigen, dass er das eigentliche Sagen hat - deshalb wurde das Fach Religion nicht angetastet", sagt sie.

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