Kinderbetreuung:Ein trauriger erster Platz

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Kindertagesstätten und damit Plätze gibt es in der Stadt Freising genügend - aber die Erzieherinnen und Erzieher, um die Kinder zu betreuen, fehlen. (Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Nirgendwo in Bayern fehlen laut der "Initiative für Freisings Kinder" so viele Betreuungsplätze wie in Freising. Für die Stadt ist deren Berechnung jedoch nicht nachvollziehbar. Noch immer stehen 680 Familien auf der Warteliste. Sie haben für das laufende Kita-Jahr keine Zusage bekommen. Es werden wohl mehr werden.

Von Gudrun Regelein, Freising

Noch ein paar Tage - bis zum 12. März - läuft die Anmeldung für das neue Kita-Jahr. Aber schon jetzt ist sicher, dass sich die Situation in Freising nicht verbessern wird, dass nicht alle Kinder einen Platz bekommen werden. Noch immer stehen etwa 680 Familien auf der Warteliste, sie haben für das laufende Kita-Jahr keine Zusage bekommen. "Diese schon jetzt eklatant hohe Zahl wird sich wohl noch einmal deutlich erhöhen", befürchtet Jan Schenk, Mitinitiator der "Initiative für Freisings Kinder". Diese wurde von einer Gruppe engagierter Eltern im vergangenen Jahr ins Leben gerufen, als bekannt wurde, wie groß die Kita-Krise in der Stadt Freising ist.

Der Grund dafür sind nicht fehlende Plätze, die gibt es in der Stadt in ausreichender Zahl. Es sind die Erzieherinnen und Erzieher, die für die Kinderbetreuung einfach nicht zu finden sind. "Das hat in Freising zu einer besonders prekären Situation geführt", sagt Schenk. Um zu zeigen, wie Freising bei der Kinderbetreuung im Vergleich zu anderen Kommunen in der Nachbarschaft aufgestellt ist, hat die Initiative nun verschiedene Daten ausgewertet und einen "Kita-Notstand-Index" erstellt.

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In der Stadt Freising ist laut diesem die Zahl der fehlenden Betreuungsplätze für Kinder bis sechs Jahre pro 1000 Kinder in der gleichen Altersgruppe etwa doppelt so hoch wie der bayernweite Durchschnitt. Er liegt in Freising bei 169 - im bayernweiten Durchschnitt dagegen bei 88. In der Stadt München ist der Index 62, in Dachau 49, in Moosburg 136 und in Mainburg 144. In der Stadt Erding dagegen beträgt der Index 0.

"Das zeigt, welch ein unvorstellbares Ausmaß das Problem gerade in Freising hat", sagt Schenk. In vergleichsweise gleich großen Kommunen wie Erding oder Dachau funktioniere es - in Freising aber offensichtlich nicht. Die stereotype Begründung der Stadt Freising, die Misere sei ein bundesweites Problem, das an dem Fachkräftemangel liege, stimme so also nicht. "Andere Städte schaffen es ja auch."

In Freising werde das Problem "verschleppt", heißt es seitens der Elterninitiative

Wie sie das schaffen? "Das ist eine gute Frage", sagt Schenk. Zumindest gebe es von München in Richtung Landshut ein deutliches Gehaltsgefälle, in München verdienten Erzieherinnen mehr als in Freising oder Moosburg. Wahrscheinlich zahlten andere Kommunen auch eine höhere Zulage als Freising. "Anders als von der Stadt Freising dargestellt, ist es sicherlich auch eine monetäre Frage", sagt Schenk. "Wo man mehr verdient, dort geht man hin."

Er habe das Gefühl, dass in Freising das Problem nicht angegangen - sondern im Gegenteil - verschleppt werde. Viel sei zumindest in den vergangenen Monaten nicht passiert. Zwar wurde das Projekt "Helfende Hände" gestartet, das Quereinsteigerinnen eine berufsbegleitende Ausbildung bietet. Allerdings habe man dadurch gerade einmal fünf Kräfte gewonnen. "Die Stadt muss sich doch aber klar sein, dass sich dieses gigantische Problem nicht von allein lösen wird", sagt Schenk.

Anfang des Jahres habe die Initiative Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher erneut einen Maßnahmenkatalog geschickt, der zur Lösung der Probleme beitragen soll. Zwar kam vom Oberbürgermeister eine Antwort - aber nicht die erhoffte, berichtet Schenk. "Sinngemäß hieß es, dass die Stadt die von uns genannten Maßnahmen bereits ergriffen habe oder die Vorschläge nicht praktikabel seien." Nun habe man erneut um einen Termin gebeten, aber bislang keine Antwort bekommen. "Wir bleiben aber dran", betont Schenk. "Wir schauen genau hin und werden auch 2024 Zahlen erheben - um zu zeigen, wo sich etwas verbessert und wo sich etwas verschlechtert hat."

Das Landratsamt kommt zu einem anderen Ergebnis

Die aktuelle Berechnung der Initiative sei für die Stadt Freising nicht nachvollziehbar, sagt Freisings Hauptamtsleiter Rupert Widmann. Auch das Landratsamt Freising sei als zuständiger Träger der Jugendhilfe nach Überprüfung der Situation hinsichtlich der fehlenden Kinderbetreuungsplätze zu einem deutlich anderen Ergebnis als die Initiative gekommen. Das Landratsamt habe sich auf eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2022 bezogen. Laut dieser fehlen in Deutschland 378 000 Plätze. Nach einer Vergleichsberechnung - umgerechnet auf die Einwohnerzahl - sei nicht ersichtlich, weshalb Freising "einen traurigen ersten Platz im bayernweiten Vergleich" - wie von der Initiative dargestellt - belegen soll.

Er wolle nochmals darauf hinweisen, dass es sich um ein deutschlandweites, strukturelles Thema handele: Dem Bedarf an Plätzen stehe zumindest derzeit noch kein ausreichender Fachkräftepool gegenüber, sagt Widmann. "Man könnte natürlich im Detail auf ähnlich angespannte Situationen in der Landeshauptstadt München, dem Landkreis München oder der kreisfreien Stadt Rosenheim hinweisen." Ein "ungesunder Wettbewerb" unter den Kommunen sowie den freien Trägern sollte aber vermieden werden. "Es geht doch darum, das Problem möglichst schnell zu lösen", betont Widmann. Die Stadt Freising tue alles dafür, "wir schöpfen sämtliche Möglichkeiten aus, die der tarifliche und rechtliche Rahmen uns gestattet".

Dass die Stadt beziehungsweise der Oberbürgermeister nicht auf Vorschläge der Initiative eingehe oder ein Gespräch ablehne, weist Widmann zurück. Der OB habe in zwei sehr ausführlichen E-Mails die Schreiben der Initiative beantwortet und sei detailliert auf deren Vorschläge eingegangen. Ein erstes Gespräch habe bereits im September 2023 stattgefunden, dem Wunsch nach einem weiteren werde der OB nachkommen.

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