Lesung im Freisinger Lindenkeller:Spinner, Fantasten und Exzentriker

Lesezeit: 3 min

Beleuchtet und gewürdigt, wenngleich auch spät, wird Franz Kandolf auch in dem Sachbuch "Karl May und München" (2022), (Foto: privat)

Der Schriftsteller und Journalist Richard Lorenz ist außergewöhnlichen Personen aus Freising auf die Spur gekommen, die längst in Vergessenheit geraten sind. Seine Lesung erinnert an die "Verlorenen".

Von Anna-Lena Schachtner, Freising

Spinner, Fantasten, Exzentriker: Das ist das Thema einer Lesung des Schriftstellers und Journalisten Richard Lorenz am Mittwoch, 17. Januar, um 19 Uhr im Stadtcafé am Lindenkeller. Bei Recherchen ist Lorenz auf außergewöhnliche historische Persönlichkeiten aus Freising gestoßen, die jedoch in Vergessenheit geraten sind - etwa einen Mann, der sich lebendig begraben ließ oder einen verkannten Widerstandskämpfer aus der NS-Zeit. Informationen über diese "Parallelwelt an skurrilen, verlorenen, abseitigen Leuten" zu finden sei jedoch häufig schwierig. Denn diese würden eben nicht zur "klassischen Freisinger Chronik" gehören. Um mehr über diese Menschen ans Tageslicht zu bringen, hat Richard Lorenz in Stadtarchiven gestöbert - und dabei sowohl Aberwitziges als auch Bewegendes herausgefunden.

Der bayerische Fakir

Zum Beispiel gab es da den gebürtigen Freisinger Tom Pirle, so sein Künstlername, der während einer Bombardierung im Ersten Weltkrieg verschüttet wurde - und daraus prompt eine Geschäftsidee machte: Während der Zwanzigerjahre ließ er sich als eine Art Zauberkünstler wiederholt lebendig begraben. So berichteten alte Zeitungsartikel, Pirle habe sich in seinen Shows in einen Sarg gelegt und erst nach mehreren Stunden wieder aus der Erde graben lassen. Welchen Trick er dafür anwandte, ist nicht bekannt. Jedenfalls war er damals eine Berühmtheit: Er trat auf dem Oktoberfest auf und sogar Karl Valentin wurde auf ihn aufmerksam. Als "Fakir" bezeichnete er sich selbst in Anlehnung an hinduistische Asketen, die auf Nagelbrettern sitzen. Ob er selbst tatsächlich solche Kunststücke vollbringen konnte, ist fraglich. "Der Name war wohl eher Show", erklärt Richard Lorenz.

Als bayerischer Fakir ist der Freisinger Tom Pirle aufgetreten. (Foto: Archiv Pirle)

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Auftritte des "bayerischen Houdini", wie Lorenz ihn nennt, nicht mehr so erfolgreich. Daher schlug er sich als Entrümpler und Wahrsager durch. Sein letzter Wunsch war es, sich auf dem Freisinger Volksfest nochmals lebendig beerdigen zu lassen - dieser ging leider nicht in Erfüllung: Der "bayerische Fakir" starb zuvor.

Der Priester, der Karl May zum Erfolg verhalf

Franz Kandolf war zu Beginn des 20. Jahrhunderts Priesterseminarist auf dem Freisinger Domberg - und ein großer Fan der Abenteuerromane von Karl May. Seine Begeisterung war so groß, dass er schließlich Briefkontakt mit seinem Lieblingsautor aufnahm und dessen Werke sprachlich überarbeitete. Kandolfs Änderungen und Kürzungen machten die Romane zugänglicher für das breite Publikum: Während die ersten Bücher von Karl May nur mäßig erfolgreich waren, "wurden sie durch Kandolfs Sprache zum Kult", so Richard Lorenz. Kandolf schrieb sogar ein oder zwei Romane unter Karl Mays Namen weiter. Zudem reiste er mehrmals an die Schauplätze der Bücher - etwa nach Amerika, Afrika und Osteuropa. Nebenbei war er aber auch als Geistlicher in einem Spital tätig. Nach seinem Tod 1949 geriet Franz Kandolf weitestgehend in Vergessenheit.

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Einsatz für die Aufklärung der NS-Verbrechen

Äußerst tragisch ist die Lebensgeschichte von Emil Büge, einem Widerstandskämpfer während der NS-Zeit: Büge arbeitete vor dem Dritten Reich einige Jahre in Freising als Kaufhausdekorateur. Um sich ein neues Leben aufzubauen, wanderte er nach Mexiko aus - musste aber zurückkehren, da es Probleme mit seinem Pass gab. Das wurde ihm zum Verhängnis: Wegen Spionageverdachts wurde er von den Nazis in das KZ Sachsenhausen verfrachtet. Ob die Vorwürfe gegen ihn stimmen, ist laut Richard Lorenz nicht mehr herauszufinden.

Bekannt ist aber, dass er sich während seiner Haft gegen das Regime gewehrt hat: Auf kleinen Zetteln notierte er die Opfer und schmuggelte diese Informationen nach draußen. Diese Tat war für die Aufklärung der NS-Verbrechen äußerst bedeutsam. Büge überlebte das KZ und setzte sich nach dem Krieg dafür ein, dass die Geschehnisse während des Dritten Reichs aufgearbeitet werden. Allerdings wurde er verfemt und zunächst nicht als politisch Verfolgter anerkannt. 1950 beging er schließlich Selbstmord.

Städte werden auch "von abseitigen Gestalten" beflügelt

Auf die Frage, warum er sich für skurrile Gestalten aus Freising interessiert, antwortet Lorenz: "Ich glaube, dass es etwas für den Zusammenhalt in der Gesellschaft bedeutet, wenn man auch Abseitige, Spinner, Träumer und Fantasten aushält." Früher sei das noch eher der Fall gewesen, während heutzutage "alles in geregelten Bahnen" laufe und "das Anderssein immer schwieriger" werde. Doch eine Stadt lebe nicht nur vom Oberbürgermeister und anderen Honoratioren, sondern werde auch von "abseitigen Gestalten beflügelt".

Wer mehr über vergessene, schillernde Persönlichkeiten aus Freising erfahren möchte, kann die Lesung von Richard Lorenz mit dem Titel "Die Verlorenen" am Mittwoch, 17. Januar, um 19 Uhr im Stadtcafé am Lindenkeller besuchen. Der Eintritt ist kostenlos.

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