Prozess in Landshut:Überraschender Freispruch

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Gericht kann nicht ausschließen, dass der Angeklagte bei einer Schlägerei in Neufahrn aus Notwehr zugestochen hat

Von Alexander Kappen, Landshut/Neufahrn

Vorstrafen pflastern seinen bisherigen Lebensweg, der ihn bereits in diverse europäische Staaten geführt hat. In sechs Ländern hat der Angeklagte in seinen 34 Lebensjahren Einträge im Strafregister gesammelt und deutlich mehr als ein Dutzend Verurteilungen hinter sich. Insgesamt saß er bis heute rund acht Jahre im Gefängnis. Unter anderem wegen zwei Messerstechereien in Tschechien sowie in seiner rumänischen Heimat. Bei Letzterer tötete er einen Menschen.

Die neuerliche Messerattacke mit zwei Verletzten während einer wilden Schlägerei vor einer Neufahrner Bar im Oktober 2020, wegen der er sich jetzt vor der als Schwurgericht tagenden ersten Strafkammer des Landshuter Landgerichts verantworten musste, war aber womöglich Notwehr und konnte nicht als versuchter Totschlag nachgewiesen werden. Als solcher war die Tat angeklagt worden. Ebenso der mutmaßlich vorausgegangene Schlag mit einem Glas auf den Kopf eines Widersachers. Nach der Beweisaufnahme mit vielen widersprüchlichen Zeugenaussagen habe die Kammer "Restzweifel nicht überwinden" können, so der Vorsitzende Richter, Markus Kring. Deshalb sprach sie den Angeklagten in beiden Fällen frei.

Damit übertraf das Gericht sogar die Hoffnung des Verteidigers, der trotz der unrühmlichen Vorgeschichte seines Mandanten eine Gefängnisstrafe von eineinhalb Jahren auf Bewährung beantragt hatte. Der Angeklagte habe ohnehin schon vor dem Vorfall beschlossen, zurück nach Rumänien zu gehen, wo seine Familie und sein Kind leben. Weil der alkoholabhängige, zur Tatzeit stark angetrunkene und laut Gerichtsarzt vermindert schuldfähige Angeklagte eingeräumt hatte, er habe nicht als Erster zugeschlagen, aber bei der Prügelei seinen Widersacher vielleicht mit einem Glas am Kopf getroffen, plädierte der Verteidiger auf "schwere Körperverletzung in einem minder schweren Fall". Die Stiche mit dem Messer, mit denen der 34-Jährige zwei Männer verletzte, seien Notwehr gewesen. Auch der Staatsanwalt sowie der Nebenklage-Anwalt konnten eine Notwehr nicht ausschließen, sahen aber in dem Schlag mit dem Glas eine gefährliche Körperverletzung. Sie beantragten jeweils zwei Jahre und zwei Monate Haft.

Die angeklagten Fälle drehten sich im Wesentlichen um eine Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und seinen Freunden mit einem Vater und dessen zwei Söhnen, in der es darum ging, wer in der Bar singen darf. Der Vater und Sänger der an diesem Abend auftretenden Band hatte sich offenbar daran gestört, dass ein Freund des Angeklagten sich in einer Pause das Mikrofon geschnappt und selber gesungen hatte. Laut Zeugenaussagen soll der Vater in einer Raucherpause vor der Bar dann den ungebetenen Sänger-Konkurrenten beschimpft und bedroht haben, bevor der Angeklagte eingriff.

Es kam zu einer Schlägerei. Wer dabei wen mit einem Glas getroffen und als Erster zugeschlagen hat, war in der Beweisaufnahme nicht restlos zu klären. Der Angeklagte sagte aus, beim Streit mit dem Vater habe zunächst er selbst von diesem ein Glas an den Kopf und einen Faustschlag ins Gesicht bekommen. Aufgrund der Verletzungen, die der 34-Jährige - unter anderem am Kopf - bei der Schlägerei erlitt, könne man diese Version zumindest nicht ausschließen, meinte die Kammer.

Nachdem andere Barbesucher die beiden Streithähne getrennt hatten und der Angeklagte sich auf die andere Straßenseite zurückgezogen hatte, gerieten die Kontrahenten erneut aneinander. Dabei zog der Angeklagte ein Messer und fügte einem der Söhne des Sängers eine Wunde am Oberschenkel zu. Den Vater traf er mit dem Messer in Bauch und Oberarm. Eine Freundin der Familie des Sängers gab jedoch zu, dass dieser nach dem ersten Handgemenge, als sich die Situation schon beruhigt hatte, den Angeklagten angesprungen habe. Danach schlugen der Vater, seine Söhne und weitere Personen wohl auf den Angeklagten ein und traten diesen, als er am Boden lag - auch gegen den Kopf.

In so einer Situation, sagte der Vorsitzende Richter, sei auch der Einsatz eines gefährlichen und potenziell lebensgefährdenden Gegenstands, etwa eines Messers, verhältnismäßig, wenn keine andere Möglichkeit zur Abwehr oder Flucht bestehe. Dann handele es sich um Notwehr - und das könne in diesem Fall nicht ausgeschlossen werden. Deshalb sprach das Gericht den Angeklagten frei und hob den Haftbefehl auf. Da der 34-Jährige seit Mitte Oktober 2020 - unterbrochen durch das Absitzen einer anderen Gefängnisstrafe - in Untersuchungshaft saß, wird er dafür jetzt entschädigt.

© SZ vom 03.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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