Neufahrn und der Flughafen:Mittelpunkt des Widerstands

Lesezeit: 2 min

Die Antoniuskapelle steht heute vor dem Franziskussaal in Neufahrn. (Foto: Marco Einfeldt)

Vor 50 Jahren wurde in der Gemeinde landkreisweit die erste BI gegen den Flughafenbau gegründet. Die damalige Bürgermeisterin Käthe Winkelmann wurde zur Ikone der Airportgegner.

Von Birgit Grundner, Neufahrn

Vor 50 Jahren fuhren Lautsprecherwagen durch Neufahrn, und die Botschaft, die sie verbreiteten, käme auch aus heutiger Sicht einer kleinen Revolution gleich: Die Leute wurden zum Boykott der Landtagswahl aufgerufen. Die Wahlbeteiligung lag dann am nächsten Tag bei gerade einmal 39 Prozent. Bayernweit machte der Ort Schlagzeilen mit dieser ungewöhnlichen Protestaktion, die sich gegen die Pläne für den Großflughafen im Erdinger Moos richteten. Noch am Wahlabend trafen sich Vertreter verschiedener Parteien und Gruppierungen beim Bahnwirt und planten die nächsten Schritte im Widerstandskampf. Es war die Geburtsstunde der landkreisweit ersten Bürgerinitiative gegen den Flughafen.

An das Jubiläum wollte der Heimat- und Geschichtsverein eigentlich mit einer eigenen Zeitzeugen-Veranstaltung erinnern, die dann aber wegen Corona abgesagt werden musste. Vorsitzender Ernest Lang hat sich wie kaum ein anderer mit den turbulenten Ereignissen in den 1970er Jahren auseinandergesetzt: zuerst als Aktivist, später als Politik-Student in einer mehr als 400-seitigen Magisterarbeit und als Journalist. Aufgerüttelt habe die Neufahrner seinerzeit die Veröffentlichung der Lärmzonenkarten, erzählt er: "Erst da wurde vielen klar, dass vom Flughafenbau entgegen allen Beteuerungen mehr als nur ein paar kleine Dörfer im Moos betroffen sein werden." Außerdem wurden wegen des zu erwartenden Fluglärms Baustopps in den Gemeinden verhängt. So musste der Bau der heutigen Jo-Mihaly-Schule erst einmal eingestellt werden. Im Norden von Neufahrn und in Mintraching sollte gar keine Wohnbebauung mehr genehmigt werden, In einer Nacht- und Nebelaktion stellten Bürger Schilder an den Ortseingängen auf: "Willkommen in Neufahrn, der zum Tod verurteilten Gemeinde!"

Die damalige Bürgermeisterin Käthe Winkelmann habe ihr "Aufbauwerk" in dem aufstrebenden Ort gefährdet gesehen, erinnert sich Lang, und sie sei "über die manipulierte Standortentscheidung empört" gewesen. Bei einer politischen Veranstaltung im "Metzgerwirt" - dem heutigen Hotel Gumberger - schwor sie an die 1000 Zuhörer auf den Protest ein: "Es werden trübe Zeiten kommen - wir dürfen uns aber nicht selber aufgeben."

Dritte Startbahn am Münchner Flughafen
:"Wir dürfen uns nicht einlullen lassen"

"Aufgemuckt" will wachsam bleiben und den Druck auf die Politik im Bundestagswahljahr erhöhen. Das Thema "ewiges Baurecht" für die 3. Startbahn wollen die Landtags-Grünen von einer Fachkanzlei prüfen lassen.

Von Petra Schnirch

Die Bürgermeisterin wurde zur Ikone der Flughafengegner und "Jeanne d'Arc von Neufahrn". Bei Kundgebungen gegen das Großprojekt, die auch in München stattfanden, stand sie oft in vorderster Reihe. 1974 weigerte sie sich, die Genehmigungsunterlagen für den Flughafen im Rathaus auslegen zu lassen und riskierte damit sogar ihre Absetzung. Drei Jahre zuvor hatte die Gemeinde Neufahrn aus Protest gegen die Landespolitik vorübergehend keine Steuern - sprich: Kreisumlage - gezahlt.

Neufahrn war der Mittelpunkt des Flughafen-Widerstands. Die BI-Treffen beim "Bahnwirt" fanden wöchentlich statt. Prozesse wurden vorbereitet und der Widerstand zunehmend professionalisiert. Lang erzählt von Mitgliedern, die staatliche Unterlagen widerlegten und einen offiziellen Lärmgutachter bei einer Anhörung so in die Enge trieben, dass er von Wirtschaftsminister Anton Jaumann abgezogen wurde.

Finanziert wurden die Aktivitäten durch großzügige Spenden aus der Bevölkerung und etwa mit dem Einnahmen vom Christkindlmarkt, der eigens dafür 1971 ins Leben gerufen worden war.

Auch die Antonius-Kapelle im Erdinger Moos kam aus Neufahrn. Auf dem Steinberger-Hof an der Dietersheimer Straße waren die tonnenschweren Fertigteile aus Beton hergestellt worden. Im Moos wurde die Kapelle von 1973 an zum Treffpunkt für Protestaktionen. Als der Flughafenbau endgültig von den Gerichten genehmigt worden war, landete sie zunächst in einem Baulager. Heute erinnert sie an ihrem neuen Standort vor dem Neufahrner Franziskussaal an den jahrelangen Widerstand gegen den Flughafen.

© SZ vom 02.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: