Freisings Oberbürgermeister Max Lehner:Anwalt der Bedrängten

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In Bahnhofsnähe erinnert eine Straße an den Freisinger, der den Bedrängten eine Stimme gab. Seine Lebensdaten auf der Tafel stimmen indes nicht. Max Lehner starb 1975. (Foto: Marco Einfeldt)

In der Reichspogromnacht demütigen die Nationalsozialisten auch den Juristen Max Lehner. Nach dem Krieg geht er als "Wiederaufbau-Oberbürgermeister" in die Stadtgeschichte ein - Guido Hoyer erinnert an den aufrechten Freisinger Politiker.

Von Tobias Wagenhäuser, Freising

"Bei Freund und Feind galt ich als Anwalt der Nicht-Nazis" - dies sagte er einst über sich selbst. Die bewegende Geschichte des ehemaligen Freisinger Oberbürgermeisters Max Lehner war am Montag Thema von Guido Hoyer. Über 100 Interessierte lauschten dem ersten Vortrag des Historischen Vereins in diesem Jahr im Asamfoyer, unter ihnen Enkel und Tochter des 1975 verstorbenen Freisingers.

Etwa 40 Minuten benötigte der Politologe Hoyer, dann hatte er das Schicksal Lehners bis Kriegsende rekapituliert. Angefangen von seiner Geburt 1906 bis zu seiner Rückkehr. Schon vor den Novemberpogromen im Jahr 1938 litt die Familie Lehner unter Repressalien, denn der Vater, Jakob Lehner, saß für die Bayerische Volkspartei im Stadtrat und wurde von den Nazis in den Ruhestand getrieben. Weil der Junior mit seiner Anwaltskanzlei vor Gericht auch Juden vertrat, zog er bald ebenfalls Aufmerksamkeit und Hass auf sich. Für seine Gegner war es nebensächlich, dass Lehner nicht öffentlich als Gegner der NSDAP auftrat und zeit seines Lebens parteilos war. Als Wendepunkt in Lehners Leben sieht Hoyer die Reichspogromnacht an, die von den Nationalsozialisten gezielt vorbereitet und inszeniert wurde.

Der Mob lässt das jüdische Mädchen Ilse Holzer "zum Anschauen" durch Freising führen

In der Nacht vom 9. auf den 10. November ziehen damals 3000 Freisinger durch die Straßen und fordern jüdische Bürger auf, die Stadt zu verlassen. Der Mob lässt auch das jüdische Mädchen Ilse Holzer aus dem Haus seiner Eltern holen und "zum Anschauen" durch Freising führen. Bei Max Lehner öffnet man gewaltsam die Tür, ohrfeigt ihn und zerrt ihn im Nachthemd aus dem Haus. Er muss ein Schild mit der Aufschrift "Juda verrecke" durch die Stadt tragen, wird von der Menge beschimpft und in "Schutzhaft" genommen.

Die Geschichte der Stadt und ihrer Menschen erforscht Stadtrat Guido Hoyer seit nunmehr 27 Jahren. Besonders interessieren ihn die Geschichten der Verfolgten, auch außerhalb Freisings. Vergangenes Jahr erschien sein Buch "Verfolgung und Widerstand in der NS-Zeit", in dem er die Geschichten von Orten und Menschen im Landkreis gesammelt hat. Bei seinen Recherche-Arbeiten stößt Hoyer auch immer wieder auf Hindernisse. Viele Akten wurden 1945 zerstört oder sind verschollen.

Am Ende von Lehners Amtszeit hatte Freising 5000 neue Wohnungen und 4000 neue Arbeitsplätze

Nur einen Monat nach der Reichspogromnacht wurde Max Lehner vom Kreisleiter der NSDAP, Karl Lederer, das Ultimatum gestellt, Bayern zu verlassen. Später musste Lehner in Brüssel, Lille, Ungarn und schließlich Berlin im Militär als Verwaltungsbeamter arbeiten.

Nach dem Krieg und seiner Rückkehr nach Freising wurde er 1948 Oberbürgermeister. Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und eine leere Stadtkasse prägten diese Zeit. Viele der Kriegsvertriebenen hausten in notdürftigen Baracken. Bis Mitte der 1950er Jahre entstanden Sozialwohnungen und einfache Wohnblocks. Zum Ende von Lehners Amtszeit hatte Freising 5000 neue Wohnungen und etwa 4000 neue Arbeitsplätze. Max Lehner ging als "Wiederaufbau-OB" in die Stadtgeschichte ein.

© SZ vom 27.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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