Einfach zu Hause "rumhocken" - das ist nichts für Julia Hampp. Viel lieber ist sie unterwegs, organisiert und hilft anderen Mitarbeitenden des Restaurants Viva Vita. Dort arbeiten sowohl Menschen mit als auch ohne Behinderung gleichberechtigt auf dem ersten Arbeitsmarkt. Hampps Aufgabengebiet ist vielfältig. Vom Zubereiten der Salate bis hin zur Reinigung umfasst ihre Arbeit "eigentlich alles". Mittlerweile ist sie gut 20 Jahre im Integrationsprojekt Viva Vita der Freisinger Lebenshilfe beschäftigt und wird als fester Bestandteil des Teams, ja sogar als Urgestein, gesehen: "Julia gehört zum Inventar", heißt es des Öfteren von Kollegen, wie sie nicht ohne Stolz berichtet.
Julia Hampp, 47, lebt mit einer Behinderung, absolvierte eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin und arbeitet seit ihrem 18. Lebensjahr auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt. Das sei allerdings alles andere als einfach gewesen, erzählt sie und verweist auf die Schwierigkeiten für Menschen mit einer Einschränkung, eine Arbeit zu finden. Noch immer herrsche eine "unzureichende Vorstellung über die Leistungsfähigkeit von Menschen mit einer Behinderung" vor, moniert der Leiter des Integrationsprojekts Viva Vita, Christian Burger. Freilich gebe es bereits integrative Kindergärten und Klassen, die eine Inklusion von Menschen mit Einschränkung fördern. Doch "in der Arbeitswelt ist das noch nicht angekommen." Trotz eines erhöhten Fachkräftemangels stellen viele Unternehmen keine Menschen mit einer Behinderung ein.
Es fehle an Beratung, an Ermutigung und auch an positiven Vorbildern, die die Gesellschaft diesbezüglich nachhaltig aufklären. "Ein Mensch mit einer Behinderung kann genauso gut arbeiten wie jeder andere auch", bekräftigt Julia Hampp. "Man muss nur seine Stärken herausfinden." Das sei aber noch nicht bei der Bevölkerung angekommen. "Die Gesellschaft muss umdenken", wünscht sie sich deshalb.
Die Unterstützung des Integrationsprojekts Viva Vita empfindet sie als "Rückendeckung." So werden die Rahmenbedingungen und Anforderungen an die individuellen Bedürfnisse der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen angepasst. Wie das funktioniert? Für Julia Hampp eine leichte Frage: "einfach reden". So gibt es ein individuelles Aufgabenprogramm, das auf die jeweiligen Fähigkeiten der Mitarbeitenden zugeschnitten ist. Freilich gelten in einem Betrieb wie Viva Vita gewisse Anforderungen, die zu erfüllen sind. Deswegen müsse man erkennen, wo die individuellen Stärken und Schwächen liegen - entsprechend werden die Mitarbeitenden dann in einem bestimmten Tätigkeitsfeld eingesetzt, ergänzt Burger.
Zudem qualifiziere Viva Vita die jeweiligen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen weiter: "Es ist immer wichtig, weiter zu lernen", so Burger, und das individuelle Entwicklungspotenzial auszuschöpfen. Für Problemlösungen finde sich dabei immer ein offenes Ohr, erklärt Hampp. Somit biete das Integrationsprojekt einen geschützten Rahmen, in dem die eigenen Fähigkeiten erprobt werden können. Das wiederum fördere das Selbstbewusstsein und auch die Selbstständigkeit von Menschen mit einer Behinderung. Es sei eine "sinnstiftende Arbeit", findet Burger - der Umgangston sei zudem immer "sehr höflich".
Diese Art der individuellen Unterstützung könnte sich Burger auch in anderen Betrieben vorstellen, beispielsweise in Gaststätten oder Hotels. Dabei würden die Unternehmen auch von Fachstellen unterstützt, die sozialpädagogische Hilfe gewährleisten. Es sei also möglich, Menschen mit einer Behinderung einzustellen - wenn "der Wille da ist", so Burger. Doch derzeit ist offenkundig meist das Gegenteil der Fall: Viele Firmen wirkten eher leistungs- als lösungsorientiert, was die Beschäftigung und individuelle Hilfestellung von Menschen mit Einschränkung erschwere. "Heute ist es fast noch schwerer als früher, eine Arbeit zu finden", bemerkt Hampp.
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Hinzu kommen bürokratische Hürden, die zusätzlich abschrecken. Ein weiteres Problem: eine oft ungleiche Bezahlung. So erklärt Hampp, dass sie in anderen Betrieben "immer anders verdient" habe - und das für die gleiche Tätigkeit, die ein Mitarbeiter ohne Einschränkung ausgeführt habe. Auf dem freien Markt führe eine Erhöhung der Löhne allerdings häufig und fast zwangsläufig zu einer Erhöhung der Anforderungen, so Burger. Die seien dann jedoch kaum von Menschen mit einer Behinderung zu schaffen.
Ohne die Möglichkeit, in einem Integrationsprojekt wie Viva Vita zu arbeiten, würde sie sich daher sehr schwer in ihrem Alltag tun, sagt Hampp. In dem Restaurant nämlich werden sowohl Mitarbeitende mit als auch ohne Behinderung gleichberechtigt zu einem branchenüblichen Tarif entlohnt, so Burger. Durch die unbefristeten Arbeitsverträge sei der Arbeitsplatz zudem sicher, ergänzt Hampp. Dieses Jahr feiert der Betrieb sein 20-jähriges Bestehen und blickt auf Auftritte bei den Freisinger Gartentagen oder Märkten des Landkreises zurück - auf eine Zeit voller "schöner, lustiger Erlebnisse", so Hampp.
Noch fehle es der Gesellschaft an Vorstellungskraft, was ein Mensch mit Behinderung könne und was nicht. Und noch fehle es an Arbeiten, die für Menschen mit Einschränkung geschaffen werden, sagt Julia Hampp bedauernd. Ihr Wunsch ist es, dass Menschen mit einer Behinderung eine Chance gegeben wird, sich auf dem ersten Arbeitsmarkt beweisen zu können. Je nach Stärken könne so eine geeignete Aufgabe gefunden werden. Denn: "Es spielt keine Rolle, ob man im Rollstuhl oder im Bürostuhl sitzt und arbeitet", merkt sie an.