Inklusion:Zeit zum Überlegen

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Fröhlich sitzt Moritz Hierhager mit Schwester Ida in der Hängematte. Nicht ganz so entspannt sind seine Eltern, wenn sie an die Einschulung ihres Sohnes denken. (Foto: Marco Einfeldt)

Moritz Hierhager hat das Down-Syndrom und kann jetzt ein Jahr länger im Kindergarten bleiben. Die Eltern sind froh darüber, denn sie können nun in aller Ruhe entscheiden, welche Schule ihr Kind dann besuchen soll

Von Alexandra Vettori, Neufahrn

Auf seine blauen Plastikschlappen ist Moritz stolz. Er präsentiert sie von allen Seiten und legt dann gleich ein paar Turnübungen hin, die man mit den Schlappen toll machen kann, auch auf einem Bein. Seine dunklen Augen blitzen schelmisch hinter den kreisrunden Brillengläsern hervor. Moritz ist sechs Jahre alt, wohnt mit Papa, Mama und seiner dreijährigen Schwester Ida in einem schmucken Neubau mit großem Garten in Giggenhausen und wird im Herbst noch ein Jahr im Kindergarten St. Elisabeth im Nachbarort Massenhausen anhängen.

"Zum Glück", sagt seine Mutter Irmi Hierhager. Denn Moritz ist ein besonderes Kind. Er weist das Down-Syndrom auf, Trisomie 21. "Gell Moritz, magst noch mal Vorschule machen?", fragt sie ihn, er nickt eifrig, Moritz mag Vorschule. Dass Irmi und ihr Mann Martin Hierhager so froh darüber sind, dass Moritz noch ein Jahr im Kindergarten bleiben kann, liegt daran, dass es schwierig ist, den richtigen Platz für ihn zu finden. Liefe alles nach Plan, besuchte er, eingestuft als Kind mit geistiger Behinderung, die Fröbelschule der Lebenshilfe in Freising. Doch Irmi Hierhager, von Beruf Sozialpädagogin, ist davon überzeugt, dass das nicht der richtige Platz für ihn ist. So, wie sie vor drei Jahren schon wusste, dass er einen Regelkindergarten besuchen sollte. "Wenn Integration und Inklusion nicht im Kindergarten gehen, wo dann?", fragt sie.

Im Massenhausener Dorfkindergarten stand die Leitung dem neuen Zögling offen gegenüber, obwohl es kein zusätzliches Personal für seine Betreuung gab. Nur eine Heilpädagogin kommt einmal in der Woche vorbei. Anfangs hatten Eltern und Personal zwar Bedenken, ob er das offene Konzept ohne feste Gruppen, dafür mit Themenräumen, packe, doch die Erfahrungen sprachen für sich. "Am dritten Tag war das seine dritte Heimat, nach uns und der Oma", erzählt Irmi Hierhager. Das Kindergartenteam habe es super gemacht, "weil sie einfach so normal waren, genau das wollten wir." Die anderen Kinder haben Moritz schnell akzeptiert. Es gab einige Fragen, warum er so wenig redete, doch letztlich nahmen es die Kinder einfach so. Auch Moritz. Er sei, erinnert sich seine Mutter, öfter in die Krippengruppe gegangen, "da ist er heute noch gerne, weil da ist er der Große und betüttelt die Kleinen. Wir sagen immer, er wird mal Kindergärtner."

Jetzt, an der Schwelle zur Grundschule, ist die Sache noch komplizierter geworden. Der klassische Weg für Kinder mit geistiger Behinderung ist die Förderschule, dann Werkstufe und schließlich Werkstatt. Doch Irmi Hierhager ist der klassische Weg zu starr. "Jeder Down-Syndrom-Mensch ist anders, so wie jeder andere Mensch auch", sagt sie und fügt hinzu: "Für uns fällt die Option Förderschule aus, weil wir glauben, dass Moritz den Inklusionsweg gehen kann und er da mehr lernt." Am liebsten wäre ihr die Inklusion in eine Regelschule, so, wie es oft gepriesen wird. Doch in der Realität läuft das nicht so glatt. Denn die Grundschullehrer müssen die Inklusion von Kindern mit Behinderung im Großen und Ganzen alleine stemmen. "Sie bekommen zwar Fortbildungen, aber zusätzliches Personal, Lehrerstunden oder kleinere Klassen bekommen sie nicht", weiß Irmi Hierhager. Moritz erhielte zwar eine Schul-Begleitung vom Bezirk, doch die wäre nur für seine pflegerischen Bedürfnisse zuständig und dürfte nicht in die schulische Betreuung integriert werden. Als dritte Option gäbe es für Moritz die Inklusionsklassen in der Freisinger Grundschule St. Korbinian, doch die kommt, trotz bester Erfahrungen, aus dem Projektstatus nicht so recht heraus. Deshalb startet nur alle zwei Jahre eine erste Klasse, im kommenden September ist das nicht der Fall. Schließlich könnte Moritz eine Privatschule besuchen, hier böten sich die Montessorischulen in Freising und Unterschleißheim an. Für die Familie bedeutet das zusätzliche Kosten zum anfallenden Schulgeld. "Würde Moritz zur Lebenshilfe gehen, wäre der Transport kostenlos, zur Monte-Schule aber nicht", wundert sich Irmi Hierhager.

Dass alles so kompliziert ist, liegt ihrer Meinung nach an den verschiedenen staatlichen Stellen, die in die Kostenübernahmen involviert sind. Die Mutter vermisst immer wieder Flexibilität: "Inklusion müsste doch alles sein, aber gerade im sonderpädagogischen Bereich gibt es leider wenig Leute, die diese Offenheit haben." Mit dem weiteren Kindergartenjahr haben jetzt alle Luft, um in Ruhe eine gute Lösung zu finden. Bis jetzt hat es sich für Moritz ausgezahlt, dass seine Eltern nicht locker lassen bei der Suche nach dem eigenen Weg für ihren besonderen Sohn. " Wir möchten", sagt Irmi Hierhager, "mit unserer Geschichte auch anderen Eltern Mut machen, ihren eigenen Weg zu gehen."

© SZ vom 17.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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