In Lohn und Brot und dennoch ohne Wohnung:Soziale Katastrophe

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In Neufahrn hat sich die Zahl der Bewohner in den Notunterkünften seit Jahresbeginn verdoppelt. Die Menschen haben Arbeit und könnten Miete zahlen, aber sie finden keine Wohnung. Am meisten leiden die Kinder unter dieser Situation.

Von Birgit Grundner, Neufahrn

Die Befürchtungen haben sich erfüllt. Zum Jahresanfang hatte Neufahrns Obdachlosenbetreuerin Felizitas Schmitz dringend mehr sozialen Wohnungsbau angemahnt, "sonst steuern wir auf eine soziale Katastrophe zu". Jetzt sagte sie im Sozialbeirat: "Die Katastrophe war leider schneller als wir", und eine Entspannung sei nicht in Sicht. Die Zahl der Bewohner in den Notunterkünften hat sich verdoppelt - nächste Woche werden es 37 sein, darunter neun Kinder. Niemand entspreche mehr dem Bild des Obdachlosen, "wie man ihn sich vielleicht vorstellt." Viele sind berufstätig und könnten sich durchaus eine Wohnung leisten, "aber sie finden keine" - erst recht, wenn es sich um Menschen mit Migrationshintergrund oder größere Familien handle.

Wegziehen können sie auch nicht, weil sie sonst auch noch ihren Arbeitsplatz verlieren würden. Der Immobilienmarkt in Neufahrn ist leergefegt. Für eine einzige Wohnung hätten sich unlängst 300 Interessenten gemeldet, berichtete Schmitz. Sogar für eine fensterlose Kellerwohnung habe es 150 Anfragen gegeben.

Die zunehmende Zahl von Boardinghäusern verschärft die Situation

Nicht einmal mit der Vermittlungen von Zimmern in Hotels oder Pensionen kann die Gemeinde helfen: "Die sind alle voll." Hätten Betroffene Anspruch auf eine Sozialwohnung, bringe das auch nicht viel: "In den zwei Jahren, seit ich hier arbeite, hat noch niemand eine bekommen." Weiter verschärft werde die Situation durch die zunehmende Zahl von Boardinghäusern und Arbeiterunterkünften. Selbst in den Dörfern nähmen sie überhand, hat Sozialreferentin Beate Frommhold-Buhl festgestellt. Bewohner - häufig EU- Zuwanderer - zahlen laut Schmitz bis zu 350 Euro für einen Platz in einem Fünf-Bett- Zimmer. Sie könnten aber jederzeit vor die Tür gesetzt werden. Ob die Betreffenden zuletzt tatsächlich in Neufahrn gelebt haben, lässt sich aber oft gar nicht feststellen. Während früher niemand wirklich in Notunterkünfte wollte, sind diese heute begehrter Wohnraum - und auch nicht einmal halb so teuer wie ein Bett in einem Boardinghaus. "Wir müssen da künftig genauer hinsehen", weiß Felizitas Schmitz.

Vergeben werden die Plätze in den Containern über das Ordnungsamt, die Sozialpädagogin ist für die Betreuung der Bewohner zuständig. Momentan könne sie aber den Anforderungen gar nicht mehr gerecht werden - weder zeitlich noch sprachlich. Schmitz spricht Englisch und Türkisch, doch die Betroffenen stammen inzwischen zum Beispiel häufig aus Rumänien, eine Verständigung ist kaum möglich, "Ich kann sie dann oft auch nur in den Arm nehmen."

Dauerhaft können sie auch nicht bei Verwandten wohnen

Viele waren nach den Erfahrungen von Felizitas Schmitz zunächst bei Verwandten untergekommen oder hatten über den Arbeitgeber eine Unterkunft bekommen - allerdings nicht auf Dauer, und dann sei auch wieder die Gemeinde gefragt. Verärgert ist die Sozialpädagogin darüber, dass Betroffene immer wieder als "Sozialschmarotzer" bezeichnet werden. "Sie arbeiten", betonte sie: "Natürlich sind sie hierhergekommen mit dem Wunsch auf ein besseres Leben - aber ich frage mich schon, ob man das verwerfen kann?"

Keine Zeit bleibt Schmitz für ihr zweites großes Aufgabengebiet: die Verhinderung von Obdachlosigkeit. Würde hier nicht die Fachstelle der Diakonie helfen, wäre Neufahrn "aufgeschmissen", so Schmitz. 2014 wurden dort 33 Fälle allein aus Neufahrn bearbeitet und 25 davon positiv abgeschlossen, wie Anita Rinke berichtete. Deutlich Kritik übten sie und ihre Kollegin Beate Drobniak am Jobcenter, das bei der Übernahme von Mietschulden von ALG2- Empfängern seine Ermessensspielräume kaum ausschöpfe. Auch würden Anfragen oft zu spät behandelt. Dabei steht für Drobniak außer Zweifel, was auch im Jobcenter "oberstes Gebot" sein müsste: "Es darf nicht sein, dass eine Familie mit Kindern obdachlos wird."

© SZ vom 18.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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