Geflüchtete Menschen:Kakerlaken in der Unterkunft

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Geflüchtete wohnen in Hohenkammer in einer Flüchtlingsunterkunft, ähnlich dieser auf dem Bild. Kakerlaken haben sich dort ausgebreitet. Der Vorwurf lautet, dass das Landratsamt nichts dagegen unternimmt. (Foto: Christian Endt)

Die Flüchtlingshelferin Brigitte Geisenhofer gibt auf. Grund dafür sind die ihrer Ansicht nach nicht kooperativen Stellen im Landratsamt - die zum Teil katastrophalen Zustände in den Unterkünften scheinen dort niemanden zu interessieren.

Von Gudrun Regelein, Hohenkammer

Die Kakerlaken waren der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, sagt Brigitte Geisenhofer. Die 64-Jährige engagiert sich schon viele Jahre lang ehrenamtlich, seit zehn Jahren leitet sie die Nachbarschaftshilfe Hohenkammer, seit 2015 kümmert sie sich in der Gemeinde um geflüchtete Menschen. Jetzt zieht sie einen Schlussstrich. "Es geht einfach nicht mehr", sagt Geisenhofer. "Ich bin frustriert, ich mag nicht mehr - und ich kann nicht mehr." Sie fühle sich alleine gelassen, den Behörden wirft sie mangelnde Kooperation, Unterstützung und Wertschätzung vor. "Ich werde mich nun sukzessive aus der Flüchtlingsbetreuung zurückziehen."

Erlebt habe sie in den Jahren der Flüchtlingsbetreuung vieles, sagt Geisenhofer. "Ich könnte darüber ein Buch schreiben." Die Geschichte mit den Kakerlaken, die es schon seit Jahren in den Unterkünften gibt, ließ sie aber endgültig verzweifeln. Dass die Ungeziefer da seien, liege nicht an der mangelnden Sauberkeit und Hygiene der Bewohner. Oder daran, dass diese das Essen offen herumstehen lassen, wie es das Landratsamt behauptet, betont Geisenhofer. "Die Zimmer werden wie verrückt geputzt." Auch für die Bewohner sei die Situation schrecklich, ihr wurde ein Foto gezeigt, auf dem ein schlafendes Kind zu sehen ist, dem Kakerlaken über das Gesicht krabbeln. Sie habe immer wieder im Landratsamt darum gebeten, diesen Zustand endlich zu beheben. Passiert aber sei nicht wirklich viel. Sie sei mittlerweile mit der ganzen Situation überfordert. "Ich habe das Gefühl, gegen Mauern zu rennen. Wir können das nicht mehr stemmen."

Helferkreis muss sich um alles kümmern

So richtig eskaliert sei die Situation seit dem Frühjahr, als der Gemeinde zehn Ukrainer zugeteilt wurden. Die standen dann vor der Tür mit dem Schlüssel in der Hand, erzählt Geisenhofer. Die Zimmer waren nicht hergerichtet, der Hausmeister besorgte dann zumindest kurzfristig Matratzen. "Wir, der Helferkreis, mussten uns um alles kümmern, die Flüchtlinge hatten kein Essen, kein Geld." Später ging es dann mit Behördengängen weiter und darum, den Kindern einen Schulbesuch zu ermöglichen. "Ich habe mich damals hilfesuchend an unseren Bürgermeister gewendet, der wiederum hat an das Landratsamt als Ansprechpartner verwiesen", erzählt Geisenhofer. Geld sei dann zwar vom Landratsamt gekommen, weitere Unterstützung aber gab es nicht.

Auch bei Konflikten in den mit 50 Flüchtlingen komplett überfüllten Containern musste sie eingreifen. Ein 15-Jähriger machte Zoff, berichtet Geisenhofer. Sie musste intervenieren. Nachdem sie das Landratsamt und das Jugendamt eingeschaltet hatte, gab es zwar einmal eine Ansage an den Jugendlichen - aber das war es dann schon. "Vom Landratsamt kam niemand." Sie habe danach den Gemeinderat angefleht, jemanden einzustellen, der sich um diese Menschen kümmert, sagt Geisenhofer. Mittlerweile gebe es einen Sozialpädagogen von der Diakonie, der zumindest stundenweise die Flüchtlinge mit betreut, zum Glück, wie sie sagt. Aber auch das sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ein Gespräch mit dem Landrat vor einiger Zeit habe zu keiner wirklichen Verbesserung geführt.

Kaum Unterstützung vom Landratsamt

Einmal habe sie im Landratsamt für einen Flüchtling einen Termin ausgemacht, sie habe sich die Zeit genommen, ihn zu begleiten. Der zuständige Sachbearbeiter war dann aber nicht da, eine Mitarbeiterin habe ihr gesagt, sie als Ehrenamtliche habe ja genügend Zeit, das sei doch nicht so schlimm. "Irgendwann ist es dann doch gut." Diese Art von Ehrenamt gehe zu weit, sagt Geisenhofer. "Inhaltlich - und vom Ausmaß her." Zuletzt habe sie sich gemeinsam mit einer anderen ehrenamtlichen Helferin quasi alleine um die Flüchtlinge und deren Probleme gekümmert. "Eigentlich übernehmen wir ja hier staatliche Aufgaben." Eigentlich sollte doch zumindest Unterstützung von Seiten der Behörden angeboten werden - sie musste diese aber immer einfordern. "Ich muss bremsen, sonst geht es mir an die Substanz."

Offen herumliegende Brotreste

Dass in den Unterkünften für Asylsuchende und Flüchtlinge Küchenschaben leben, komme immer wieder vor, heißt es aus dem Landratsamt. "Das Landratsamt nimmt sich diesen Mitbewohnern stets an", sagt Pressesprecher Robert Stangl. "Wir haben spezielles Gel, das in die Ritzen und Kanäle eingebracht wird und die Schaben dann vernichtet." Maßgeblich für das Gelingen dieser Maßnahmen sei jedoch die Mithilfe und Hygiene der in den Zimmern lebenden Personen. Speziell in der Unterkunft in Hohenkammer komme es in einer Hausseite aber immer wieder zu Problemen. "Die Hausmeister und unsere Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sind mindestens einmal wöchentlich dort. Wir haben immer wieder appelliert, Essensreste zu entsorgen und Hygienemaßnahme zu beachten. Dies wird zudem in mehreren Sprachen und mit Piktogrammen erläutert", berichtet Stangl. Leider würden sich die Bewohner aber nicht an die vorgegebenen Maßnahmen halten. Auch zuletzt seien in mehreren betroffenen Zimmern wieder offen herumliegende Brotreste, Pfannen mit Essensresten und diverse verderbliche Lebensmittel gefunden worden.

Den Vorwurf, die ehrenamtlichen Helfer bekämen keine Unterstützung, weist der Pressesprecher zurück: "Wir sind stets für alle Ehrenamtlichen erreichbar." Von April bis August 2022 wurde auch samstags und sonntags gearbeitet, um den Schutzsuchenden aus der Ukraine und den Helfern Fragen beantworten zu können. Daneben werde monatlich ein Runder Tisch angeboten, bei dem auch alle Ehrenamtlichen Probleme, Fragen und Anregungen äußern könnten. Dort bestand Konsens, dass man beim Thema Kakerlaken nur unter Mithilfe der Bewohnerinnen und Bewohner einen Schädlingsbefall verhindern und abwenden könne.

Ein Kammerjäger ist notwendig

Er verstehe die Frustration der Flüchtlingshelferin, sagt Jan Drobniak, Leiter der Flüchtlings- und Integrationsberatung der Diakonie Freising. Das Landratsamt sei für Anregungen oder Kritik nicht unbedingt offen. Genauso teile er die Verwunderung, dass in der Unterkunft in Hohenkammer keine vernünftige Schädlingsbekämpfung stattfinde. "Das Problem gibt es dort bereits seit Jahren." Gerade für die Kinder sei das dort ein Horror. Natürlich gebe es vereinzelt Bewohner, die sich nicht korrekt verhalten, sagt Drobniak. "Aber das ist doch nicht das Gros." Die allermeisten seien durchaus hygienebewusst. Putzen aber helfe in dieser Situation nicht weiter. Ein Experte, ein Kammerjäger, müsste sich um die Sache kümmern, sagt Drobniak.

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