Gebietsreform:Völlig neu gemischt

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Die Goldacher wären vor 40 Jahren lieber im Landkreis Erding geblieben, inzwischen haben sie sich längst mit ihrer Zwangsehe mit Hallbergmoos arrangiert. (Foto: Marco Einfeldt)

Ende der Siebzigerjahre gab es viel Zwist: Viele Gemeinden verloren ihre Selbständigkeit, der Landkreis wurde deutlich größer. Archive dokumentieren Kontroversen, damals beteiligte Akteure erinnern sich an hitzige Debatten

Von Thilo Schröder, Freising

Die bayernweite Gebietsreform zwischen 1971 und 1980 hat im Landkreis Freising für viele strukturelle Veränderungen gesorgt. Vor der Reform hatte der Landkreis 71 Gemeinden, danach waren es noch 24, bedingt vor allem durch Eingemeindungen. Mehrere Gemeinden bildeten zudem Verwaltungsgemeinschaften. Landkreisgrenzen wurden neu gezogen, der Landkreis umfasste nun rund 60 Prozent mehr Menschen.

In Mauern und Hallbergmoos begehen die Gemeinden heuer deshalb Jubiläen: 40 Jahre Verwaltungsgemeinschaft beziehungsweise 40 Jahre Zusammenschluss. Wie haben Bevölkerung und Kommunalpolitiker auf die Reform reagiert? Archive dokumentieren Kontroversen, damals beteiligte Akteure erinnern sich an hitzige Debatten. Mittlerweile haben sich die meisten Wogen geglättet. Gerade junge und zugereiste Bürger kennen die alten Grenzen und Gräben oft gar nicht mehr.

Vor allem Kleinstgemeinden hatten Probleme, grundlegende Strukturen wie die Wasserversorgung oder Schul- und Betreuungsangebote zu gewährleisten. Die Gebietsreform habe darum das Ziel gehabt, leistungsfähigere Gemeinden und Landkreise zu schaffen, erklärt Eva Zimmerhof, Pressesprecherin des Freisinger Landratsamts. Das sollte durch größere Verwaltungseinheiten, in Form von Gemeindefusionen, erreicht werden, die nach Ansicht der bayerischen Staatsregierung effizienter arbeiten würden. Eine Einschätzung, die nicht alle Bürger im Landkreis Freising teilten. "Die Gebietsreform stellte eine einschneidende Änderung dar. Um einzelne Modalitäten wurde teils heftig gerungen", sagt Zimmerhof. "Diskussionen und Uneinigkeiten in der Bevölkerung und auf politischer Seite blieben zwar nicht aus, jedoch gab es keine öffentlichen Demonstrationen", heißt es dazu auf den Tafeln einer Ausstellung von 2015 im Freisinger Stadtarchiv, gestaltet von Isabella Hödl-Notter und Katharina Maier.

Die Landkreisreform von 1971/72 führte dazu, dass der Landkreis Freising statt bislang 65 000 nun rund 103 000 Einwohner umfasste, er war damit ein Gewinner der Reform. Fahrenzhausen (vormals Landkreis Dachau), Au und Rudelzhausen (vormals Landkreis Mainburg) sowie Teile von Notzing und Oberding (vormals Landkreis Erding) erweiterten den Landkreis. Abtreten musste man Großschwaiba und Kleinschwaiba, fortan Ortsteile von Volkenschwand im Landkreis Kelheim, und Bruckberg, das nun zum Landkreis Landshut gehörte.

Konflikte waren vor allem dann programmiert, wenn durch die Reform Landkreisgrenzen verschoben wurden. Ein Beispiel ist die Eingliederung Goldachs, bis dato ein Gemeindeteil von Notzing und damit des Landkreises Erding, in die Gemeinde Hallbergmoos im Jahr 1978. Manfred Pointner (Freie Wähler) unterstand damals als Jurist im Landratsamt dem Innenministerium, später, von 1984 bis 1990, war er Bürgermeister von Hallbergmoos, dann Landrat. "Die Erdinger wollten natürlich, dass Goldach im Landkreis Erding bleibt", erinnert er sich. Bei der Abstimmung gaben die zahlenmäßig überlegenen Hallbergmooser letztlich den Ausschlag für die Zugehörigkeit zum Landkreis Freising. Für die wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinde Hallbergmoos-Goldach war die Gebietsreform richtungsweisend: Auf der Brandau, dem Dichtl-Anwesen und den südlich davon gelegenen Gebieten entstand das Gewerbegebiet Hallbergmoos, heute Munich Airport Business Park genannt. Unabhängig davon seien damalige Streitigkeiten "heute eigentlich kein Thema mehr", sagt Pointner. Es gebe weiterhin eine gewisse Eigenständigkeit der Gemeinden. Und: "Mittlerweile sind so viele Menschen zugewandert, die wissen gar nicht mehr, wo die Grenze früher verlaufen ist."

Freising verlor durch die Landkreisreform seinen Status als kreisfreie Stadt und wurde dem Landkreis als "Große Kreisstadt" 1972 einverleibt. Die Ausstellungstafeln im Stadtarchiv dokumentieren Kontroversen um dieses Thema: Während der damalige Landrat Ludwig Schrittenloher (CSU) diesen Schritt grundsätzlich befürwortete, kämpfte Oberbürgermeister Adolf Schäfer (SPD) für den Erhalt der Kreisfreiheit. "Jedoch gelang es Schäfer nicht, den Stadtrat und die Stadtbevölkerung zu mobilisieren. Auch der Bayerische Städteverband konnte keine Stütze darstellen und das personelle Netzwerk zum Innenministerium fehlte." Die Diskussion um die Kreisfreiheit aber wollte nicht abebben. Im Jahr 1994 kommentierte Schäfers Nachfolger Dieter Thalhammer (SPD): "Auch manch Negatives, das uns von außen her in dieser Zeit aufgedrängt wurde, musste verkraftet werden. Wir haben die Gebietsreform über uns ergehen lassen müssen, in der wir die Kreisfreiheit verloren haben und nur Große Kreisstadt wurden. Aber auch hier ist im Laufe der Geschichte noch nicht das letzte Wort gesprochen."

Zwist gab es auch im Zuge einseitig anvisierter Eingemeindungspläne der Stadt Freising. So unterbreitete etwa der Freisinger Stadtrat im September 1971 dem bayerischen Innenministerium sein Vorhaben, sich diverse Gemeinden aus dem Umland sowie das gesamte Flughafengebiet einzuverleiben. "Diese Vorschläge sorgten für viel Ärger, da die Stadt davor mit den betroffenen Gemeinden keinen Kontakt aufgenommen hatte", heißt es in den Archivdokumenten.

Im Rahmen der Gebietsreform entstanden außerdem drei Verwaltungsgemeinschaften (VG). Allershausen und Paunzhausen - bis 1994 auch Kirchdorf und Hohenkammer - bilden die VG Allershausen. Laut deren Angaben sind die Mitglieder "eigenständige Gemeinden mit allen gesetzlichen Organen wie 1. Bürgermeister und Gemeinderat. Allerdings verfügen sie nicht über eine eigene Verwaltung". Diese werde von der VG wahrgenommen, einer eigenständigen, von beiden Gemeinden finanzierten Behörde. Gammelsdorf, Hörgertshausen, Mauern und Wang bilden seit 1978 zusammen die VG Mauern. Ähnlich wie in Allershausen erfolgt dort die Verwaltung in Mauern, die vier Gemeinden entscheiden jeweils "eigenständig über ihre kommunalen Angelegenheiten". Die VG Zolling besteht aus Attenkirchen, Haag, Wolfersdorf und Zolling.

© SZ vom 17.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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