Freisinger Stadtarchiv:Prominentes Unfallopfer

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Das Archivstück des Monats ist ein "Neuigkeitenbuch" der früheren Stadtpolizei. Darin ist nachzulesen, wie der bekannte Schauspieler Ferdinand Marian 1946 auf der Münchner Straße ums Leben kam

Von Matthias Lebegern, Freising

Einen besonders spannenden Einblick in die Geschichte einer Stadt bietet die Auseinandersetzung mit ihrer Kriminalhistorie. Für die Erforschung der Freisinger Polizeiarbeit gibt es eine interessante, bislang wenig beachtete Quelle: die sogenannten Neuigkeitenbücher der (bis 1972 bestehenden) Stadtpolizei. In diesen Diensttagebüchern, die leider nicht mehr durchgehend überliefert sind, wurden die Geschehnisse des laufenden Betriebs in Form kurzer Tätigkeitsberichte festgehalten. Durch die Einträge hat das Freisinger Stadtarchiv Kenntnis von einer Vielzahl an Ereignissen, Unfällen und Straftaten, die sich im 20. Jahrhundert in Freising ereignet haben.

So wissen die Archivare aus dieser Quelle beispielsweise auch von einem schweren Verkehrsunfall, der sich am 9. August 1946 abends auf der Münchner Straße zugetragen hatte. Kurz hinter der südlichen Freisinger Stadtgrenze war, wie es der diensthabende Stadtpolizist Sieber am darauffolgenden Tag ins Neuigkeitenbuch eintrug, ein Wagen von der Straße abgekommen und mit einem Baum kollidiert. Die beiden Beifahrer, der aus Prag stammende Karl Hermann und dessen Verlobte Erna Ladislava, wurden anschließend leicht verletzt in das Krankenhaus gebracht. Der Fahrer aber verstarb noch am Unfallort; hierbei handelte es sich um den damals sehr bekannten Schauspieler Ferdinand Marian.

Der gebürtige Österreicher Marian war in den 1920er und 1930er Jahren über das Schauspiel am Theater bekannt geworden und hatte ab 1938 ein festes Engagement am Deutschen Theater in Berlin. Zudem trat er ab 1933 in mehreren Filmen auf, wodurch er in den späteren 1930er Jahren zu einem der beliebtesten deutschen Schauspieler avancierte. Dadurch geriet Marian auch ins Blickfeld der nationalsozialistischen Reichsfilmkammer unter der Führung von Joseph Goebbels, der ihn 1940 für die Hauptrolle in dem antisemitischen NS-Propagandafilm "Jud Süß" auswählte.

In dem Spielfilm von Regisseur Veit Harlan geht es um die historische Figur des Joseph Süß Oppenheimer (1698-1738), einen jüdischen Finanzbeamten am Hof von Herzog Alexander von Württemberg (reg. 1733-1737). In der filmischen Darstellung wird Süß Oppenheimer, entgegen seiner Opferrolle in der historischen Wirklichkeit, als korrupter Beamter und als Lüstling und Vergewaltiger einer Christin verunglimpft. Mit dieser Kunstfigur wurde ein fiktives historisches Schreckbeispiel für antisemitische Vorurteile geschaffen. Nicht zuletzt versuchte man auf diese Weise, die nationalsozialistischen Rassegesetze zu rechtfertigen.

Der Schauspieler Ferdinand Marian befürchtete, von der Reichsfilmkammer künftig nicht mehr besetzt zu werden, weshalb er sich nicht traute, die ihm angebotene Rolle abzulehnen. Auch in der Folgezeit trat er in weiteren nationalsozialistischen Propagandafilmen auf, wie etwa in dem antibritischen Film "Ohm Krüger" über den Burenkrieg im südlichen Afrika. Hierdurch wurde er von Joseph Goebbels weiter gefördert und schließlich auch vor dem Militäreinsatz im Zweiten Weltkrieg bewahrt. Diese Verbindungen in den nationalsozialistischen Propagandaapparat führten nach 1945 dazu, dass er von den Alliierten mit einem lebenslangen Berufsverbot belegt wurde.

Nach dem Krieg lebte Ferdinand Marian seit dem Jahr 1945 in der Stadt Freising. Als er im darauffolgenden Jahr tödlich verunglückte, kamen Gerüchte auf, dass es sich auf Grund seiner beruflichen Situation um einen Suizid gehandelt haben könnte. Abschließend konnte diese Frage nie geklärt werden. Dagegen sprach vor allem die Tatsache, dass es bereits Bestrebungen gab, Marian wieder als Schauspieler zuzulassen.

Quellen: StadtAFS, B II, Polizeibücher, Neuigkeitenbuch 1944-1946; ebd., Altregistratur nach 1945, Nr. 04700262, Allgemeine Polizeiangelegenheiten. Knilli, Friedrich: Ich war Jud Süß. Die Geschichte des Filmstars Ferdinand Marian. Mit einem Vorwort von Alphons Silbermann, Berlin 2000.

© SZ vom 26.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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