Geht man hungrig einkaufen, kennt die Versuchung wohl jeder: Wenn die Augen größer als der Magen sind, greifen die Hände relativ wahllos Produkte aus den Supermarktregalen. Und daheim fällt dann auf, dass man viel zu viel eingekauft hat. Ein Teil der Lebensmittel landet dann schnell mal im Müll. Das geschieht pro Jahr mit über elf Millionen Tonnen Naturalien allein in Deutschland. Wie kann man aktiv gegen eine solche Verschwendung vorgehen? Keine leichte Frage - und Thema des zweiten Ernährungsdialogs in Freising.
Das Podium im Lindenkeller teilten sich Thomas Skurk, Ernährungswissenschaftler und Arzt, Katarina Schickling, Bestseller-Autorin, Georg Schmid, stellvertretender Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbands, Georg Schirrmacher, Direktor EIT Food Region West (ein europäisches Innovations- und Technologieinstitut mit Sitz in Freising), Manuela Gassner, Hochschuldozentin und Autorin, und Lukas Stanzl, Gründungsmitglied des Vereins "Übrig e. V." Mit ihnen sei die "geballte Kompetenz" auf der Bühne vertreten, sagte TV-Moderatorin Eva Walig, die die Podiumsdiskussion leitete.
Mit 59 Prozent entsteht der Großteil der Lebensmittelabfälle in privaten Haushalten, wie Erhebungen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft aus dem Jahr 2022 belegen. Diese Menge hinke jedoch, sagte Katarina Schickling. "Ich ärgere mich jedes Mal, wenn ich diese Zahl höre." Was nämlich nicht dabei bedacht werde, sei, dass auch Reste mit eingerechnet würden, "die wir nicht essen können". Beispielsweise Knochen oder Kartoffelschalen. Durch die Zahl werde häufig das Bild eines "unkoordinierten Einkäufers" suggeriert. "Niemand schmeißt gerne Lebensmittel weg", sagte Schickling.
Häufig geschieht dies aber, sobald das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Obwohl die Lebensmittel durchaus noch genießbar seien, würden sie entsorgt, kritisierte sie. "Wir haben die Fähigkeit verloren zu erkennen, ob etwas noch gut oder schon schlecht ist." Dabei lasse sich mit einem Blick oder einer Geruchsprobe feststellen, ob die Milch oder der Jogurt verdorben sei. Bei richtiger Lagerung seien die Lebensmittel meist weiterhin ohne Einschränkung verzehrbar. Ein Mindesthaltbarkeitsdatum sei nicht gleichzusetzen mit einem Wegwerfdatum, so Schickling.
Anders sehe das beim Verbrauchsdatum aus: Dieses gilt für sehr leicht verderbliche Lebensmittel wie zum Beispiel Hackfleisch, die nach Ablauf dieses Datums mit mikrobiologischen Risiken für die menschliche Gesundheit verbunden sein können, erläuterte Thomas Skurk. Auf der Verpackung müsse dies mit dem Hinweis "verbrauchen bis..." gekennzeichnet werden. Eine Aufklärung über die Bedeutung dieser unterschiedlichen Aufdrucke hält Georg Schmid daher für sinnvoll. "Es steht und fällt mit der Bildung", sagte er. Zudem appellierte er an die Verbraucher, Lebensmittel mit "optischen Mängeln" nicht sofort auszusortieren oder wegzuschmeißen. Sie seien nicht weniger geschmackvoll.
Nun haben jedoch Filme, wie aus Walt Disneys Schöpfung, uns eines gelehrt: Schön ist gleichzusetzen mit gut. Was den Geschmack angeht, gilt das allerdings nicht. Im Gegenteil: Eine Banane beispielsweise, die strahlend gelb leuchtend in der Auslage liegt, könne im Geschmack nicht mit einer mithalten, die bereits braune Flecken aufweist - das Idealstadium des Obsts, obwohl vielleicht nicht ganz so hübsch. Dieses Bewusstsein, dass das makellose Aussehen der Ware nichts über den Geschmack aussagt, müsse in den Köpfen der Verbraucherinnen und Verbraucher geschaffen werden, findet Schmid.
Doch die Ware im Supermarkt ist meist: makellos. "Wenn der Verbraucher immer mit der perfekten Ware konfrontiert ist, weiß er nicht, wie divers Obst und Gemüse aussehen kann", mahnte Manuela Gassner. Dies müsse sich ändern. Krummes Gemüse werde allerdings oft auf dem Feld zurückgelassen und nicht abgeerntet, monierte Schickling. Sie rät daher, Lebensmittel regional zu erwerben - dadurch blieben die Produkte zudem länger frisch und haltbar. Im Supermarkt hätten Obst und Gemüse bereits weite Wege hinter sich gebracht. Teilweise befänden sich diese Lebensmittel mehrere Wochen in Kühlhäusern. "Dann muss ich mich nicht wundern, dass das Obst nach fünf Tagen bei mir zuhause schlecht wird."
Für Lukas Stanzl ist es wichtig, dass eine Wertschätzung für die Lebensmittel und ihre Produktion zurückkehrt. "In Lebensmittel steckt doch bereits das Wort Leben", sagte er. Mit dem Café Übrig wolle er einen "Wow-Effekt" generieren, wie viel Lebensmittel weggeschmissen werden. In dem Café können übrig gebliebene Produkte erworben werden. Wichtig ist allerdings auch für Stanzl, dass Anreize für Supermärkte geschaffen werden, um selber weniger Naturalien zu entsorgen. "Es gibt viele Schräubchen, die man nachdrehen muss", sagte er. "Im ganzen System müsse sich etwas ändern", bestätigte Georg Schirrmacher. Nur so könne sich etwas verbessern.
Was können nun aber Einzelpersonen tun, um so wenig wie möglich zu verschwenden? Nun, da wäre einmal, kreativ zu kochen, empfahl Manuela Gassner. Das bedeute, schnell verderbliche Produkte eher zu verbrauchen oder auch Reste vom Vortag zu verwerten. "Fragen Sie Chat-GPT", scherzte Moderatorin Eva Walig. Die künstliche Intelligenz schlage bereits Rezepte vor, in denen Reste verarbeitet werden können. Ernährungswissenschaftler Thomas Skurk riet zudem, weniger einzukaufen und schon gar nicht hungrig den Supermarkt aufzusuchen. Das sei auch für die Gesundheit förderlich. Georg Schirrmacher verwies zudem auf Apps wie "Too Good to Go". Diese verbindet Kunden mit Restaurants oder Geschäften, die unverkaufte oder überschüssige Lebensmittel haben. Auf diese Weise seien bereits elf Millionen Portionen Essen gerettet worden, so Schirrmacher. Und Lukas Stanzl fügte hinzu: "Viele kleine Initiativen können bereits erfolgreich sein".