Auf dem Campus in Freising:Hoffen auf Normalität

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Ob das bevorstehende Wintersemester wieder in Präsenz stattfinden kann, ist noch nicht sicher. Die Studierenden würden es sich wünschen, auch wenn die digitale Lehre positive Seiten hat.

Von Pia Schiffer und Marie Schlicht, Freising

Im März 2020 schlossen Corona-bedingt die meisten Universitätsbibliotheken, im folgenden Monat startete das erste digitale Semester. Mittlerweile ist über ein Jahr vergangen, doch die Lage an den Universitäten hat sich kaum verändert. Zwar solle das anstehende Wintersemester in Präsenz stattfinden, dies könne angesichts der ungewissen Pandemieentwicklungen jedoch nicht garantiert werden, sagt der Pressesprecher der TU München (TUM), Ulrich Meyer. Für einzelne Fakultäten, unter anderem die "TUM School of Life Sciences" in Freising, steht laut Studentin Jana Walbaum aber bereits fest, dass viele Kurse im nächsten Semester digital gehalten werden.

Kritik an der Kommunikation

"Ich verstehe nicht, wie in anderen Ländern und Bundesländern alles geöffnet sein kann, auch die Clubs, und hier kann man nicht mal in die Uni gehen", kritisiert Walbaum. Die 22-Jährige befindet sich derzeit im zweiten Semester des Masterstudiengangs "Sustainable Resource Management" in Freising. Zwar könne sie die Vorsicht der Universität bezüglich der Ansteckungsgefahr auf dem Campus nachvollziehen, im Vergleich zu den Lockerungen in anderen Bereichen erscheint ihr das Vorgehen jedoch unverhältnismäßig. "Vor meinem ersten Semester im vergangenen Herbst hieß es hybrid, dann war es doch online, vor dem zweiten Semester hieß es dann, dass ausschließlich Onlinelehre stattfinden soll. Für das nächste Semester schickt der Präsident der Universität eine E-Mail herum, in der steht, dass geimpfte Studierende zurückkommen können, die Fakultäten hingegen sagen, es geht nicht. Da muss man sagen, dass die Kommunikation wirklich sehr schlecht ist", ärgert sie sich.

Thomas Graf, Student des Bachelorstudiengangs Lebensmitteltechnologie, schaut der Präsenzlehre im Wintersemester noch zuversichtlich entgegen. Seine Fakultät habe bisher noch keine Einschränkungen bezüglich der Präsenzveranstaltungen ausgesprochen. "Ich freue mich riesig darauf, dass im nächsten Semester vielleicht wieder Veranstaltungen in Präsenz stattfinden. Man muss ja keine Vorlesung mit 1000 Leuten im Hörsaal stattfinden lassen, aber Seminare im kleinen Rahmen finde ich inzwischen vertretbar", sagt er.

Unabhängig davon, wie unterschiedlich es für die Studentinnen und Studenten im nächsten Semester weitergeht: Die vergangenen eineinhalb Jahre waren für fast alle von sozialen, finanziellen und technischen Schwierigkeiten geprägt. Besonders das mangelnde Sozialleben ging - und geht - vielen nah. So hatten vor allem Erstsemester, die für ihr Studium in eine andere Stadt gezogen sind, kaum die Möglichkeit, Leute kennenzulernen und Freundschaften zu schließen.

"Die digitale Lehre hat den Studienanfang enorm erschwert. Ich habe mein erstes Semester direkt online verbracht und dementsprechend kannte ich zunächst keine Leute", erzählt Thomas Graf. Zwar sei man in einzelnen Lehrveranstaltungen bei Zoom in Lerngruppen eingeteilt worden, damit man untereinander in einen Austausch kommen könne, dies habe jedoch keinesfalls die eigentliche soziale Interaktion auf dem Campus ersetzt. "Ich habe mein bisheriges Studium fast ausschließlich in meinen eigenen vier Wänden verbracht. Aber ich habe versucht, das Beste daraus zu machen und mich mit der Situation zu arrangieren", fasst Graf die beiden Semester zusammen.

Das fehlende Sozialleben ist ein Problem

Mit diesem Problem ist er nicht allein: Laut einer McKinsey-Studie aus dem Jahr 2020 empfanden 69 Prozent der befragten Studierenden das fehlende Sozialleben als größte Herausforderung des Studiums. Platz zwei und drei belegten Motivations- und Konzentrationsprobleme (59 Prozent) und Probleme bei Einschätzung des Lernstoffes (43 Prozent). Zudem kam die finanzielle Belastung hinzu, da vor allem im letzten Jahr viele Studentinnen und Studenten ihren Nebenjob verloren haben. Laut einer Umfrage des Personaldienstleisters Zenjob waren das etwa 40 Prozent. Gemäß des Centrums für Hochschulentwicklung ist die Zahl der Neukredite von Studierenden im vergangen Jahr auf 53 000 angestiegen - ein Zuwachs von mehr als 60 Prozent.

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Auch die technischen und organisatorischen Herausforderungen für die Universität - aber auch die Studierenden - waren prekär. "Es war sehr anstrengend, immer nur die Onlinevideos anzuschauen. Im ersten Semester waren meine Vorlesungen zumindest noch synchron, inzwischen werden einfach nur noch Videos zum Download hochgeladen, die man sich dann alleine zuhause anschauen soll." Hinzu komme, dass die Tonqualität von den Uploads sehr schlecht gewesen sei. "Ein Dozent hat sein Video vom vorherigen Semester genommen und dann neue Aufnahmen eingefügt. Leider war die Lautstärke so verschieden, dass man zwischendurch beinahe einen Hörsturz erlitten hat", erinnert sich Jana Walbaum. "Nach eineinhalb Jahren Pandemie sind die technischen Voraussetzungen immer noch nicht hinreichend gegeben. Es ist ein Trauerspiel."

Karen Drechsel, Masterstudentin der Biologie, berichtet ebenfalls von organisatorischen Fauxpas der Universität: Nicht stattgefundene Vorlesungen oder fehlenden Plätze für Forschungspraktika seien während der Pandemie der Normalfall gewesen. Dennoch betont sie, dass sich die Dozenten wirklich bemüht hätten, um Praktika für möglichst viele Studierende anzubieten. Dass dies häufig nicht möglich war, ist laut Drechsel nicht das Verschulden der Universität. Generell dürfe man den Universitäten nicht die Schuld an allem geben, bestätigt auch ein anderer Student: "Zwar hätte die Organisation der Universität und meiner Fakultät wirklich besser sein können, jedoch kann ich das natürlich nur aus meiner Perspektive als Student beurteilen. Die Implementierung der gesamten Onlinelehre ist sicherlich schwieriger umzusetzen, als sich viele Studierende vorstellen können."

Zelte "retten" die Klausuren

Zumindest die Klausuren konnten alle auf dem Campus geschrieben werden - in Klausurzelten. Obwohl diese im Winter etwas kalt waren, haben sie dafür gesorgt, dass die Studierenden mit genügend Abstand und gemeinsam ihre Klausuren schreiben konnten. "Ich bin einfach froh, dass das Zelt die Möglichkeit eröffnet, dass überhaupt Prüfungen oder Veranstaltungen stattfinden können. Ich schreibe die Klausur lieber in einem Zelt als gar nicht", sagt Thomas Graf. Vor der Prüfung habe man bereits Eintrittszeiten zugewiesen bekommen. Im Zelt seien dann die Tische mit den nötigen Abständen verteilt. An jedem Tisch sei ein QR-Code, bei dem man sich registrieren müsse, bevor die Prüfung beginnt, erzählt er.

Trotz der negativen Erfahrungen der letzten drei Semester blicken die Studentinnen und Studenten optimistisch in die Zukunft. Vor allem in Bezug auf die digitale Lehre habe man viel für die Zeit nach der Pandemie lernen können. "Ich denke, dass auch in Zukunft noch Aufzeichnungen von den Lehrveranstaltungen bereitgestellt werden. Ich würde mir wünschen, dass es sowohl Präsenzveranstaltungen gibt, als auch die Aufzeichnungen dazu hochgeladen werden, falls man an der Vorlesung nicht teilnehmen kann", sagt Graf.

Digitale Lehre ist andernorts schon die Norm

Für ihn hatte die digitale Lehre auch durchaus etwas Positives. "Es war zum Beispiel kein Problem, wenn sich Vorlesungen überschnitten haben, weil eigentlich sowieso alles aufgezeichnet wurde." In anderen Ländern sei dies bereits die Norm, erzählt ein aus England stammender Student des Masterstudiengangs "Sustainable Resource Management". In Großbritannien sei es bereits vor der Pandemie an den Universitäten möglich gewesen, sich Vorlesungen auch im Nachhinein online anzusehen.

Die Hoffnung ist nun, dass die positiven Errungenschaften der Pandemiezeit das wiederaufkeimende Campusleben weiter bestimmen und die negativen Folgen der Online-Semester bald der Vergangenheit angehören. "Angesichts der sich immer wieder ändernden politischen Lage müssen wir sehen, was im nächsten Semester passiert", sagt Pressesprecher Meyer. Trotzdem hofft auch er auf ein Wintersemester, das möglichst viele Studierende auf ihrem Campus verbringen können.

© SZ vom 23.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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