Onlinestudium in  Freising:Zoom-Meetings und falsche Links

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Jeden Tag um spätestens 9 Uhr versucht Olga Ferenschild, an ihrem Schreibtisch zu sitzen. In den ersten Wochen des digitalen Semesters hat sie gelernt: Das klappt nicht immer. Und das ist auch in Ordnung. (Foto: Marco Einfeldt)

Virtuelles Studieren in Zeiten von Corona. Drei Wochen lang hat die Weihenstephaner Studentin Olga Ferenschild der SZ einen Einblick in ihren ungewohnten Alltag gegeben.

Von Laura Dahmer, Freising

Im vergangenen Jahr war alles noch ganz anders. Es war Oktober und Olga Ferenschilds erstes Semester am Weihenstephaner Campus der TU München. "Biologie Life Sciences" heißt der Bachelor, den sie die nächsten Jahre studieren würde. Ein neuer Lebensabschnitt, eine neue Stadt, das erste Mal in einer eigenen Wohnung. Wie viele "Erstis" ging sie fleißig in jede Vorlesung, verbrachte viel Zeit an der neuen Uni, ging mit den neuen Freunden auf Studentenpartys und entdeckte die neue Stadt. Dass sie ihr zweites Semester nun zum Großteil am heimischen Schreibtisch verbringen würde, damit hatte sie wohl nicht gerechnet. Als das Coronavirus nach Deutschland kam, verlegte Ferenschilds Uni die Lehre, wie alle anderen Unis im Land, ins Virtuelle. Drei Wochen lang gibt die Studentin einen Einblick in ihren neuen Alltag.

Woche 1

Das neue Semester beginnt für die 21-Jährige unter schlechtem Vorzeichen: 31 ECTS-Punkte wollte sie im Wintersemester machen, brav nach Studienhandbuch. Auf ihrem Konto verbucht hat Ferenschild, Stand jetzt, sieben. "Nur eine einzige Klausur konnte ich schreiben, die anderen sind wegen der Coronakrise ausgefallen", erzählt sie. "Auch unser Chemiepraktikum mussten wir mittendrin abbrechen." Die Prüfungen sollen nachgeholt werden, statt vier müsste Olga Ferenschild damit jetzt sieben Klausuren schreiben. Als sie ins Semester startet, rumort dieser Gedanke in ihrem Hinterkopf.

Am ersten Unitag setzt sich die Studentin in gemütlichen Alltagsklamotten an ihren Schreibtisch. "Das bringt Routine rein, im Schlafanzug fühle ich mich von vornerein schon unproduktiv", bemerkt sie lachend. Die erste Woche beginnt, das ist nicht ungewöhnlich, mit Einführungsveranstaltungen. Montags geht es los, mit einem Zoom-Meeting im Fach Genetik. Eine halbe Stunde lang sitzt Ferenschild schweigend vor dem Bildschirm. "Der Professor hat gewartet, bis sich alle 180 Studierenden eingewählt haben", erzählt sie später. "Das war eine sehr merkwürdige Situation. Im Hörsaal würde er ja auch nicht warten, bis alle da sind." Sieben Fächer hat Olga Ferenschild dieses Semester, und damit sieben Dozenten, die sehr unterschiedlich arbeiten. Die einen stellen schon zu Semesterbeginn alle Vorlesungen auf der Online-Plattform zur Verfügung, andere machen es Woche für Woche. Wieder andere melden sich gar nicht.

Ferenschild weiß: Dieses Semester muss sie sich, mehr als sonst, selbst organisieren und disziplinieren. Ihre Studenten-WG in Freising steht gerade noch leer, die 21-Jährige sitzt an einem Schreibtisch am Bodensee, in ihrer Heimat. Hier gibt es einen Garten mit Terrasse, ihre Schwestern und damit viele Ablenkungsmöglichkeiten. "Ich versuche, so zu tun, als hätten wir ganz normal Uni. Ich setze mich pünktlich zur Vorlesung an meinen Laptop und höre sie mir dann live an." Aber, stellt sie lachend fest: "Dass ich kurz auf Pause drücken und mir zum Beispiel was zu Essen machen kann, verzögert vieles."

Die echte Uni, sie fehlt ihr jetzt schon. Die Vorlesungen, der Austausch mit ihren Kommilitonen, die Kaffeepausen zwischendurch, der Alltag. Fragen, die Ferenschild hat, kann sie nicht wie sonst in der Vorlesung per Handzeichen klären, sondern muss sie sich parallel mithilfe von Google selbst beantworten. Letztens hat sie daran gedacht, wie ihr Leben letztes Semester zu dieser Zeit aussah. "Klar, da kommt Wehmut auf. Aber Manches bleibt doch gleich: Ich habe noch keinen wirklichen Überblick, bekomme haufenweise E-Mails mit Zugangsdaten und habe keine Ahnung, wie mein Stundenplan eigentlich aussieht", sagt Ferenschild lachend.

Woche 2

Ihr Wecker klingelt, es ist Mittwoch, kurz vor 8 Uhr. Gleich hat sie Vorlesung. Diese Woche geht die Uni richtig los, die Einführungsmeetings sind vorbei. Aber heute hat Olga Ferenschild keine Lust. Sie schaltet den Wecker aus und schläft noch zwei Stunden weiter. "Es passiert mir ab und an", gibt die Studentin zu. "Im letzten Semester gab es das nicht, ich bin immer sofort aufgestanden und war pünktlich in der Uni. Es fehlt der ,soziale Druck', da zu sein." Diese Woche muss sie deshalb öfter mal bis abends am Schreibtisch bleiben, um Liegengebliebenes nachzuholen.

Dabei versucht Ferenschild eigentlich gerade, ihren Tag klarer zu strukturieren: Um 8 Uhr will sie am Schreibtisch sitzen und bis 15 und 16 Uhr da bleiben, bis alle Zoom-Meetings durch sind und sie den neuen Stoff und die Aufgaben für den Tag durch hat. In der Realität variiert es stark, zwischen vier und acht Stunden, schätzt die 21-Jährige, arbeitet sie am Tag.

An die Vorlesungen geht sie mittlerweile anders heran, als sie es im Vorlesungssaal machen würde: "Wenn mir Fragen aufkommen, stoppe ich die Aufzeichnung und recherchiere, um das Problem sofort zu lösen", sagt sie. "Dadurch gehe ich oft tiefer in den Stoff rein." Der Online-Unterricht zeigt hier und da allerdings seine Tücken: Zu ihrer ersten Vorlesung in Physikalischer Chemie wählte sich Ferenschild per Link pünktlich ein - und kam nicht rein. Stattdessen stand dort "Ihr Host befindet sich in einem anderem Meeting". Wie sich nachher herausstellte, hatte die Dozentin einen falschen Link geschickt und ihre Vorlesung in einem anderen virtuellen Raum abgehalten. Wenn der Unitag vorbei ist, näht Olga Ferenschild vor allem Masken. Vor ihrem Studium hat sie eine Nähausbildung gemacht und versorgt jetzt Freunde und Familie mit selbst genähtem Mundschutz - und seit dem Wochenende auch ein Chemielabor an der Universität Konstanz.

Woche 3

Die dritte Semesterwoche bricht an, seit wenigen Tagen sitzt Ferenschild wieder in ihrer Studentenwohnung. Der Platz ist enger, der Schreibtisch kleiner, der Garten fehlt. Sie ist nicht gut drauf, die Luft ist raus. Auf die Uni kann sie sich gerade irgendwie einfach nicht konzentrieren. "Dieses blöde Corona", murmelt sie ins Telefon. Ende der Woche geht es wieder besser, sie ist "raus aus ihrem Motivationsloch", wie sie freitags sagt. Ferenschild versucht, immer zur selben Uhrzeit aufzustehen. Um sich bei der Stange zu halten, hat sie eine Taktik entwickelt: Viele, kurze Pausen, die kleine Belohnungen beinhalten. Und sie hat gelernt: "Es ist okay, wenn ein oder zwei Tage gar nichts läuft und man nicht alles schafft, was ansteht." Sie weiß von Kommilitonen, die gerade gar keinen Spaß mehr am Studium haben und sich überhaupt nicht aufgerafft bekommen. "So schwarz male ich es nicht, aber es zieht mich schon ein Stück weit mit runter", sagt die Studentin. "Ich denke mir dann immer: Ich bin mit meiner Situation nicht alleine. Uns allen geht es so."

Nach den Lockerungsmaßnahmen kann sich Ferenschild wieder mit ihrer großen Schwester treffen, die in München wohnt und auch noch studiert. "Wir lernen jetzt ab und an zusammen", sagt sie. Jetzt hat sie aber erst mal Wochenende. Das erste ohne schlechtes Gewissen. "Diese Woche habe ich alles geschafft, was ich schaffen wollte. Wenn das nächste Woche nicht klappt, ist das auch in Ordnung."

Die Kommunikation zwischen Dozenten und Studenten läuft mittlerweile gut, sagt Ferenschild. Ab und an treffen sie sich mit ihrem Studiendekan bei Zoom, um Unsicherheiten zu klären und Feedback zu geben. "Einige Dinge wissen wir immer noch nicht. Zum Beispiel, was unsere Nachholprüfungen angeht. Aber das klärt sich hoffentlich bald."

© SZ vom 09.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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