Stricken ist wieder angesagt:Trendige Handarbeit statt langweiliges Oma-Hobby

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In gemütlicher Runde entstehen Socken, Schals, Pullover und Mützen. (Foto: Johannes Simon)

Jeden zweiten Dienstag im Monat trifft sich die Gruppe "Freising nadelt" im Gasthaus "Lerner". Von jung bis alt sind hier alle vertreten, stricken Socken, Mützen und Pullis. Auch Männer sind dabei.

Von Lena Meyer, Freising

Hell silbern leuchten die Spitzen der Stricknadeln im Licht, während sie auf und ab tanzen. Nach und nach verweben sie unterschiedliche Farben und Muster ineinander. Grün, lila, blau und weiß, Motive kleiner Muscheln oder Sonnen. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Die Blicke sind konzentriert nach unten gerichtet, während dicke Knäuel an Wolle auf einem langen Tisch im Gasthaus "Lerner" ruhen. Daneben findet man das ein oder andere Glas Bier, Wein oder Limonade. In gemütlicher Atmosphäre fertigen die Mitglieder der Gruppe "Freising nadelt" Socken, Schals, Pullover und Mützen an. Im Gasthaus "Lerner" findet das Treffen jeden zweiten Dienstag im Monat statt.

Hier vermischen sich die Generationen, treffen Menschen mit den unterschiedlichsten Berufen aufeinander. "Ein bunter Haufen", so beschreibt Tatiana Schropp, Mitbegründerin des Treffens, die Mitglieder der Gruppe. Egal, ob Doktorin, Hausfrau oder Student, Anfängerin oder Strickprofi - "hier ist alles vertreten", sagt Schropp. Und das zahlreich. Mittlerweile umfasst die Gruppe ungefähr 39 Mitglieder, überstand einige Krisen wie etwa die Corona-Pandemie.

Dabei galt wie beim Stricken das Motto der Kreativität. "Wir haben über Skype gestrickt", erinnert sich Schropp. Trotz ersten Anlaufschwierigkeiten mit der Technik habe die Gruppe dennoch zueinander gefunden und die Zeit überstanden, in der ein so gemütliches Beisammen sitzen wie an diesem Tag nicht möglich war. "Es war ganz lustig", bilanziert Karin Hess, ebenfalls Gründungsmitglied der Gruppe. Für sie ist Stricken eine kreative Herausforderung, die sich gut in den Alltag integrieren lasse.

Entgegen aller Klischees stricken nicht nur ältere Frauen; die jüngste Strickerin ist 22 Jahre alt, die älteste 77. Wann genau sie mit dem Stricken angefangen habe, könne sie nicht mehr mit Gewissheit sagen, sagt Lea, die Jüngste in der Runde. 2019 muss es wohl gewesen sein. Oft werde das Stricken als "Oma-Tätigkeit" belächelt, bedauert sie, ihr Hobby treffe oftmals auf Unverständnis. Dabei halte es fit, sagt eine fleißige Strickerin ein paar Sitze weiter. Auch der Austausch untereinander sei durchweg positiv. "Niemand bleibt allein", sagt jemand ein paar Sitze weiter und erntet zustimmendes Nicken. In der Gruppe achte man eben aufeinander und plane auch Aktivitäten außerhalb der Handarbeit.

Beim Stricken muss genau Maß genommen werden. (Foto: Johannes Simon)
Ein Glas Bier gehört beim Stricken im Gasthaus Lerner dazu. Es darf auch ein alkoholfreies sein. (Foto: Johannes Simon)
Unterschiedliche Generationen treffen beim Stricken aufeinander. (Foto: Johannes Simon)

Jetzt fließt die Wolle unter Leas Nadel zu einer grünen Mütze zusammen, die kleinen Muster von feinen Muscheln ziehen sich darüber. Etwa einen Monat brauche sie dafür. Eine ganz schön lange Zeit. "Viele wissen gar nicht, wie lange es dauert, ein Paar Socken zu stricken", sagt Tatiana Schropp. Karin Hess wünscht sich deswegen mehr Wertschätzung. Gegenüber dem Stricken und dem Gestrickten und Gehäkelten. "Heutzutage wird viel maschinell gestrickt. Häkeln aber kann keine Maschine", erklärt sie. Im Umkehrschluss hieße das also, dass gehäkelte Ware oftmals zu Dumping-Preisen verkauft würde. "Das wissen viele Leute nicht", bedauert Hess.

Mittlerweile findet man Stricknadeln und Wollknäuel auch in den Hörsälen der Universitäten. "Ich bin nicht die einzige, die in den Vorlesungen strickt", sagt Tabea, 23 Jahre alt und Studentin. Ist Stricken also ein Trend unter den jungen Leuten? Tabea ist sich dabei nicht so sicher. Doch während der Corona-Pandemie ist die Arbeit mit Wolle und Nadel in den sozialen Netzwerken häufig sichtbar gewesen, viele hatten Zeit, sich daran auszuprobieren. Hinzu komme auch der Nachhaltigkeitsgedanke, der immer stärker in das Zentrum der Gesellschaft rückt, vermutet Tabea. Denn wer strickt, produziert selbst und muss nichts kaufen. Vielleicht also ein Zusammenspiel aus diversen Punkten. Doch ob Nadel und Wolle erst durch Corona eine Renaissance erlebten, ist fraglich. Die 71-jährige Elin, an diesem Abend die Älteste in der Runde, vermutet den Beginn einer Wiederentdeckung Anfang der 2000er-Jahre.

Mancher nimmt gern leuchtende Farben. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. (Foto: Johannes Simon)
Der Austausch untereinander und die Unterhaltungen schätzen alle, die in der Gruppe "Freising nadelt" zusammenkommen. (Foto: Johannes Simon)

"Früher haben alle gestrickt", erinnert sie sich, "dann war eine Weile lang alles tot." Bis zur Jahrtausendwende, sagt sie. Was Elin an der Gruppe schätze, sei der Austausch untereinander, die Unterhaltungen. Das halte fit. "Und natürlich auch das hier", sagt sie und nickt auf das Weinglas vor ihr.

Und war die Arbeit mit Nadel und Faden früher reine Frauensache, sitzen mittlerweile auch Männer oft an den Stricktischen, sagt Schropp. "Und die sind sehr talentiert." Einmal, so erinnert sie sich, sei etwa ein Zimmermann auf der Walz dazu gestoßen und habe an einem Paar Socken gestrickt. Ein anderer Mann habe einmal einen Pullover gefertigt - "diese Farben, diese Muster; das habe ich bis heute nicht vergessen", schwärmt Tatiana Schropp.

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