Geschäfte im Landkreis Freising:Vielen steht das Wasser bis zum Hals

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Rainer Ströll vom Freiluftwerk versteht, dass Inhaber auf ihre Lage aufmerksam machen wollen. Aber: Man gerate schnell "in komisches Fahrwasser"s (Foto: Marco Einfeldt)

Den Einzelhandel trifft der Lockdown hart. An der Initiative "Wir machen auf," die mit den Querdenkern in Verbindung gebracht wird, beteiligen sich die Geschäftsinhaber in Freising aber nicht.

Von Nadja Tausche, Freising/Moosburg

Im Rahmen der bundesweiten Aktion "Wir machen auf" hatten Inhaber von Geschäften und Restaurants geplant, am Montag trotz Verbots zu öffnen. Viele Ladenbesitzer hätten nichts mehr zu verlieren, heißt es auf der Webseite der Initiative - die dazugehörige Telegramgruppe verzeichnet knapp 58 000 Abonnenten. In Freising scheint die Aktion allerdings keinen Fuß fassen zu können. So scheint es zumindest, wenn man am Montagmittag durch die Obere und Untere Hauptstraße spaziert: Geschäfte machen mit Plakaten in der Ladentür auf ihren Lieferservice aufmerksam oder auf die Möglichkeit, bestellte Waren im Laden abzuholen. Geöffnet zu haben scheint aber keiner, dem das verboten ist.

Beim Initiator von "Wir machen auf" handelt es sich um den Besitzer eines Kosmetikstudios in Krefeld - er steht Recherchen des Redaktionsnetzwerks Deutschland zufolge mit den sogenannten "Querdenkern" in Verbindung, hat vergangenen Sommer auf einer Versammlung der Gruppierung eine Rede gehalten. Eigentlich hätten die Betriebe schon am vergangenen Montag öffnen sollen, das Ganze war aber um eine Woche verschoben worden. Auch in anderen Ländern wie in Österreich und der Schweiz waren Öffnungen geplant.

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Einzelhändler bewerten es positiv, dass man seit Montag bestellte Waren in den Läden abholen darf. So haben sie nun wieder Kontakt zum Kunden. An ihrer schwierigen Lage im Lockdown ändert das aber nicht viel.

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Die hohe Strafe ist abschreckend

Anita Dähne, Inhaberin des Geschäfts Blumenhandwerk, sagt zu der Aktion: "Wir würden gerne aufmachen" - aber sie könne sich die Strafe nicht leisten. "Lieber stecke ich das Geld in mein Geschäft und schaue, dass ich meine Angestellten behalten kann", so Dähne. Sie verstehe aber, dass man etwas unternehmen wolle, "um die Leute wachzurütteln, vor allem die Politiker", wie sie sagt. Der Lockdown bereite ihr große finanzielle Probleme, von der staatlichen Unterstützung sei noch nichts bei ihr angekommen.

Rainer Ströll, Inhaber des Sportgeschäfts "Freiluftwerk", findet: "Man muss aufpassen, dass man nicht in komisches Fahrwasser gerät." Er habe nichts mit der Bewegung der "Querdenker" zu tun, betont er, auch nicht mit Menschen, die das Coronavirus verharmlosen. Aber: "Ich kenne viele Einzelhändler in der Stadt, denen das Wasser bis zum Hals steht." Wenn die Existenz der Familie auf dem Spiel stehe, könne er durchaus nachvollziehen, dass man darauf aufmerksam machen wolle. Hölzlkramer-Inhaberin Monika Stanglmeier betont, sie werde auf keinen Fall an der Aktion teilnehmen und könnte die Idee aufgrund der Infektionslage auch nicht unterstützen: "In der derzeitigen Situation finde ich es gut, dass Läden zu sind."

In Freising kursieren anonyme Briefe

Komplett an Freising vorbeigegangen ist die Aktion aber nicht. Zwei Freisinger Ladeninhaber berichten davon, anonyme Briefe bekommen zu haben: Darin wird dazu aufgerufen, "unabhängig von den Entscheidungen der Politik" das Geschäft zu öffnen. Einer der Briefe kommt, so steht es darin, von einem Unternehmer in Freising, der zum Ende des Briefs hin eine Entschuldigung anhängt, den Brief nicht persönlich unterzeichnet zu haben. Darauf folgt der - sehr fragwürdige - Satz: "Als einzelner zum Widerstand aufzurufen ist gefährlich geworden in dieser Zeit."

Martin Neu distanziert sich scharf von "Querdenkern, Corona-Leugnern und Rechtsextremen", wie er sagt. Von der Aktion "Wir machen auf" hat der Inhaber des Modehauses "Neu" in Moosburg noch nichts gehört - dafür beteiligt er sich an der Initiative "Wir machen aufmerksam": Die fordert laut Webseite die Wiederöffnung des lokalen Einzelhandels oder "angemessene Entschädigungen". Dass die Gesundheit der Menschen vorgehe, sehe er ein, sagt Neu - aber er wünsche sich eine höhere Ausgleichszahlung vom Bund. Im Rahmen Aktion hat er nicht sein Geschäft geöffnet, aber die Presse eingeladen, "um die Politik zu sensibilisieren", wie er sagt. Sein Problem erklärt er so: Die sogenannte Überbrückungshilfe des Bundes werde auf die Fixkosten angewendet. Das decke aber nur rund sieben Prozent seines Umsatzes. Viel wichtiger sei die Ware: Eigentlich müsse er jetzt die Winterkleidung verkaufen, um das Geld in Frühjahrsmode zu investieren. "Da türmen sich Berge an Waren", so der Inhaber - und die Lieferanten wollen ihr Geld. Das Problem hat er derzeit wieder, denn aktuell steht die Bestellrunde für den Herbst an - und er habe keine Ahnung, wie die Situation im Herbst sei. Helfen könnte hier der Vorschlag von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), dass künftig Waren bis zu 50 Prozent als Fixkosten anrechenbar sein sollen.

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Friseure fordern Entschädigungen

Der Aktion "Wir machen aufmerksam" hatten sich zuletzt auch Freisinger Friseure angeschlossen. "Wir haben keine Möglichkeit eines Onlinehandels, wir können auch nichts To Go anbieten, unsere Dienstleistung ist unser Kapital", heißt es in einer Pressemitteilung der Friseur- und Kosmetik-Innung Freising. Man fordere eine "angemessene Entschädigung".

© SZ vom 19.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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