Erdbeben in der Türkei:Angst, Besorgnis und Hilfsbereitschaft

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Viele Menschen wollen einen Flug in die Türkei buchen, um so schnell wie möglich nach den Angehörigen zu sehen - und um zu helfen. (Foto: Marco Einfeldt)

Nach der Katastrophe in der Türkei und Syrien ist die Bestürzung und der Wille zu schneller Hilfe gleichermaßen groß. In Freising und Erding werden in aller Eile Hilfsgüter gesammelt, erste Lastwagen sind bereits unterwegs zu den Notleidenden.

Von Regina Bluhme und Pauline Held, Freising/Erding

Im Reisebüro Atalya in der Fischergasse in Freising melden sich bei Ali Tiryakioglu seit Montag viele Menschen, die verzweifelt einen Flug in die Türkei buchen wollen. "Ich habe alle Hände voll zu tun", sagt der Reisebürobesitzer. Bis 22 Uhr saß er am Montag im Büro, am Dienstag ging es um 7 Uhr früh gleich wieder los. Viele Menschen mit Familie im Erdbebengebiet wollten so schnell wie möglich in die Türkei, um nach den Angehörigen zu sehen und um zu helfen, "sie wollen Decken und warme Kleidung bringen". Die Fluggesellschaften versuchten nun, Flüge einzurichten. Er sei rund um die Uhr damit beschäftigt, freie Plätze zu finden. Doch nun hätten aufgrund der Wetterverhältnisse Flüge nach Istanbul annulliert werden müssen. "Die Menschen sind verzweifelt, sie möchten doch helfen. Was soll man sagen, ich habe keine Worte. Gott helfe den Menschen."

Vor dem Alya-Supermarkt in Freising wird seit Montag für Hilfstransporte gesammelt. Die Spendenbereitschaft sei enorm, sagt Yanas Sahin. "Von Klamotten bis Babydecken - irgendwas gegen die Winterkälte". Ein erster Lastwagen habe sich bereits am Montag Richtung Türkei aufgemacht, am Dienstag sind zwei weitere eingeplant.

Die Spendenbereitschaft ist groß, "sie kommt von Herzen und sie kommt auch vor Ort an"

Ömer Korkmaz ist davon überzeugt, dass finanzielle Spenden den Menschen in der Türkei und in Syrien jetzt schneller und besser helfen, als Kleiderspenden. "Kleidung muss erst sortiert, eingepackt und hingeflogen werden. Geld kommt dagegen sofort an", sagt der Vorsitzende der Islamischen Gemeinde in Freising. Deswegen will die Gemeinde am Freitag nach dem Mittagsgebet vor der Moschee Spenden sammeln, um ihren Verwandten, Freunden und Bekannten in der Türkei zu helfen. Zwar beteiligt sie sich auch an einer Kleidersammelaktion eines größeren Hilfenetzwerkes in München. Für schnelle Hilfe will sie allerdings mit der Sammelaktion am Freitagmittag sorgen. In der Zwischenzeit telefoniert Ömer Korkmaz immer wieder in die Türkei, spricht mit Verwandten und Bekannten. Die Sorge unter den Gemeindemitgliedern sei groß, keiner könne die Ausmaße und die verheerenden Auswirkungen des Erdbebens fassen: "Es ist schrecklich. Es ist die größte Katastrophe im letzten Jahrhundert."

In der Freisinger Moschee werden Hilfsgüter gesammelt. (Foto: Marco Einfeldt)

Auch in Erding wird an mehreren Orten gesammelt. Dino Oruc ist Abteilungsleiter beim FC Türkgücü Erding und zugleich Vorsitzender des AWO Ortsverbands Erding. Beide Vereine tun sich jetzt zusammen und sammeln Geld- und Sachspenden für die Erdbebenopfer. Ein Lastwagen aus Erding mit Winterkleidung und Decken sei bereits auf dem Weg, sagt Dino Oruc. Anoraks, Mützen, warme Pullis oder auch Babywindeln können an diesem Mittwoch und Donnerstag zwischen 18 und 20 Uhr im Lagerraum der AWO an der Freisinger Straße 83 abgegeben werden. Zwei der FC-Spieler haben laut Oruc Angehörige im Katastrophengebiet. Zum Glück mussten keine Toten in deren Familie beklagt werden, "aber es ist ja trotzdem jeder Mensch betroffen", sagt Oruc. "Wir müssen irgendetwas tun."

Am Volksfestplatz haben Vertreter der örtlichen Moscheen einen Sammelplatz eingerichtet. Mehrere Trucks sind noch Montagabend abgefahren, ist im Elit Feinkostgeschäft in Erding zu erfahren. Gebraucht werde alles, was gegen Kälte hilft: warme Kleidung, Decken. Die Spendenbereitschaft sei groß, "sie kommt von Herzen und sie kommt auch vor Ort an".

Die Rettungshundestaffel Isar mit Sitz in Oberding wird immer wieder zu Einsätzen gerufen. Das Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet habe aber Dimensionen, "die sprengen unsere Kapazitäten", sagt Vereinsvorsitzender Andreas Inioutis. Hier sei der Bundesverband mit dem dazugehörigen Equipment gefragt.

Die THW-Schnelleinsatz-Einheit hat alle wichtigen Hilfsgüter parat und Flugzeuge bereits gechartert

Auch der Ortsverband des Technischen Hilfswerks (THW) Freising verweist auf seine Schnelleinsatz-Einheit, eine Gruppe, die auf Katastrophen wie Erdbeben spezialisiert ist. Die ehrenamtlichen THW-Kräfte wohnen alle im Großraum des Frankfurter Flughafens. So können sie, wie im Fall des Erdbebens in der Türkei und Syrien, innerhalb weniger Stunden vor Ort sein. Denn bei solchen Katastrophen gehe es vor allem um Zeit, sagt Ortsbeauftragter Michael Wüst. "Um die Menschen noch lebend aus den Trümmern zu bergen, muss das innerhalb von 72 bis 120 Stunden nach dem Erdbeben geschehen", betont er. "Dazu kommt die extreme Kälte, die die Arbeit der Rettungskräfte erschwert." Da mache es keinen Sinn, erst alle Ortsverbände in der ganzen Bundesrepublik abzufragen. Zudem hätte die Schnelleinsatz-Einheit alle wichtigen Hilfsgüter parat, Flugzeuge seien bereits gechartert. "Mit 16 Tonnen Material, darunter Zelte, Versorgungsmittel und Geräte, ist die Schnelleinsatz-Einheit vor Ort", betont Wüst.

Neben dem THW hilft auch das Deutsche Rote Kreuz im Katastrophengebiet, auch hier koordiniert über den Bundesverband in Berlin. "Vom Kreisverband Freising ist im Moment niemand vor Ort", erklärt Kreisgeschäftsführer Albert Söhl. Er könne sich allerdings vorstellen, dass die Kreisverbände später gefragt sein werden, wenn die "Chaosphase" vorbei ist.

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