Amtsgericht Freising:Freispruch für Pornosammler

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Von der Polizei ist am Dienstag ein Angeklagter zu seiner Verhandlung am Freisinger Amtsgericht gebracht worden. Zuvor hatte er zwei Mal seinen Termin geschwänzt. (Foto: Marco Einfeldt)

Unter Tausenden Bildern und Videos auf dem Mobiltelefon eines 26-jährigen Moosburgers befinden sich zehn mit kinder- und jugendpornografischem Inhalt. Ob der Angeklagte sie mit Vorsatz aus einer Chatgruppe heruntergeladen hat, ist nicht nachzuweisen.

Von Peter Becker, Freising

Gut 160 000 pornografische Bilder und 13 000 Videos hatte ein 26-jähriger Moosburger auf seinem Mobiltelefon gespeichert. Bezogen hatte er sie über den Messengerdienst Telegram. Aufgeflogen war die Sammelleidenschaft des Mannes durch Ermittlungen der Kriminalpolizei anlässlich eines anderen Verfahrens. Bei einer Hausdurchsuchung konfiszierten die Beamten zwei Mobiltelefone. Auf einem davon befand sich die Pornosammlung. Eine Auswertung förderte zehn "inkriminierte" Dateien zu Tage, welche die Staatsanwaltschaft als Kinder- oder Jugendpornografie wertete. Weil dem Angeklagten aber kein Vorsatz nachgewiesen werden konnte, solche Dateien zu speichern, sprach ihn das Schöffengericht am Freisinger Amtsgericht frei.

Der Verlauf der Verhandlung dürfte für den Angeklagten schon Strafe genug gewesen sein. Der Prozess zog sich hin, es gab viele Unterbrechungen. Sofort nach der Verlesung der Anklage schaltete sich der Verteidiger des Moosburgers ein. Er verlangte, das Verfahren einzustellen, weil der entsprechende Paragraf 184, speziell der Absatz b des Strafgesetzbuches, stark in der Kritik stehe und überarbeitet werden solle.

"Der Gesetzgeber ist über das Ziel hinausgeschossen."

Im Juli 2021 war es, wohl unter dem Eindruck zahlreicher Fälle von Kindesmissbrauch in Nordrhein-Westfalen zu einer Verschärfung des Paragrafen gekommen. Mit der Novelle ist die Justiz jedoch äußerst unzufrieden. Besitz, Erwerb und Verbreitung von Kinderpornografie gelten seitdem als Verbrechen und werden mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren geahndet. Die Einstufung als minderschwerer Fall, der etwa mit einer Geldauflage abgetan werden könnte, ist so nicht mehr möglich. "Der Gesetzgeber ist über das Ziel hinausgeschossen", stellte der Rechtsanwalt fest.

Ein Münchener Amtsrichter hat deshalb laut dem Internetportal LTO beim Bundesverfassungsgericht eine Normenkontrollklage angestrengt. Er hält den Paragrafen gar für verfassungswidrig. Seine Verschärfung führe zur Kriminalisierung ansonsten unbescholtener Menschen. Das sei etwa dann der Fall, wenn Eltern auf dem Mobiltelefon ihres Kindes Kinderpornos entdecken, diese zur Warnung an Lehrkräfte übermitteln oder an die Polizei senden. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft laut LTO bei Personen, die Bilder besitzen oder verbreiten, ohne im Verdacht zu stehen, selbst Konsument zu sein oder solche Inhalte zu verbreiten, Verfahren regelmäßig eingestellt.

Der Angeklagte wartet bereits über ein Jahr auf seine Verhandlung

Der Anwalt verlangte nun, das Verfahren gegen seinen Mandanten auszusetzen, bis der entsprechende Paragraf überarbeitet ist. "Eine Verbesserung der Stellung des Angeklagten ist zu erwarten", begründete er dies. Das Schöffengericht wies diesen Antrag zurück. Wann der Paragraf überarbeitet werde, stehe in den Sternen, sagte Vorsitzender Richter Manfred Kastlmeier. Dem Bundestag liege noch kein entsprechender Antrag vor. Unter Umständen dauere eine Reform Jahre. "Eine Entscheidung ist nicht abzusehen." Und was die Fürsorgepflicht gegenüber dem Angeklagten anbelangt, welche der Anwalt angemahnt hatte, sei es angebracht, das Verfahren zu beenden. Schließlich warte der Beschuldigte schon über ein Jahr darauf.

Der Münchner Amtsrichter hat bei seiner Normenkontrollklage auch angeführt, dass Mitgliedern großer Chatgruppen Ungemach droht, wenn eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer Kinderpornos teile und diese automatisch auf das Mobiltelefon heruntergeladen würden. Oft ohne dass der oder die Beteiligte etwas bemerkt, da es in großen Chatgruppen oft Hunderte verpasste Nachrichten gibt. Im Falle einer Ermittlung, vielleicht auch in anderem Zusammenhang, hat dies jedoch strafrechtliche Konsequenzen.

In diversen einschlägigen Chatgruppen unterwegs

Dem Vernehmen nach waren einige der Bilder zwar geschmacklos, aber nicht dazu geeignet, sexuelle Erregung hervorzurufen, was der Zweck von Pornografie sei. Die Frage war, ob der Angeklagte, der in diversen einschlägigen Chatgruppen unterwegs war, die Bilder absichtlich auf sein Mobiltelefon geladen hatte oder ob dies automatisch geschah. Die Staatsanwältin hätte dazu gern die Expertise eines IT-Sachverständigen gehört, was das Schöffengericht aber ablehnte.

Ein Vorsatz war dem Angeklagten letztlich nicht nachzuweisen. Angesichts der Vielzahl pornografischer Bilder und Videos sei es fraglich, ob sich der Angeklagte überhaupt dessen bewusst war, dass er inkriminierte Dateien gespeichert hatte. Angesichts der vorgefundenen Menge sei das nicht nachweisbar. Die Dateien befanden sich in Galerien. Eine spezielle Systematik, die es erleichtert hätte, sie zu finden, fehlte. Ein weiterer Anhaltspunkt, dass kein Vorsatz vorlag und der Prozess mit einem Freispruch für den Angeklagten endete.

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