Freising:"Schönheit auf der Kippe"

Lesezeit: 3 min

Einen gebührenden Platz nimmt die Boje vom Starnberger See in der Ausstellung "Woanders Reisen" im Alten Gefängnis ein. Die Künstlerinnen Julia Schmack (rechts) und Mareike Leder haben sie dem Besitzer abgekauft. (Foto: Johannes Simon)

Im Alten Gefängnis in Freising ist derzeit die Ausstellung "Woanders Reisen" zu sehen. Die Künstlerinnen Julia Schmack und Mareike Leder laden zu einer Reise in die Welten der Fantasie ein.

Von Ella Rendtorff, Freising

Beim Betreten der Galerieräume im zweiten Stockwerk des Alten Gefängnis in Freising sticht als erstes eine pink-gelbe Schiffsboje ins Auge, präsentiert als Ready-made auf einem Sockel. Die von modrigem Wasser und den Spuren der Zeit gezeichnete Boje haben die Künstlerinnen Julia Schmack und Mareike Leder bei einem gemeinsamen Malkurs am Starnberger See entdeckt. "Wir sind morgens immer zusammen auf den See raus geschwommen und da war diese Boje so präsent. Wir fanden sie beide ästhetisch, ihre Farben haben uns gefallen. Daraufhin sind wir zu einer kleinen Bootswerft am Ufer und haben den Besitzer davon überzeugt, dass wir eine der Bojen mitnehmen dürfen", erzählen die Künstlerinnen im Gespräch mit der SZ.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Julia Schmack, die neben ihrer kreativen Arbeit an der TU Freising als Insektenforscherin tätig ist, hat die Boje seitdem aufbewahrt. Als die Idee einer gemeinsamen Ausstellung mit Mareike Leder entstand, wurde schnell klar: "Die Boje soll das Hauptobjekt sein, sie kriegt einen ganzen Raum für sich."

Besucher vor einem Bild von Julia Schmack. (Foto: Johannes Simon)
Kulturreferentin Susanne Günther (Rechts) sprach die einführenden Worte bei der Vernissage. (Foto: Johannes Simon)

Die Geschichte der Boje ist nur eine von vielen, die die Kunstwerke in der Ausstellung "Woanders Reisen" erzählen. Die farbenfrohen Gemälde und Fotografien in den fünf weiteren Räumen bilden utopische Fantasiewelten ab, die sich zwischen dem bewegen, "was einmal war und was jetzt ist", so die gelernte Digitaldesignerin Mareike Leder. Hinter jeder Arbeit steckt ein innerer Prozess, da sind sich die beiden Künstlerinnen einig. Durch den Dialog mit sich selbst träten sie in Fantasiewelten und imaginäre Landschaften ein, die sie von ihrem inneren Auge auf die Leinwand übertragen. "Woanders Reisen" im Sinne der Ausstellung bedeutet: sich wegträumen, Erinnerungen aufleuchten lassen und in der Kunst wiederfinden. Julia Schmack, die für ihre Forschungsprojekte bereits viele Länder der Welt bereist hat, hat in Freising einen Ort gefunden, an dem sie ihre Erlebnisse und Sinneseindrücke künstlerisch verarbeiten kann.

Das gute Lebensgefühl hier gebe ihr "den Freiraum, um zu malen". Den fände man nicht überall: Bis sie 30 war, habe sie eine ständige Ruhelosigkeit empfunden, ein Gefühl das "eine ganze Generation häufig umtreibt". Erst als sie im April 2021 nach Freising kam, um hier eine Postdoc-Stelle anzunehmen, sei die Rastlosigkeit von ihr abgefallen. "In Freising fühlt sich alles so sicher an", findet Julia Schmack. Durch ihre vielen Reisen und Exkursionen als Naturwissenschaftlerin war das für sie nicht immer selbstverständlich; lauernde Gefahren und Begegnungen mit den Schattenseiten der Welt gehörten zu ihrem Alltag.

"Was uns verbindet, sind die Farben", sagen die beiden Künstlerinnen

In ihren farbintensiven Acrylgemälden lässt sie Traumlandschaften entstehen, die ein Gefühl von "Schönheit auf der Kippe" vermitteln sollen. Helle, impressionistisch anmutende Farben treffen auf schemenhafte, dunkle Formen. Die Schwelle zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion übertritt Julia Schmack im fließenden Übergang. Bevor sie den Pinsel in Farbe taucht, stellt sie sich vor, was sie in einem bestimmten Moment gesehen, gefühlt, gerochen hat. Daraus entsteht dann das Bild. Eine immer wiederkehrende Inspiration für ihre Gemälde ist der Freisinger Schafhof. Hier habe man das Gefühl, die Natur sei noch intakt, so Schmack. Die Jahreszeiten seien rund um das historische Gebäude noch deutlich spürbar und die Landschaft lade zur künstlerischen Auseinandersetzung ein.

Das Europäische Kunstforum Oberbayern im alten Schafhof bietet Raum für Austausch und Begegnungen kreativer Art. Unter anderem leitet die freischaffende Münchner Künstlerin Cornelia Eichacker hier regelmäßig Malkurse bei der Sommerakademie. Bei einem solchen Kurs lernten sich Julia Schmack und Mareike Leder kennen. Eichacker hätte sie beide in ihrer Kunst maßgeblich beeinflusst, indem sie sie dazu ermutigt habe, Grenzen im eigenen Schaffensprozess aufzusprengen und sich in der Malerei treiben zu lassen. Von Beginn an haben die Künstlerinnen viel gemeinsam gemalt, oftmals im selben Raum, um sich gegenseitig zu inspirieren. Schnell wurde klar, dass sie eine besondere Faszination für Lichtsetzung und Farbkombinationen miteinander teilen. "Was uns verbindet, sind die Farben", erzählen die Beiden.

Die Künstlerinnen verbindet eine besondere Faszination für Lichtsetzung und Farbkombinationen. Diese Bild stammt von Julia Schmack. (Foto: Johannes Simon)

Als sich für Julia Schmack die Möglichkeit einer Ausstellung im Alten Gefängnis auftat, holte sie Mareike Leder direkt ins Boot, nicht zuletzt wegen der gemeinsam erstandenen Schiffsboje, die so endlich ihren Platz als Kunstobjekt bekommen sollte. Mareike Leder, die in Berlin lebt und arbeitet, war sofort dabei: "Als Julia mir vom Alten Gefängnis hier in Freising erzählt hat, habe ich das nicht einmal mehr gegoogelt, weil es einfach so gut klang. Ich habe direkt zugesagt." Seit Freitag läuft nun die Debütausstellung der beiden Künstlerinnen. Mareike Leder, die zuvor noch nie in Freising war, ist begeistert vom Kunstinteresse, das sie hier erlebt: "Es ist eben nicht nur traditionell, sondern es gibt viele Initiativen, auch von jungen Leuten, die über den Mikrokosmos der Kleinstadt hinaus denken."

Die Ausstellung dauert noch bis zum 15. Januar, Freitag von 16 bis 20 Uhr, sowie Samstag und Sonntag von 11 bis 18 Uhr.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusFreisinger Diözesanmuseum
:"Wir wollen die Menschen da abholen, wo sie heute sind"

Fast ein Jahrzehnt war das Museum geschlossen, die Sanierung hat 73 Millionen Euro gekostet. Das Haus verfügt über eine der umfangreichsten kirchlichen Sammlungen der Welt - und der Direktor hat Großes vor.

Von Birgit Goormann-Prugger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: