Aktionswoche:"Ohne die Kompetenz und Leidenschaft der Ehrenamtlichen würde es viele Angebote überhaupt nicht geben."

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Auch eine Einrichtung wie die Freisinger Tafel wäre ohne den Einsatz der ehrenamtlichen Helfer nicht denkbar. (Foto: Johannes Simon)

Nach zweijähriger Corona-Zwangspause veranstaltet die Stadt Freising wieder die Aktionswoche Ehrenamt. Johanna Sticksel, Leiterin des "Treffpunkt Ehrenamt", erklärt, warum die Arbeit der freiwilligen Helfer so wichtig ist.

Von Gudrun Regelein, Freising

Nach zweijähriger Corona-Zwangspause veranstaltet die Stadt Freising wieder die Aktionswoche Ehrenamt. Vom 23. September bis zum 1. Oktober finden dazu viele Veranstaltungen statt - so wird es am Marienplatz einen Ehrenamtsmarkt geben, die Hospizgruppe erklärt, was "Letzte Hilfe" ist und der Bund Naturschutz lädt zur Biotoppflege im Freisinger Moos ein (das gesamte Programm und weitere Infos unter: www.treffpunkt-ehrenamt.freising.de). Schon von diesem Freitag an aber präsentieren sich Vereine und Organisationen in Schaufenstern in verschiedenen Freisinger Geschäften. "Wir wollen mit dieser Woche darauf aufmerksam machen, wie viele Facetten und welche Bedeutung das Ehrenamt für unsere Gesellschaft hat", sagt Johanna Sticksel, Leiterin des Treffpunkt Ehrenamt der Stadt Freising im Gespräch mit der SZ.

Frau Sticksel, welches ist denn das beliebteste Ehrenamt?

Johanna Sticksel: Die meisten Interessenten wollen etwas mit Menschen zu tun haben. Viele wollen etwas mit Kindern machen - oder mit Senioren.

Wer interessiert sich vor allem für ein Ehrenamt? Rentner, die auf einmal ungewohnt viel Freizeit haben?

Nicht nur, zu mir kommen auch Jüngere, Studierende beispielsweise. Oder Menschen, die noch nicht so lange in Freising wohnen und Kontakte knüpfen wollen. Oder eben auch die Älteren, die am Übergang in die Rente stehen und für diesen Lebensabschnitt eine sinnvolle Beschäftigung suchen. Insgesamt sind es etwas mehr Frauen als Männer, die sich ehrenamtlich engagieren wollen.

Und was passiert dann in Ihrer Beratung?

Ich versuche möglichst genau herauszufinden, welche Interessen jemand hat. Was ihm wichtig ist. Eine Frage, die ich stelle, ist auch, was der potentielle freiwillige Helfer gut kann - und was er sich zutraut. Und dann müssen natürlich auch die zeitlichen Möglichkeiten geklärt werden. Danach mache ich mich auf die Suche nach einer passenden Aktivität und schlage sie vor. Die Entscheidung trifft natürlich letztlich jeder selbst.

Wie viele Organisationen haben Sie inzwischen in Ihrer Kartei - und wie viele Ehrenamtliche?

Es sind 59 Organisationen und 139 Kontakte, die ich beraten und vermittelt habe. Ob sich jemand dann auch langfristig engagiert, weiß ich oft nicht. Da auch Menschen wegziehen, schwankt die Zahl.

Zwei Jahre Pandemie, monatelanger Stillstand: wie hat diese Zeit das Ehrenamt verändert?

Gleich zu Beginn der Pandemie waren viele, die helfen wollten, enttäuscht. Die Bereitschaft damals war sehr groß, aber die Dienste - wie die Einkaufshilfe - wurden wenig beansprucht. Da gab es kaum eine Nachfrage. Weil die informelle Nachbarschaftshilfe funktionierte oder die Senioren dann doch selber einkaufen gingen. In den Monaten danach ist vieles anders geworden, Angebote wurden eingeschränkt oder brachen weg. Seniorenheime beispielsweise durften ja nicht mehr von den ehrenamtlichen Helfern besucht werden. Andere Angebote haben sich verändert, so gab es in der Wärmestube kein warmes Essen mehr, dafür wurden Essenspakete verteilt. Aber auch heute noch gibt es eine große Bereitschaft, sich zu engagieren. Schwierig ist allerdings, jemanden für verantwortliche Positionen zu finden. Das Amt des Vorstands oder Kassiers wollen nur die wenigstens übernehmen.

Ohne die vielen Ehrenamtlichen würde es viele Angebote aber schon jetzt nicht mehr geben, oder?

Ja, absolut - ohne die Kompetenz und Leidenschaft der Ehrenamtlichen würde es viele Angebote überhaupt nicht geben. Ein Beispiel ist die Tafel. Die zumeist über 60-jährigen Helfer dort füllen eine Lücke. Eigentlich sollte die Grundsicherung ausreichen, sich gut zu ernähren. Bürgerschaftliches Engagement kann aber auch Entwicklungen in Gang bringen - ich denke da an die Hospizgruppe. Es sind inzwischen Strukturen entstanden, der Bedarf wird erkannt. Engagement ist eine Chance, den Finger in eine Wunde zu legen, um politische Veränderungen zu schaffen. Der Personalmangel in den Seniorenheimen beispielsweise ist enorm, und genau da wird es gefährlich: Die Gesellschaft muss sich überlegen, was ihr alte Menschen am Lebensende wert sind. Ehrenamtliche dürfen nur die "Krönung" einer guten Versorgung sein, keine Hilfspflegekräfte.

Überfordert man aber nicht schon jetzt oftmals die Helfer?

Es gibt tatsächlich Menschen, die sich überfordern, sich zu sehr engagieren und keine Grenzen setzen. Es wäre wichtig, dass die Hauptamtlichen den Ehrenamtlichen ein gutes Umfeld bieten, dass sie gut eingebettet sind und sich nicht für alles verantwortlich fühlen müssen. Für viele - gerade die Älteren - ist ihr Engagement aber auch ihr Lebenselixier.

Was sind die Gründe für ein Engagement?

An erster Stelle steht die Überzeugung: "Ich will etwas für mich und andere tun", danach kommt eine "sinnvolle Freizeitgestaltung" und schließlich der Wunsch, soziale Kontakte zu knüpfen. Ich denke aber, dass es ganz wichtig ist, diesen Einsatz freiwillig zu leisten. Dazu zwangsverpflichtet zu werden - denken wir an die Diskussion eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres - halte ich für kontraproduktiv.

Bekommen die Ehrenamtlichen denn auch etwas zurück?

Ja, sie sehen, was sie erreichen, erleben damit unmittelbar, dass das, was sie machen sinnvoll und gut ist. Wir von der Stadtverwaltung laden einmal im Jahr zu einem Dankesabend ein, um zu zeigen, wie sehr wir das wertschätzen und anerkennen.

Sie leiten inzwischen seit acht Jahren den Treffpunkt: wie sieht Ihre Bilanz aus?

Ach, ich finde, es geht immer mehr. Aber ich bin schon zufrieden. Auch die ehrenamtlichen Agenda-Gruppen, die halbpolitisch unterwegs sind und sich mit ihren konstruktiven Ideen einmischen, sind bereichernd. Was ich mir wünschen würde, wären mehr Angebote für viele meiner Interessierten, die nicht so viel Zeit haben und sich nur sporadisch einbringen können. Da fehlt es leider noch an Möglichkeiten.

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