"Die Erdlinge":Auf der Abschussliste der Rechten

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Ein Mahnmal vor dem Mahnmal - Kranz und Kreuz an der Kriegerdenkstätte in Moosburg niederzulegen, war die erste Aktion der "Erdlinge". (Foto: privat)

Mit ihren Aktionen will die Moosburger Gruppe "Erdlinge" auf den Rechtsruck in der Gesellschaft hinweisen. Dafür bekommt sie viel Aufmerksamkeit. Nicht nur positive, manchmal werden die Mitglieder bedroht.

Von Anna Dreher, Moosburg

Inzwischen kann Björn Groß sein Büro wieder ganz normal verlassen. So, wie er das früher auch gemacht hat. Computer ausschalten, Sachen zusammen packen, von den Kollegen verabschieden, nach Hause fahren. Nichts besonderes eigentlich, aber manchmal wird auch das Normale zu etwas Besonderem und für Groß traf das eine Zeit lang auf die letzten Minuten seines Arbeitstages zu. Groß hat nicht einfach nur sein Büro verlassen. Er hat nach rechts und links geschaut, bevor er aus dem Gebäude gegangen ist. Immer wieder. Er hatte Angst, dass ihm irgendwo jemand auflauern könnte und auf ihn wartete - von rechts.

Björn Groß ist Familienvater und arbeitet bei einem Münchner Unternehmen. Seit Juni 2015 ist er für manche Leute aber vor allem eines: Mitbegründer und Mitglied der politischen Gruppierung "Erdlinge". Was er dort macht, passt besonders politisch rechts orientierten Menschen in seinem Wohnort Moosburg und im Landkreis nicht. Davon gibt es mehr, als er vor seiner Zeit als "Erdling" vermutet hatte. "Der Rechtsruck in der Gesellschaft ist vorbei, rechtspopulistische Meinungen sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen", sagt er. "Das ist schlimm. Und es ist komisch, manche Dinge von Leuten ausgesprochen zu hören, die man schon lange kennt. Oder meint gekannt zu haben."

Mit manchen Dingen meint Groß vor allem nationalistische und fremdenfeindliche Inhalte, die für ihn mit der wachsenden Zahl der in Deutschland lebenden Flüchtlinge zugenommen haben. Das zu beobachten und einfach hinzunehmen, war für ihn keine Option mehr. Er wollte in der derzeitigen gesellschaftspolitischen Situation etwas tun, die Menschen in seiner Umgebung sensibilisieren, sie aufmerksam machen auf Fremdenfeindlichkeit und auch auf umgangssprachliche rassistische Äußerungen. "Das ist ein schwieriges Thema, das Freundschaften und Familien zerreißt. Aber die Leute sollen einfach mal nachdenken, bevor sie etwas sagen oder schreiben", sagt Groß.

"Die Leute sollen nachdenken, bevor sie etwas sagen oder schreiben"

Angefangen hat alles auf Facebook. In einer Moosburger Gruppe in dem sozialen Netzwerk hatte Groß schon länger mit Gruppenmitgliedern diskutiert. Im Juni 2015 fand der 42-Jährige, es sei Zeit etwas zu tun, statt nur zu reden. In der Gruppe schrieb Groß, dass er ein Kreuz mit der Aufschrift "Grenzen töten!" und einen Kranz, auf dem "Kein Mensch ist illegal" steht, am Kriegerdenkmal in Moosburg aufstellen wolle - als Mahnmal vor dem Mahnmal in der Flüchtlingskrise. Sieben Leute reagierten und machten mit. Kurz darauf trafen sich alle noch mal und besprachen die Gründung einer neuen Gruppe auf Facebook und auch abseits davon. Der Name war schnell gefunden. "Wir sind alle Bewohner der Erde und eigentlich alle gleich", sagt Georg Hackl, der beim Aufstellen des Kreuzes dabei war. "Und genau darum geht es uns: mehr Menschlichkeit."

Auf die erste Aktion folgte die zweite: ein Transparent auf einer Moosburger Baustelle, auf dem stand "Kulturelle Vielfalt = gesellschaftlicher Reichtum". Das Plakat selbst und das davon auf Facebook hochgeladene Foto machte jedoch weniger Wirbel als gedacht - wegen einer anderen Aktion. Die "Erdlinge" hatten einen Hinweis auf rechtsradikale Äußerungen von Gerhard-Michael Welter, Kassier im CSU-Ortsverband Moosburg und Schatzmeister der CSA (Christlich Soziale Arbeitnehmerunion) Freising, bekommen. "Wir haben uns seine Facebook-Seite angeschaut und einen Schock bekommen", sagt Hackl. Die "Erdlinge" veröffentlichten eine Auswahl seiner Äußerungen, nach den teils heftigen Reaktionen musste Welter schließlich zurücktreten. "Wir bekommen zig Infos über Leute aus der Region, aber solche Sachen veröffentlichen wir nur bei Personen, die einen gewissen gesellschaftlichen Stand haben oder in anderer Form Verantwortung tragen", sagt Groß.

Was die "Erdlinge" auf der regionalen Ebene machen kommt - auch deutschlandweit - gut an. Sie erhalten Anfragen von Leuten, die dabei sein und helfen wollen. Es kommt aber auch schlecht an, bei den Leuten und deren Umfeld, auf die aufmerksam gemacht wird.

Zwei Mitglieder stehen auf der "Zeckenfrei-Liste"

Björn Groß und ein weiteres Mitglied der Gruppe stehen beispielsweise auf der sogenannten "Zeckenfrei-Liste". "Wir haben seit unserer Gründung schon oft Drohungen bekommen, aber als ich das mitbekam, hatte ich schon Panik", sagt Groß. "Das ist eine Art Abschussliste der rechten Szene im Internet. Dort gibt es ein Dossier mit meinem Facebook-Profil und meinem Arbeitsplatz, dazu ein Link zu der Seite meiner Frau." Das war die Zeit, in der Groß sich auf dem Heimweg lieber ein Mal zu oft umdrehte. Er steht nach wie vor auf dieser Liste. Den Weg nach Hause, das hat er irgendwann beschlossen, wird er sich davon aber nicht länger zur Mutprobe machen lassen. "Gegen die Betreiber kann man nichts tun, das ist eine Domain in den USA und die haben nun mal eine andere Gesetzeslage als hier", sagt Hackl. "Aber so etwas ist eigentlich schon ein Aufruf zu offener Gewalt."

Drohbriefe und entsprechende Kommentare im Web sind fast schon Alltag für die "Erdlinge". Davon einschüchtern lassen hat sich die Gruppe jedoch nicht, zwischen den Optionen Aufgeben oder Weitermachen haben sie letztere gewählt. Auch wenn die Mitglieder vorsichtiger geworden sind. Neben den Aktionen und dem Veröffentlichen von Artikeln zur rechten und rechtspopulistischen Szene gilt die Gruppe auch dem Gedankenaustausch. Einer politischen Partei fühlt sich keines der acht Mitglieder - zwei Frauen und sechs Männer unterschiedlichen Alters - zugehörig, es seien auch nicht immer alle einer Meinung, sagt Björn Groß, aber sie hätten eben den gleichen Wunsch, die gleichen Ziele.

Dass das Thema Ausländerfeindlichkeit gerade so im Fokus liegt, sei in der aktuellen Situation begründet. "Uns geht es auch um Naturschutz, Ressourcenerhalt und die wachsende Ungleichheit auf der Welt", sagt Georg Hackl. "Uns ist schon klar, dass wir die Misere nicht auf einmal lösen können, aber zumindest nachdenken und diskutieren sollten wir."

© SZ vom 20.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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