Europawahl:Nicht nur wählen, sondern auch mitreden

Lesezeit: 3 min

Bei der Europawahl im Juni dürfen bereits 16-Jährige wählen. Schülerinnen und Schüler am Camerloher-Gymnasium organisierten deshalbin Eigenregie eine Podiumsdiskussion mit drei Landespolitikern aus Erding, Freising und Ebersberg. (Foto: Johannes Simon)

Die Schüler des Freisinger Camerloher-Gymnasiums gestalten Demokratie: Bei einer Podiumsdiskussion mit drei Landtagsabgeordneten stellen sie ihre Fragen - und fordern ein, dass Jugendliche in der Politik mehr Gehör finden.

Von Elena Weller, Freising

Kurz vor neun Uhr beginnt sich die Aula des Camerloher- Gymnasiums in Freising zu füllen. Etwa 300 15- bis 18-Jährige kommen ratschend und lachend herein und nehmen Platz . An diesem Vormittag findet dort eine Podiumsdiskussion mit drei Landtagsabgeordneten statt. Es ist die letzte Veranstaltung für die Schüler, bevor die Osterferien beginnen. Trotz Vor-Ferienstimmung merkt man vielen das Interesse am Thema und dem Austausch mit den Politikern an. Kein Wunder: Die Podiumsdiskussion wurde ihnen nicht vom Lehrpersonal aufgedrückt, sondern die Jugendlichen haben von vorn bis hinten alles selbst organisiert.

Die Idee kam von Camerloher-Schüler Noah Renkl, der die zwölfte Klasse des Gymnasiums besucht, und Sebastian Bohmen, vor einem Jahr noch selbst am Camerloher und jetzt Informatikstudent in München. Da bei der Europawahl am 9. Juni bereits 16-Jährige wählen dürfen, hielten Renkl und Bohmen eine Podiumsdiskussion für eine gute Möglichkeit, Politik und Jugendliche zusammenzubringen.

Die Idee zu der Veranstaltung hatten Camerloher-Schüler Noah Renkl (Bild) und Sebastian Bohmen. (Foto: Johannes Simon)

Während Schüler in T-Shirts mit der Aufschrift "Technik und Bühne" noch Kabel abkleben und Mikrofone auf die Bühne bringen, begrüßen Renkl und Bohmen die Politiker: die SPD-Landtagsabgeordnete Doris Rauscher aus dem Landkreis Ebersberg, Staatsministerin Ulrike Scharf (CSU) aus Erding und den Grünen-Abgeordneten Johannes Becher aus Moosburg. Auf der Bühne sitzen sie in dieser Reihenfolge. Doris Rauscher witzelt, dass die CSU mal wieder von den Grünen und der SPD in die Zange genommen werde.

Der Freisinger Landrat Helmut Petz beginnt die Veranstaltung mit einleitenden Worten über den Wert von Demokratie und politisches Engagement in Zeiten von AfD-Geheimtreffen. "Demokratie muss immerfort mit Leben gefüllt werden und setzt aktive Staatsbürger voraus", genau darum gehe es hier bei dieser Veranstaltung, so der Landrat, wofür er lauten Applaus erntet. Renkl und Bohmen moderieren die Diskussion mit Fragen, welche die Schüler vorher im Unterricht einreichen konnten. "Was sind die Aufgaben der Regierung?", fragt Renkl. Ulrike Scharf erklärt: Regieren bedeute, Verantwortung zu übernehmen, ein wesentlicher Bestandteil sei, die Wertschätzung der Staatsform Demokratie beizubehalten. Damit greift sie auf, was Landrat Petz schon angesprochen hat und was sich weiterhin als eine Art kleinster gemeinsamer Nenner durch die Veranstaltung ziehen wird.

Für Wohnbauförderung und Bindungsfristen plädiert Staatsministerin Ulrike Scharf, CSU, beim sozialen Wohnungsbau. (Foto: Johannes Simon)

Dann geht es um sozialen Wohnungsbau: Ein viel diskutiertes Thema auf Landesebene, den Reaktionen nach zu urteilen, allerdings nicht unbedingt der Interessenschwerpunkt der Schüler und Schülerinnen im Publikum. Becher spricht sich für mehr Gemeindebauprojekte aus, Scharf plädiert für Wohnbauförderung und Bindungsfristen für Sozialbauten, während Rauscher das Konzept der Grundsteuer C aufbringt. Die soll es Gemeinden erlauben, langfristig unbebaute Grundstücke höher zu besteuern, um Spekulanten davon abzuhalten, potenziellen Wohnraum leer stehen zu lassen. Doch Ulrike Scharf spricht sich vehement dagegen aus.

Der Digitalpakt Schule der Bundesregierung läuft aus, dennoch müsse auf dem Gebiet noch viel getan werden, sagt Grünen-Landtagsabgeordneter Johannes Becher. (Foto: Johannes Simon)
Das Genderverbot an Schulen hält die SPD-Landtagsabgeordnete Doris Rauscher für überflüssig. (Foto: Johannes Simon)

Bei dem Thema Bildungsdigitalisierung wird das Publikum wieder hellhörig, vielen Schülern ist das Thema sehr wichtig, denn es betrifft sie konkret. Der Digitalpakt Schule, welcher 2018 von der Bundesregierung beschlossen wurde, läuft nun langsam aus. Es müsse aber trotzdem noch viel gemacht werden, betont Becher, wofür er den bis dahin lautesten Applaus an diesem Morgen bekommt. Dafür brauche es Lehrkräfte, die am Puls der Zeit sind, erklärt Becher und auch Rauscher und Scharf beteuern das.

Die Veranstaltung wird zwischendurch immer wieder auch interaktiv gestaltet: Meinungsabfragen per Handzeichen, QR-Code-Abfragen und zum Schluss die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Die Schüler und Schülerinnen nutzen diese Veranstaltung, um sich am politischen Geschehen zu beteiligen.

Gleich mit der ersten Schülerfrage wird eine Kontroverse angesprochen: das von der CSU erlassene Genderverbot an Schulen und Universitäten in Bayern. "Was halten Sie vom Genderverbot?", fragt ein Jugendlicher aus dem Publikum. Der Schüler bekommt lauten Applaus für die Frage, Ulrike Scharf überlegt kurz. Es gehe darum, schriftliche Sprache barrierefrei zu gestalten und klare Regelungen für die deutsche Sprache aufzustellen, antwortet sie. Einlenkend erklärt sie, sie selbst fühle sich auch nicht angesprochen, wenn im Landtag Reden mit "Liebe Kollegen" begonnen werden, ohne die "Kolleginnen" zu erwähnen. Daraufhin kommt die provokante Nachfrage, ob sie sich dann nicht in der falschen Partei fühle, was Scharf umgehend verneint. Sie verweist darauf, dass das Verbot nur für die schriftliche Sprache gelte, nicht für das Gesprochene. Becher und Rauscher bezeichnen das Verbot beide als "unnötig und überflüssig".

Die Schülerinnen und Schüler überziehen den vorgegebenen Zeitrahmen, obwohl die Ferien schon begonnen haben. Es kommen immer mehr Fragen aus dem Publikum . "Demokratie ist kein Automatismus", jeder müsse etwas dazu beitragen, damit diese erhalten bleibt, betont Doris Rauscher, als es um die AfD geht. Den Schülern scheint das klar zu sein, sie wollen mitwirken, aber viele Themen werden laut Zehntklässler David Maat immer noch nicht auf Augenhöhe mit Jugendlichen diskutiert. So zum Beispiel das Thema Digitalisierung an den Schulen. "Man hat gemerkt, die sind da einfach nicht so nah dran am Thema", sagt er. Den Schülern, kritisiert er, würden immer wieder Versprechungen für digitale Erneuerungen der Unterrichtsausstattung gemacht, die aber doch nicht eingehalten würden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivPolitisches Engagement
:Überraschender Zulauf für die Grünen

Haben die Proteste der vergangenen Wochen dazu geführt, dass sich mehr Menschen politisch engagieren wollen? Das Bild in Erding und Freising ist gemischt. Nur die Grünen können in beiden Landkreisen deutlich mehr Mitglieder gewinnen.

Von Vivien Götz, Anna-Lena Schachtner und Isabella Stuffer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: