Grundsicherung:"Eine wirkliche Hilfe ist es nicht"

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Seit Anfang des Jahres gibt es in Deutschland das neue Bürgergeld. Auch im Ebersberger Jobcenter hat sich durch dessen Einführung viel verändert. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Statt Harz IV gibt es nun das Bürgergeld und damit 50 Euro mehr. Das reiche bei weitem nicht aus, um die Preisexplosion aufzufangen, kritisieren die Wohlfahrtsverbände. Auch der Geschäftsführer des Jobcenters fordert eine deutliche Anhebung beim Regelbedarf.

Von Gudrun Regelein, Freising

Das neue Bürgergeld ersetzt seit diesem Jahr Hartz IV - es soll bedürftige Menschen noch gezielter unterstützen. Auch der Regelsatz wurde um 50 Euro aufgestockt. Prinzipiell sei diese Erhöhung natürlich erfreulich, sagt Markus Mehner, Leiter der Sozialen Dienste der Caritas Freising. Aber: "Eine wirkliche Hilfe ist es nicht. Das wird doch alleine schon von der Teuerungsrate aufgefressen."

Faktisch hätten die Menschen, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II beziehen, jetzt nicht mehr, sondern sogar weniger Kaufkraft zur Verfügung, sagt Mehner. Das mache sich inzwischen in der Beratung bemerkbar, die Anfragen steigen. "Oft geht es in den Gesprächen um die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise, die viele Menschen einfach nicht mehr stemmen können", schildert Mehner.

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Auch bei Anita Schiffer, die im wirklichen Leben anders heißt, ist das so. Die alleinerziehende Mutter versuchte lange Zeit, mit ihren Kindern über die Runden zu kommen - und irgendwie klappte das auch. Die geforderten Stromzahlungen aber überforderten seine Klientin dann vollkommen, sagt Mehner. Erst kam ein Brief mit der Stromnachzahlung, dafür hatte Schiffer nicht das Geld - sie ignorierte ihn. Dann folgten Mahnungen - und schließlich wurde die Stromsperre angekündigt. Erst als es richtig kritisch wurde, suchte sich die verzweifelte Mutter Hilfe bei der Caritas.

"Der Druck steigt momentan bei vielen, viele wissen nicht, wie es weitergeht", sagt Mehner. Durch das Bürgergeld könne die Preisexplosion nicht aufgefangen werden. Für Alleinstehende betrage der neue Regelsatz beispielsweise gerade einmal 502 Euro. Wenn jemand nun statt wie bisher 60 auf einmal 120 Euro monatlich für Strom bezahlen müsse, reiche dafür die Erhöhung von gerade einmal 50 Euro natürlich nicht aus. Nun sei die Politik gefordert. Abhängig davon, wie sich die Teuerungsraten in den kommenden Wochen entwickeln, müsse schnell nachgebessert werden, fordert Mehner. Die zeitliche Verzögerung der Anpassung und die unzureichende Berücksichtigung der Stromkosten sind zwei Punkte, die der Caritas-Verband beim Bürgergeld besonders kritisiere.

"Vor einem Jahr hätten wir noch gesagt, das ist ein schöner Schritt", sagt Christina Binder, Vorständin der Diakonie Freising, zum neuen Bürgergeld. Über 50 Euro mehr freue sich sicher jeder, aber die inflationsbedingte Preissteigerung, gekoppelt mit den gestiegenen Energiekosten, könne dieser zusätzliche Betrag nicht abfangen, sagt auch sie. Das Bürgergeld löse das Problem nicht. "Viele Menschen sind in Existenznot, in einer finanziell äußerst verzweifelten Situation." Neu sei, dass zunehmend auch die Mittelschicht betroffen sei.

Das neue Bürgergeld war überfällig, die 50 Euro mehr reichten aber nicht aus, sagt Freisings Diakonie-Vorständin Christina Binder. (Foto: Marco Einfeldt)

Der Landkreis sei hochpreisig, Wohnungen rar und teuer - auch das verschärfe die Situation noch einmal, sagt Binder. Nach zwei Corona-Jahren seien viele bereits am Ende gewesen und hätten auf Normalität gehofft, der Krieg und dessen Folgen seien einfach zu viel. Immer mehr Menschen suchten eine Beratung in der Hoffnung auf schnelle Hilfe, die Emotionalität sei hoch. Mittlerweile gebe es bereits eine Warteliste. Auch für die Beraterinnen und Berater sei die Situation belastend: "Wir haben leider keine billigen Wohnungen und keine günstigen Stromtarife - wir können die Energiekosten nicht senken. Uns sind da ein Stück weit die Hände gebunden." In absoluten Notfällen helfe man mit Stiftungs- oder Spendengeld weiter.

Haushaltsstrom ist ein Teil des Regelbedarfes

Dass die gestiegenen Heiz- und Stromkosten für die Bürgerinnen und Bürger "sehr herausfordernd" sind, bestätigt auch Bernhard Reiml , Geschäftsführer des Jobcenters Freising. Die Heizkosten könnten zwar vom Jobcenter regelmäßig in angemessener Höhe übernommen werden, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Anders sei das bei den Stromkosten: Haushaltsstrom sei Teil des Regelbedarfes, deshalb sei hier eine deutliche Anhebung dringend notwendig, sagt er.

Aktuell werden im Landkreis etwa 4100 Personen (2021: 3110 Personen) in 2100 Bedarfsgemeinschaften (2021: 1600) betreut. Es sind also mehr geworden. Die Zahl der Anträge sei im neuen Jahr bislang aber noch nicht auffällig gestiegen, anders sei das beim Beratungsbedarf: "Hier nimmt das Bürgergeld einen immer höheren Stellenwert ein", berichtet Reiml. Von den derzeit etwa 60 persönlichen Vorsprachen habe etwa ein Drittel die neuen Leistungsvoraussetzungen zum Thema. Ob die Umstellung auf das Bürgergeld nun letztendlich zu mehr Kundinnen und Kunden führen werde, könne aber noch nicht abgeschätzt werden. Grundsätzlich zumindest seien mit der Anhebung des Regelbedarfes mehr Menschen mit geringem Einkommen leistungsberechtigt.

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