Tafel Freising:Helfer am Limit

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Klaus Grottenthaler und Maria Höfl packen Lebensmitteltüten für Kundinnen und Kunden der Freisinger Tafel. Jedes Exemplar wiegt 8,5 Kilogramm. (Foto: Marco Einfeldt)

Die Zahl der Besucher bei der Freisinger Tafel steigt, sie hat sich in diesem Jahr verdoppelt. Noch muss zwar kein Aufnahmestopp verhängt werden, aber die Ehrenamtlichen haben ihre Belastungsgrenze erreicht.

Von Gudrun Regelein, Freising

Die ersten Kunden standen an diesem kalten Novembermorgen schon um sieben Uhr morgens vor der Tafel, sie mussten sich lange gedulden. Erst zwei Stunden später öffneten sich die Türen. Um sieben Uhr waren auch schon die Helfer da, um die gespendeten Lebensmittel, die am Vortag von Geschäften und Supermärkten abgeholt und aussortiert wurden, in Tüten zu packen. "Wir hatten heute krankheitsbedingt drei Ausfälle bei den Helfern und mussten kurzfristig Ersatz finden, es war zeitlich alles etwas knapp", erzählt Gundi Kürten. Die 80-Jährige engagiert sich seit 15 Jahren bei der Tafel Freising, sie war viele Jahre lang stellvertretende Vorsitzende und ist auch heute noch jede Woche bei den Ausgaben dabei.

In den Regalen in dem schmalen Gang der Tafel stapeln sich Kisten mit Salatköpfen, Kürbissen und Äpfeln, daneben stehen Päckchen mit Nudeln und Zucker. Im Raum daneben, wo die ehrenamtlichen Helfer eifrig und routiniert die Tüten füllen, stehen ganze Paletten voll mit Joghurts, die kurz vor dem Ablaufdatum sind, Eierschachteln, Schokolade, Kartoffelsäcke und ein großer Karton randvoll mit Parmesankäse. Etwa 8,5 Kilogramm wiegt jede der Tüten, gefüllt mit frischem Obst, Salat und Gemüse, mit Wurstwaren, Käse, Joghurt und Süßigkeiten. Das Brot und die Brötchen, die erst morgens von den Bäckern abgeholt wurden, und die Milch in Glasflaschen gibt es später extra dazu. Etwa 20 der Tüten werden zu Kunden gefahren, die krankheitsbedingt - beispielsweise wegen einer Gehbehinderung - selber nicht kommen, und das mit einem Attest nachweisen können.

Immer mehr Menschen im Landkreis sind bedürftig und sind froh, bei der Tafel gegen den symbolischen Preis von einem Euro Lebensmittel zu bekommen. (Foto: Marco Einfeldt)

Mit 120 bis 150 Besuchern rechnet Kürten an diesem Mittwochvormittag. Kurz vor neun Uhr ist die Schlange draußen schon sehr lang, etwa 50 Menschen warten geduldig, bis sich die Tür öffnet. Als es dann endlich losgeht, achtet ein Helfer darauf, dass nur maximal zwei Kunden gleichzeitig eintreten - und dass sich niemand vordrängt, wie eine junge Mutter, die mit Kinderwagen versucht, sich gleich weit vorne in der Schlange einzuordnen. "In der Regel sind hier alle sehr friedlich", sagt Kürten. Tatsächlich läuft alles wie am Schnürchen: Nachdem ein Besucher seinen Tafelausweis oder Berechtigungsschein vorgelegt und den obligatorischen Euro bezahlt hat, bekommt er seine Tüte ausgehändigt. Wenn er nicht nur für sich, sondern auch für Familienmitglieder Ware abholt, bekommt er entsprechend mehr Tüten.

Der Verein Foodsharing ist auch dabei. An einem Tisch können Lebensmittel umgetauscht werden

Draußen, im Hof, findet sich ein Stand des Vereins Foodsharing, davor ein großer Tisch. Dort können sich die Besucherinnen und Besucher ihre Sachen anschauen - und wenn sie etwas nicht mögen, diese umtauschen. Früher nämlich, erzählt Kürten, wurden in den Abfalleimern des benachbarten Spielplatzes und der Bushaltestellen viele weggeworfene gespendete Lebensmittel gefunden. Das fand Kürten nicht gut und nahm Kontakt zu Foodsharing auf. "Das Umtauschen wird sehr gut angenommen", sagt Isabel, die heutige Helferin von Foodsharing. "Das ist ja auch ein Plus für die Kunden, jeder kann sich nehmen, was er mag." Und was übrigbleibt, wird zur Verteilerstelle von Foodsharing gebracht. Lebensmittel werden also nicht verschwendet, nichts wird weggeworfen.

Erst wird symbolisch ein Euro bezahlt, dann bekommt der Tafelkunde seine randvoll bepackte Tüte mit Lebensmitteln. (Foto: Marco Einfeldt)

Die Kunden seien eine "bunte Mischung", sagt Kürten. "Es kommen junge und alte Menschen und auch viele, die Lebensmittel für die ganze Familie abholen." Wie die junge Frau, die mit ihrem Baby zur Tafel gekommen ist, und gerade drei Tüten im Kinderwagen verstaut. In einer anderen Tüte sind Windeln und Babygläschen verpackt. Ihr Mann mache gerade eine Ausbildung, sie sei in Elternzeit, erzählt die junge Mutter. Sie sind zu fünft, neben dem Baby hat sie noch eine vier- und eine siebenjährige Tochter. Sie sei relativ neu hier, es ist erst ihr dritter Besuch bei der Tafel. "Die Preise steigen immer weiter, zuletzt musste ich 200 Euro fürs Einkaufen ausgeben." Dazu kämen die Babysachen - und die Miete sei mit 700 Euro hoch, sagt sie. Das Geld reiche nicht aus. "Das hier hilft uns sehr, wir kommen jetzt wesentlich besser zurecht." Inzwischen müsse sie nur noch für etwa 50 Euro Lebensmittel zukaufen. "Ich bin sehr dankbar für diese Hilfe, ich hoffe, ich kann das irgendwann zurückgeben."

Die Kundenzahl hat sich wegen des Krieges in der Ukraine verdoppelt

Deutschlandweit gibt es bei den Tafeln deutlich mehr Kunden - wegen Corona, des Ukraine-Krieges und der explodierenden Preise. Und deutlich weniger gespendete Lebensmittel. Viele Tafeln müssen bereits einen Aufnahmestopp verhängen. In Freising sei das noch nicht so, sagt Tafelvorsitzender Manfred Schimmerer. Das "noch" betont er. "Die Tafel Freising hat Glück mit den Lieferanten, ganz selten reichen uns die Lebensmittel nicht aus." Notfalls könne man mit Spenden etwas zukaufen. "Wir fahren auf Sicht", sagt Schimmerer. "Die Situation kann sich aber schnell verändern, wir rechnen mit deutlich mehr Kunden. Es wird sicher schwieriger werden." Die Schere gehe immer weiter auf: Die Kundenzahl steige, die Warenmenge nehme ab, sagt auch er. Alleine in diesem Jahr habe sich die Kundenzahl wegen des Krieges in der Ukraine bereits mehr als verdoppelt, berichtet Schimmerer. Derzeit gibt es etwa 600 Abholerinnnen und Abholer, die teilweise Familienmitglieder mitversorgen. Die Tafel habe deshalb einen zweiwöchigen Ausgaberhythmus eingeführt. Die eine Woche kommen die sogenannten Altkunden und in der anderen Woche die Geflüchteten aus der Ukraine.

Helfer werden dringend gesucht. Die Aktiven sind zum Teil enorm belastet

Ein anderes Problem sei die Situation mit den Helfern, schildert Schimmerer. "Wir bräuchten dringend mehr, die bei uns anpacken." Die allermeisten der derzeit 56 aktiven Helfer seien bereits über 60 Jahre, 16 Prozent sogar über 80 Jahre alt. Viele würden sich sehr intensiv engagieren, manche seien jede Woche dabei, investierten sehr viel Zeit in die Tafel. "Die Helfer sind zum Großteil enorm belastet."

Viele der ehrenamtlichen Helfer gehen an ihre Grenzen, ihr Engagement ist sehr groß. (Foto: Marco Einfeldt)

Maria beispielsweise, die nach Tafelschluss um 11.30 Uhr gerade dabei ist, den großen Tisch abzuwischen und zu desinfizieren. "Drei Tage sind zu viel", sagt sie. Sie ist eine derjenigen, die heute eingesprungen ist, auch am Vortag hat sie schon mitgeholfen und wird auch am nächsten Tag wieder einige Stunden bei der Tafel sein. Die Tafel habe sich im Laufe der vergangenen Jahre extrem verändert, sagt Gundi Kürten. "Als ich vor 15 Jahren angefangen habe, war alles deutlich kleiner, das waren damals ganz andere Dimensionen." Inzwischen seien die Tafeln unverzichtbar, sagt sie. Laut Tafel Deutschland gab es in diesem Sommer deutschlandweit über 960 Tafeln, die etwa 60 000 Helferinnen und Helfer versorgten über zwei Millionen Kundinnen und Kunden. "Wir, die ehrenamtlichen Helfer, übernehmen doch eine eigentlich staatliche Aufgabe", sagt Gundi Kürten. Sie investiere jede Woche etwa zehn Stunden für die Tafel, sie mache das sehr gerne, betont sie. Gewürdigt werde das Engagement der Helfer aber viel zu wenig. "Eine kleine Anerkennung, ein steuerlicher Vorteil beispielsweise, wäre schön."

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