Austritt von Radioaktivität in Garching:Menschliches Versagen im Garchinger Reaktor

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Vertreter der Technischen Universität München erklären, wie es dazu kam, dass im März Radioaktivität frei wurde

Von Gudrun Passarge, Garching

Jemand, der 30 Tage lang jeden Morgen eine Banane isst, bekommt Anke Görg zufolge die gleiche Strahlendosis ab, wie sie beim Zwischenfall am Garchinger Forschungsreaktor frei wurde. Mit dem Vergleich unterstrich die Pressesprecherin des Forschungsreaktors München II (FRM II), dass zu keiner Zeit "für keine Menschen, keine Tiere, keine Umwelt Gefahren bestanden haben". Vertreter des Betreibers, der Technischen Universität München (TU), waren in den Garchinger Stadtrat gekommen, um zu erklären, wie es Ende März zur ungewollten Emission von Radioaktivität gekommen war, wobei der Jahresgrenzwert des Nuklids C-14 um 15 Prozent überschritten wurde.

Während die Grünen die Ansicht vertraten, der Reaktor dürfe nicht mehr anfahren, sagte Dritter Bürgermeister Joachim Krause (SPD), man solle nichts aufbauschen, "das bringt uns nicht weiter. Wir müssen dafür sorgen, das es nicht wieder passiert". Passiert ist es beim Trocknungsprozess von Ionenaustauscherharzen. Weil ein Mitarbeiter die CO₂-Abscheideanlage nicht angeschlossen hatte, wurde radioaktiver Kohlenstoff ungefiltert über den Kamin abgegeben. Die Arbeiten fanden vom 20. bis 26. März statt. Beim zweiten Trocknungsprozess Anfang April war die Anlage wieder angeschlossen. Hans-Peter Adolf, Fraktionssprecher der Grünen, wollte wissen, warum die Grenzüberschreitung erst Mitte Mai bekannt wurde. Görg erklärte, die Ergebnisse der quartalsmäßigen Untersuchung seien erst am 15. April vorgelegen. Sie zeigten, dass der Grenzwert von C-14 zu 92,5 Prozent erreicht war. Der zweite Trocknungsprozess war da noch nicht berücksichtigt. Die Messungen waren Ende März sofort auf monatlichen Turnus umgestellt worden. Dazu schickt die TU den Kamin-Filter an das Bundesamt für Strahlenschutz, dort wird er halbiert. Eine Hälfte untersucht das BfS, die andere die TU. Die Ergebnisse der Aprilmessung seien am 14. Mai bekannt gewesen, daraufhin habe der FRM II die Grenzüberschreitung an die Behörden gemeldet. Inzwischen würden wöchentliche Untersuchungen in Eigenregie gemacht, so Görg.

Daniela Rieth (Grüne) fand, die TU hätte eher informieren können. Es gehe immerhin um Radioaktivität. Die Leute hätten dann selbst entscheiden können, ob sie am Campus spazieren gehen wollen. Das wollte Joachim Krause so nicht stehen lassen, die Strahlenbelastung sei so gering gewesen in der Gesamtheit, "niemand hätte deswegen seinen Spaziergang in der Nähe des Reaktors aufschieben müssen". Er fragte aber nach Verbesserungen. Michael Schmidt, Strahlenbeauftragter am FRM II, sprach von Vorschlägen, "sowohl administrativ als auch technisch", die nun mit den Behörden abgesprochen würden.

Einige Stadträte wollten wissen, welche Belastung mit dem Vorfall verbunden ist. Schmidt erklärte, es gebe Modellrechnungen mit einer Referenzperson, die sich ein Jahr am ungünstigsten Ort aufhalten würde und sich komplett von Pflanzen und Tieren ernährte, die dort vorkommen. Diese Person hätte einen Strahlenwert von drei Mikrosievert abbekommen, was der emittierten Menge entspräche. "Das heißt aber nicht, dass jede Person in Garching diesen Wert erhalten hat", sagte Schmidt. Zumal die Aufnahme hauptsächlich über die Nahrung funktioniere.

Die Grünen übten viel Kritik am Betreiber. Adolf monierte, es habe kein Vier-Augen-Prinzip beim Trocknungsprozess gegeben und Walter Kratzl zweifelte an, dass der Niederschlag im Umkreis des Reaktors geblieben sei. Adolf nannte auch die Halbwertzeit von 5700 Jahren, "das reichert sich in der Umgebung an". Das sieht Görg jedoch nicht als Problem. "Jedes organische Lebewesen hat C-14 in sich. Wir haben nur marginal mehr emittiert, als was sonst in die Pflanzen kommt." Wann der Forschungsreaktor wieder ans Netz geht, entscheidet das bayerische Umweltministerium. Adolf war der Ansicht, es sei rechtswidrig, wenn der Reaktor heuer noch in Betrieb gehe, weil der Jahresgrenzwert schon überschritten ist. Bastian Dombret (FDP) fragte, wie hoch die Belastung am Jahresende aussähe, wenn der FRM II wieder liefe. Die vergangenen Jahre, so Sprecherin Görg, hätten die C-14-Werte nur 20 bis 30 Prozent der erlaubten Menge ausgemacht. Der Strahlenbeauftragte Michael Schmidt ging davon aus, dass der Betrieb noch nicht in den nächsten zwei bis drei Monaten aufgenommen wird. Die Grünen allerdings stellten den Antrag gestellt, dass der Reaktor für immer abgeschaltet wird, weil sich die TU als Betreiber "als unzuverlässig und inkompetent erwiesen" habe. Darüber wird im Stadtrat später entschieden.

© SZ vom 02.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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