Flucht nach Freising:Folgenschwere Rangelei

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Abdullah Mohammady ist vor den Taliban aus Afghanistan geflohen.

Von Clara Lipkowski, Freising

Würde Abdullah Mohammady in seine Heimat nach Afghanistan zurückkehren, würde er nicht lange am Leben bleiben, davon ist er überzeugt. Seit einem Unglück auf seinem Schulhof, erzählt er, werde er von den Taliban gesucht, er müsse gerächt werden für einen Mitschüler, der bei einer Rangelei gestürzt und an den Folgen gestorben war. Seither verlangen die Taliban von seinem Vater, den eigenen Sohn umzubringen.

Der Vater weigerte sich, bot den Taliban Geld, aber sie sagten: Nur Blut gegen Blut zähle. So schildert es Abdullah, als er in einer Freisinger Wohnung am Tisch sitzt. Seine Mutter entschied, er müsse sofort das Land verlassen. Erst reiste Abdullah nach Iran. Dort arbeitete er in einer Fabrik für Kartonagen. Er fand sogar eine Freundin, hatte aber keinen Pass, den habe man nicht einfach so, wenn man in Afghanistan lebt, noch dazu nicht als Mitglied der Hazara, der schiitischen Glaubensgemeinschaft, der er angehöre, sagt er. Er sei auf der Straße drangsaliert worden, durfte nicht einfach in die Innenstadt gehen. Deswegen ging er in die Türkei. Später stieg an der türkischen Küste auf ein Boot nach Griechenland und kam anschließend nach einer langen Route zu Fuß und mit dem Zug nach München. Ende 2015 verlegte man ihn nach Freising, erst in die Unterkunft in der Steinkaserne, dann an die Wippenhauser Straße. Mittlerweile lebt der 21-Jährige in der neu eröffneten Flüchtlingsunterkunft an der Katharina-Mair-Straße.

Abdullah will Altenpfleger werden. Dafür hat er schon ein Praktikum gemacht

Nach etwa sechs Monaten bestand er den Aufnahmetest an der Berufsschule, in diesem Sommer will er seinen Abschluss machen, danach eine Ausbildung zum Altenpfleger beginnen. Dafür hat er schon ein Praktikum gemacht. Er spricht Deutsch, sucht nur manchmal nach Worten. Die Flüchtlingshelferin Anna von Croy kümmert sich um ihn, seit er in die Steinkaserne zog. Abdullah nennt von Croy inzwischen "Mama", mit ihrer Tochter scherzt er, ermahnt sie, am Nachmittag die Hausaufgaben zu machen. Etwa einmal die Woche sieht er die Familie, manchmal gehen sie ins Kino, Weihnachten haben sie schon zusammen gefeiert. Normalität will sich dennoch nicht richtig einstellen. Seit einem Jahr ist Abdullah zwar "subsidiär schutzberechtigt" und kann deswegen nicht abgeschoben werden, aber seine Familie nachholen darf er nicht. Seine Eltern mussten nach dem Vorfall in der Schule dreimal umziehen, die Taliban haben sie immer wieder aufgespürt. Sechs Jahre hat Abdullah seine Eltern nicht gesehen.

Nach einem Jahr werde sein Fall neu geprüft, hieß es nach mehreren Gerichtsterminen. Anna von Croy ist zuversichtlich, dass er bleiben darf. Abdullah traut der Ruhe nicht. Wenn sich unter den Bewohnern in seiner Unterkunft mal wieder rumspricht, dass in Bayern ein Abschiebeflug nach Afghanistan geplant ist, schlafe er die ganze Nacht nicht. "Das ist großer Stress", sagt er. "Er glaubt mir dann auch nicht, wenn ich sage: Hier holt dich niemand einfach so ab", meint von Croy. Er wolle bleiben, sagt er, er sehe seine Zukunft hier. Anfangs sei er einsam gewesen, inzwischen habe er Vertraute, zu denen er gehen kann. Vielleicht könne er eines Tages seine Eltern nach Deutschland holen. Vielleicht nicht für immer, aber wenigstens für einen Besuch.

© SZ vom 31.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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