Freimann:Willkommen zu Hause

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Die Munition ist entschärft, die Anwohner sind zurück. Bis Normalität einkehrt, wird es aber noch ein wenig dauern am Zwergackerweg

Von Jasmin Siebert

Wochenlang war der Check-In am Schlößlanger in Freimann das einzige Tor zur Sicherheitszone rund um den Munitionsfund, niemand durfte ohne Erlaubnis hinein. Und nun bricht dort um kurz nach sechs am Montagabend Jubel im Team der Kampfmittelräumer aus: Die letzten Munitionsfunde wurden weggeschafft und nun dürfen sie heim, die Anwohner, denen immer wieder gesagt wurde, dass es doch noch ein paar Tage länger dauert, bis sie zurück dürfen in ihre Häuser. Jetzt ist die Sperrzone mit hundert Meter Radius um das Grundstück mit dem Munitionslager im Zwergackerweg Geschichte.

Sogar eine Straßenkehrmaschine fegt noch einmal durch, bevor gegen 18.45 Uhr die Bauzäune zur Seite geräumt werden und die Autos hupend ins Sperrgebiet rollen. Hände werden geschüttelt und abgeklatscht, Witze gerissen und die ersten Bierflaschen geöffnet. Eine Frau sorgt sich um das bestellte Gartenhäusel, das nun drei Wochen lang nicht geliefert werden konnte. Ein Radfahrer erzählt, dass der Schulbus extra einen Umweg gefahren sei, um seine siebenjährige Tochter vor dem Haus der Schwiegereltern, wo die Familie untergekommen war, abzuholen. Irgendwie haben sie sich dann doch alle mit dem Ausnahmezustand arrangiert: Mehr als zehn Tonnen hochexplosives Material aus dem Zweiten Weltkrieg lagen in der Erde und mussten entschärft werden.

Nicht alle Häuser sind bereits wieder mit dem Auto erreichbar. (Foto: Florian Peljak)

Zwei Stunden zuvor sah die Lage noch nicht so rosig aus: Die 69-jährige Rentnerin Edeltraud Wintterer sitzt mit geröteten Augen im Raucherpavillon vor dem Hotel Arena. Keine 230 Meter entfernt von ihrem Haus, das sie seit über vier Wochen immer nur für jeweils zwei Stunden besuchen darf. "Ich bin nervlich am Ende", sagt sie, man sieht es ihr an. Ihre Tochter Sylvia, 49 Jahre, kommt gerade von der Arbeit. Einzelne graue Strähnen durchziehen die schwarzen Locken der Sekretärin. Als die Feuerwehr sie am Abend des 16. März aufforderte, innerhalb von 30 Minuten ihr Haus zu verlassen, klappte sie zusammen. Die erste Nacht verbrachte sie mit Mutter, Onkel und dessen Frau in einem Vierbettzimmer im Hotel.

Ein Gewitter ist aufgezogen, es donnert, Mutter und Tochter horchen auf. Ein flaues Gefühl begleitete sie in all den Wochen des Wartens. "Du kommst von der Arbeit und hoffst, dass dein Haus noch steht", sagt Sylvia Wintterer. Persönliche Gegenstände hat sie trotzdem nicht mitgenommen, nur wichtige Dokumente und Kleidung. Als sie am Samstag entgegen vorheriger Ankündigung doch nicht wieder einziehen durften, konnte Edeltraud Wintterer gar nicht mehr aufhören zu heulen. Für den Montagabend hatte sie deshalb nicht einmal mehr ihre Koffer gepackt - sie wollte nicht wieder enttäuscht werden.

Manche Anwohner bringen nicht nur Koffer mit Kleidung, sondern auch Tomatensetzlinge und eine Kühltasche mit nach Hause. (Foto: Florian Peljak)

Sie wird nicht enttäuscht, alles geht gut dieses Mal. Halb acht ist es, als die Wintterers strahlend in ihrem Hauseingang stehen und ihren Nachbarn zuwinken. Bepackt mit Koffern und Kühltaschen, Kinder und Hunde im Schlepptau, machen sich viele Anwohner zu Fuß auf den Weg in ihr Zuhause. Ein bisschen sieht es so aus, als würde die Siedlung vom Gruppenurlaub heimkommen. Doch selbstgezogene Tomatensetzlinge und Aktenordner, die einige mit sich tragen, nimmt niemand mit in den Urlaub - die Menschen hatten ihre Häuser nicht zum Vergnügen verlassen. "Ein jeder freut sich. Ein Erlebnis! Aber ich brauche es nicht nochmal!", ruft Edeltraud Wintterer und lacht.

Von ihrem Balkon aus blickt Sylvia Wintterer auf die sechs Meter tiefe Grube, aus der die Munition geborgen worden war. Vor den Bauzäunen stehen Männer und fachsimpeln. Auf einer Munitionskiste hat Heinrich Bernhard Scho eine Spreng-, eine Panzergranate und Stahlsplitter aufgereiht. Scho, 49 Jahre alt und seit 31 Jahren Feuerwerker, war in den vergangen sechs Wochen der verantwortliche Sprengmeister. Sein beigefarbener Kittel hat auf dem Ärmel einen Flicken mit einer rothaarigen Frau, die auf einer Rakete reitet. Man muss Humor haben in diesem Job: Geduldig erklärt der übernächtigte Mann, dass ein Granatsplitter eine Geschwindigkeit von 6500 Metern pro Sekunde erreichen kann.

Die Sperrzone ist aufgehoben: Andrea Meinberger umarmt überglücklich einen Munitionsräumer. (Foto: Florian Peljak)

Mehrere Granaten musste er sprengen hier in der Grube, die Strohballen, die noch dort liegen, dienten als Splitterschutz, in den Fässern lagerte Löschwasser. Die Gefahr ist vorüber, viele Frauen schütteln Schos Hand, die er sich bei einem früheren Einsatz verbrannt hat. "Ich habe jeden Tag an Sie gedacht", sagt eine junge Mutter. Eine andere Frau notiert sich die Schuhgrößen der Feuerwerker, um ihnen Socken zu stricken. Scho wünscht sich bunte.

Das Leben kehrt nun wieder ein in die Siedlung, die Leute wollen schnell Normalität, aber das ist gar nicht so einfach: Brigitte Schulz zum Beispiel fährt mit ihrem Seniorenmobil vor. Im Körbchen hat die 77-Jährige Palmkätzchen, die sie in eine Vase stellen möchte, um es sich dann vor dem Fernseher gemütlich zu machen. Doch sie ist zu aufgeregt. Die Orchideen auf der Fensterbank lassen die Köpfe hängen, die Kleiderbügel liegen auf Stühlen und auf dem Hocker wartet der halbausgeräumte Koffer. Ihr Sohn füttert erst einmal die Fische, zum Glück leben sie noch alle.

Brigitte Schulz packt ihr Hab und Gut aus. (Foto: Florian Peljak)

Ein paar Meter weiter bei den Meinbergers, auf deren Grundstück die Munition gefunden wurde, herrscht auch noch lange keine Normalität. Die Tochter und ihr Lebensgefährte witzeln, ob sie ein Planschbecken und Sandförmchen anschaffen sollten. Genug Sand hätten sie ja nun, nachdem die Kampfmittelräumer den Garten umgegraben haben. Über so etwas kann auch Melitta Meinberger wieder lachen. Zwar ist noch immer unklar, ob und in welcher Höhe sie für die Räumung der Munition aufkommen muss, doch auf ihre Nachbarn kann sie zählen. Sollte sie zur Kasse gebeten werden, möchte der Siedlerverein Spenden sammeln. "Die Siedlerschaft hält zusammen", sagt sie und trägt eine letzte Kiste mit Ordnern vom Auto ins Haus.

© SZ vom 12.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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