Freimann:Reden gegen die Vorurteile

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Gypsy-Jazz, fein improvisiert: Bei der mittlerweile fünften Suno-Musik-Session, diesmal in der Mohr-Villa. (Foto: Lukas Barth)

Münchner Sinti und Roma erzählen in der Mohr-Villa über ihr Leben als Minderheit in München

Von Ramona Drosner, Freimann

Nicht zur eigenen Identität stehen können, aus Angst vor Diskriminierung, aus Angst vor der Mehrheit. Das Leben der Münchner Sinti und Roma ist noch immer durchzogen von Klischees, die das falsche Bild von stehlenden oder faulen "Zigeunern" zeichnen. Wer diese Vorurteile entkräften will, muss ins Gespräch kommen - so wie bei der Begegnungswerkstatt der Mohr-Villa an der Situlistraße, dem Freimanner Kulturzentrum. Dafür braucht man viel Geduld, das machte Geschäftsführerin Julia Schmitt-Thiel deutlich, als im Programm der internationalen Wochen gegen Rassismus nun Bewohner der Freimanner Sinti-Siedlung schon zum zweiten Mal Einblicke in ihr Leben gaben.

Der Großteil der Nachbarn meide noch heute, 13 Jahre später, den Kontakt. Das berichtet Natascha Wittmann, die mit ihrer Familie in der Siedlung lebt: "Wir sind normale Bürger, die nicht klauen", betont sie. Doch die Vorurteile sitzen tief. "Das ist schwierig, der Mehrheit klar zu machen, dass es nicht an der Minderheit liegt", meint Antiziganismus-Forscher Wolfgang Benz, der sich seit mehr als 20 Jahren mit Ressentiments gegenüber Sinti und Roma beschäftigt. Die Mehrheit stabilisiere ihr Bild von sich als den Guten auf Kosten der Minderheit, erklärt der Historiker. Aus dieser Praxis der Unterscheidung wachsen Demütigungen, das wird aus den Berichten der anwesenden Sinti und Roma deutlich. Sie sprechen stellvertretend für die etwa 7500 Sinti in der Stadt.

"Noch bis in die Neunzigerjahre wurden sie als Menschen zweiter Klasse behandelt", erinnert sich auch die Vorstandsvorsitzende der Mohr-Villa, Brigitte Fingerle-Trischler, die selbst Freimannerin ist. Der Hungerstreik in der KZ-Gedenkstätte Dachau an Ostern 1980 habe viel bewegt. Auch Uta Horstmann hungerte damals mit. Die Sozialarbeiterin engagierte sich viele Jahre für die Sinti-Siedlung und erlebte von Beginn an Diskriminierung oder Misstrauen in der Nachbarschaft. Noch heute schweigen viele Sinti und Roma in der Öffentlichkeit über ihre Wurzeln. Aus Angst. "Ich kenne viele Sinti, die hochqualifizierte Berufe haben, ihre Herkunft aber lieber für sich behalten", berichtet Horstmann. Sie hätten Angst vor einer Kündigung. Neben ihr sitzt eine junge Sintiza und nickt. Sie selbst arbeite in einer Parfümerie. Nachdem sie bei früheren Vorstellungsgesprächen des Öfteren abgelehnt worden war, habe sie dann auf Fragen nach ihrer dunkleren Hautfarbe geantwortet, sie sei halb Inderin.

Sie bekam den Job und wich später der Frage aus, warum sie immer nur Röcke trage. Die Sintiza würde ihrer Chefin gerne die Wahrheit erzählen, doch sie ist verunsichert. "Ich bin pünktlich und mache meine Arbeit genauso gut wie jeder andere", sagt sie, als müsste sie sich für ihre Herkunft rechtfertigen.

"Solange sich jemand nicht traut, zu sagen, wer er ist, ist unsere Welt nicht in Ordnung, ganz egal ob Sinto, Rom oder Flüchtling!" Horstmann echauffiert sich. Damit solche Ängste abgebaut werden können, brauche man viel Überwindung, meint Forscher Benz. Doch die Mehrheit sei nach wie vor von Ängsten geprägt - genauso wie die Minderheit.

Noch immer, so scheint es, besteht Misstrauen auf beiden Seiten. Doch Matthias Weinzierl vom Bayerischen Flüchtlingsrat ist optimistisch, er sagt, der starke Widerstand gegen die Pegida- Aufmärsche im vergangenen Winter habe gezeigt: "Wir können der Bevölkerung mehr zutrauen." Er glaube, die Motivation sei groß. Doch wo Trennung bestehen bleibe, könne es kein Miteinander geben.

Das Engagement von sozialen Institutionen, wie von der Kirche ausgerichtete Sommerfeste für die Freimanner Nachbarschaft, ist wichtig für das Zusammenleben, reicht aber nicht. Die Mohr-Villa beschäftigt sich seit etwa einem Jahr mit dem Thema. Nun sei durch die diesjährige Veranstaltung über die Münchner Sinti und Roma auch die Mittelschule an der Situlistraße aufmerksam geworden und habe Interesse an gemeinsamen Projekten gezeigt, freut sich Schmitt-Thiel. "Ich glaube, dass Begegnung ein Weg ist, Vorurteile abzubauen", sagt sie hoffnungsvoll.

Mit viel Engagement und gegenseitigen Zugeständnissen könnte es gelingen, die Grenzen zwischen Deutschen, Sinti und Roma zu beseitigen. Dafür allerdings, so formuliert es Wolfgang Benz, sei es wichtig, dass die Minderheit ihr Recht wahrnehme und sage: "Ich bin auch ein Mitglied der Mehrheitsgesellschaft, ich bin Deutscher."

© SZ vom 28.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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