Freimann:Lange her

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Fotografien, Gemälde, Postkarten: Die Ausstellung "Freimanner Hofgeschichten" in der Mohr-Villa erinnert an das ländliche Leben und die Besitzer einst stolzer Gutshöfe

Von Stefan Mühleisen, Freimann

Im Jahr 1909 drosselt der überhitzte Münchner Immobilienmarkt etwas das Tempo. Die Stadt ist in den vergangenen Dekaden immens gewachsen. Doch Ende des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts haben sich die Hauptakteure auf diesem umkämpften Markt - die Terraingesellschaften als frühe Form des Konsortiums - die meisten Flächen aufgeteilt. Es ist nun an der Zeit, mit elegischer Reklame die Besiedlung anzukurbeln, zum Beispiel in der brandneuen Gartenstadt-Villensiedlung Freimann. Der Weg dorthin sei jedem Münchner durch Wanderungen zum Aumeister oder zur Floriansmühle wohlbekannt, schreibt die Terrain-AG München Nord-Ost damals in einem Prospekt. "Tritt er dann heraus auf den grünen Anger, grüßen ihn die freundlich zwischen Obstbäumen hervorlugenden Landhäuser des Vorortes Freimann."

Man kann diesen Werbetext auch als Abgesang auf das alte Dorf Freimann lesen. Denn mit den neuen Häusern siedeln sich auch Industriebetriebe an, der ländliche Charakter des einstigen Flecken aus einem Dutzend Höfen und einer Handvoll Handwerkerhäusern ist dahin. Eine Ausstellung in der Mohr-Villa ruft nun die dörfliche Vergangenheit Freimanns in Erinnerung: Viele historische Fotografien, Gemälde, Postkarten zeigen die Geschichte der Bauernhöfe, bevor das Industriezeitalter sie hinwegfegte. "Freimanner Hofgeschichten", ist die Schau im Kaminzimmer der Mohr-Villa betitelt.

Augen-Blicke: Erinnerung an den Sondermeierhof aus dem Jahr 1908. (Foto: Mohr-Villa Stadtteilarchiv)

Kuratiert hat diese Ausstellung Brigitte Fingerle-Trischler, die Vorsitzende des Kulturzentrums Mohr-Villa und seit Jahren Leiterin des zugehörigen Archivs. Die Idee für das Projekt lieferte ein Gemälde des Freimanner Malers Hans Gall, datiert aus dem Jahr 1947. Es zeigt den Zehetmeier-Hof inmitten von Feldern, durch die sich der Mühlbach windet. "Das ist das alte Bachbett, noch vor der Begradigung", sagt Fingerle-Trischler. Ein Dokument der alten Dorf-Vergangenheit: "So kamen wir auf den Gedanken, zu zeigen, wie Freimann vor der Industrialisierung ausgesehen hat."

Es war eine Zeit, als auch Schwabing rund um die alte Ursulakirche noch einen Dorfkern hatte. Und die Terrain AG lag schon richtig: Viele Münchner wandern oder radeln in jenen Jahren gerne durch die Hirschau nach Norden zu dieser idyllischen Siedlung, weit jenseits der Stadtgrenze; die "Restauration Floriansmühle" und das Wirtshaus "Aumeister" sind beliebte Ausflugsziele - stadtbekannt durch bunt aquarellierte Postkarten. Bis zum Ersten Weltkrieg treffen Besucher in Alt-Freimann auf zwölf bewirtschaftete Höfe, die damals schon Jahrhunderte überdauert hatten und meist die Namen der Besitzer tragen. Ihre Geschichte lässt sich aus drei Beständen rekonstruieren. Aus dem Nachlass von Viktor Emmerig, ehemals Rektor der Pestalozzischule, aus der ebenfalls reichhaltigen Sammlung Maria Lindlbauers, die zeit ihres Lebens Dokumente, Bilder, Erinnerungen zusammen getragen hat; und aus einer Chronik, die Ortspfarrer Martin Seeanner Ende des 19. Jahrhunderts verfasst hat.

Die St. Floriansmühle ist hier auf der Postkarte zu sehen. (Foto: Mohr-Villa Stadtteilarchiv)

Daraus destillierte Brigitte Fingerle-Trischler reich bebilderte Biografien der einzelnen Höfe; bis auf den Spiegl-Hof an der Ecke Heinrich-Groh-Straße und Situlistraße steht keiner mehr. Auf den Anwesen spielten sich mitunter Tragödien ab. Dokumentiert ist etwa, dass 1854 der 18-jährige Sohn des Spiegl-Hof-Besitzers von einem Ausflug in die Stadt zurückkehrt - und tags darauf an der Cholera stirbt. Die Eltern fangen sich die tödliche Krankheit ebenfalls ein, als sie in München einen Trauerkranz für ihn besorgen.

Das größte und bedeutendste Anwesen war der Groh-Hof von Heinrich Groh. Das Gutsgelände gehörte seit dem Spätmittelalter dem Freisinger Bischof und wechselt dann nach der Säkularisation 1803 immer wieder den Besitzer. Heinrich Groh, später Landesökonomierat, ist dort zunächst Verwalter - und zwar derart tüchtig, dass ihm Freiherr von Wambolt das Vorkaufsrecht für den weitläufigen Besitz einräumt. Da Grohs Gattin Centa als Ziegeleiunternehmer-Tochter vermögend ist, kann Groh 1888 zuschlagen.

Erinnerung an die 1897 abgelichtete Familie Ulmann. (Foto: Mohr-Villa Stadtteilarchiv)

Er verlegt sich bald ganz aufs Immobiliengeschäft, verkauft die "Grohgründe" Stück für Stück an die Stadt München - und steigt bei der Terrain-AG München Nord-Ost ein. So ist er einer der Väter der Gartenstadt-Villenkolonie, Kernensemble des heutigen Freimann. Doch bereitet er nicht nur diesem sanften, urbanen Wandel den Weg. Groh ist auch treibende Kraft dafür, dass sich 1916 die Bayerischen Geschützwerke Friedrich Krupp an der heutigen Lilienthalallee niederlassen. Nacheinander verkaufen die Hofbesitzer ihre Anwesen an das Industrie-Unternehmen.

Der Fortschritt rollt mit Macht heran, das dörfliche Leben und die Landwirtschaft gehen in Freimann dem Ende entgegen. Aus den alten Höfen werden Arbeiter-Wohnungen; als die Reichsbahn die Krupp-Werke 1927 übernimmt und das Ausbesserungswerk für Waggons und Loks einrichtet, entstehen Genossenschaftswohnungen. Ende der Dreißigerjahre reißt die Autobahn die Ortsteile auseinander; 1958 muss der Leinthaler-Hof der kolossalen Autobahnhochbrücke an der Kreuzung zum Frankfurter Ring weichen. Heute erinnern noch einige Straßennamen an die früheren Hofbesitzer - und noch bis Sonntag, 30. April, leistet dies die formidable Ausstellung in der Mohr-Villa; Dienstag, Mittwoch und Donnerstag von 11 bis 15 Uhr.

© SZ vom 20.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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