Freimann:Hart, aber herzlich

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Eine Autoritätsperson aus Überzeugung: Dorothea Wilhelm ist eine Lehrerin alter Schule, eine jener Spezies, die sich nie die Sinnfrage stellte. Wegen ihrer entschiedenen Art, die durchaus strikt, aber nie herrisch, und vor allem humorvoll ist, hat sie sich bei Schülern, Eltern und Kollegen großen Respekt erworben. (Foto: Robert Haas)

16 Jahre lang war Dorothea Wilhelm Rektorin der Grundschule an der Burmesterstraße, nun geht sie in den Ruhestand. Sie wird geschätzt für ihren speziellen Charakter - und was sie damit alles für die Einrichtung erreicht hat

Von Stefan Mühleisen, Freimann

Dorothea Wilhelm mag in diesen Tagen an eine Sentenz des Dramatikers Bertolt Brecht denken, die er in seinem "Buch der Wendungen" veröffentlicht hat, eine Art philosophische Lehre, wie Veränderungen zu meistern sind. Jeder Lehrer, so heißt es da, müsse lernen, das Lehren aufzuhören, mithin eine schwere Kunst, wie Brecht anfügte. Eine schmerzliche Erkenntnis für viele Pädagogen, die aus Überzeugung und mit Leidenschaft ihren Beruf ausüben, wie dies auch Dorothea Wilhelm 43 Jahre lang getan hat.

Zuletzt war sie 16 Jahre lang Rektorin der Grundschule an der Burmesterstraße in Freimann, ihrem "Lieblingskind", wie sie durchaus zärtlich sagt - nun hat sie mit 65 Jahren das Pensionsalter erreicht - und geht in Ruhestand. Doch das Aufhören fällt Wilhelm nicht leicht. "Es ist schwierig", beschreibt sie die Kunst, mit dem Lehrerdasein abzuschließen. "Ich hoffe, dass mich eine neue Aufgabe findet."

Die Rektorin sitzt an ihrem letzten Arbeitstag in ihrem Büro, die Kisten stehen gepackt auf dem Boden, auf dem Schreibtisch Blumensträuße. Sie verströmt eine Präsenz jener Spezies Lehrerinnen, die sich nie die Sinnfrage stellten, die ganz natürlich von der Aufgabe erfüllt sind, den Kindern etwas beizubringen und auch Vorbild sein wollen: entschieden, aber nicht herrisch, durchaus strikt - aber auch mit Humor. Eine strenge Philanthropin alter Schule also, was schon durch ihren Look deutlich wird: seriöse, randlose Brille, rosa Polohemd und schwarze Hose mit buntem Blumenmuster. "Ich mache hier nicht auf gute Freundin. Ich bin eine Autoritätsperson, aus voller Überzeugung", bemerkt sie.

Ertappte sie Schüler beim Lügen oder Petzen, waren die Hausaufgaben nicht gemacht oder einer ihrer Zöglinge gähnte recht unverschämt im Unterricht, "das ging alles gar nicht", sagt sie. Doch eine eiserne Lady war sie nicht, schon nicht als sie, nach mehreren Stationen, ihre erste Rektorenstelle an der Grundschule an der Hanselmannstraße antrat und 2002 dann die Leitung der Burmesterschule übernahm. Freilich habe sie Standpauken gehalten, sagt Wilhelm. "Doch ich habe immer viel gelacht mit den Schülern."

Dorothea Wilhelm stammt aus Demmin, einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern. Als sie sieben Jahre alt war, zwei Jahre vor dem Mauerbau, flüchteten ihre Eltern mit ihr und den beiden Geschwistern aus der damaligen DDR. Schon damals keimte in ihr die Gewissheit, dereinst selbst zu unterrichten. Ihr Ansporn war ihre damalige Grundschullehrerin. "Ich habe sie über alle Maßen verehrt", räumt Dorothea Wilhelm ein und schildert diese als eine Person, deren Eigenschaften sie selbst kultiviert hat: eine Frau mit Autorität und gewisser Grandezza, jemand, der konsequent war, aber auch herzlich - und dafür allseits respektiert wurde.

Respekt hat sich die Rektorin auch beim städtischen Schulreferat und den staatlichen Stellen erarbeitet. Die derzeit 520 Kinder an der Burmesterschule setzen sich aus 60 Nationalitäten zusammen; Mädchen und Buben aus Akademikerfamilien ebenso wie aus einkommensschwachen Verhältnissen. Wilhelm setzte auf eine breit gefächerte Förderung: Die Schule nahm als eine von 20 Grundschulen in Bayern an dem Modellversuch "Flexible Grundschule" teil. Dabei durchlaufen die Kinder in individuellem Tempo entsprechend ihrer Begabung und Entwicklung die Klassenstufen. Es gibt mit dem "Burmel-Kinderclub" ein spezielles Betreuungsangebot mit einem sozialen Träger.

Zudem zählte die Burmesterschule seit 2009 zu jenen Einrichtungen in München, die konsequent das Ganztagsangebot ausbauen. Acht Klassen sind es inzwischen, eine organisatorische Herausforderung, weil die Raumnot immer größer wurde. Stetig hakte Wilhelm im Bildungsreferat nach und setzte sich auch mit Erfolg für mehr Plätze im benachbarten Hort ein. Nicht von Erfolg beschieden war unterdessen ihr Griff nach dem Amt des Stadtschulrates - in der Bewerbungsrunde kam damals Rainer Schweppe zum Zug. "Ich hätte große Lust auf die Herausforderung gehabt", sagt sie, allerdings wenig bekümmert. Konnte sie doch weiterhin Lehrende sein, ihrer Berufung, von der sie sich nun verabschieden muss.

Die Schüler der Burmesterschule lassen sie nicht gerne gehen, wie nicht wenige der scheidenden Rektorin unverblümt zu verstehen gaben. Manche klopften an ihre Türe und riefen "es war schön mit Ihnen" in den Raum; andere schickten Briefe mit bunten Zeichnungen und überreichten Blumensträuße. "Bei ihr stand immer das Wohl der Kinder im Zentrum", sagt Hans Hofmann, Vorsitzender des Elternbeirats. Der Elternvertreter rühmt die vertrauensvolle Zusammenarbeit und würdigt Dorothea Wilhelms "zupackende Art". Die Burmesterschule, so sagt Hans Hofmann, stehe heute glänzend da. "Wir werden sie vermissen."

© SZ vom 22.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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