Freimann:Gleiche unter Gleichen

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Jeden Abend folgen bis zu 350 Flüchtlinge aus der Bayernkaserne der Einladung des Deutsch-Türkischen Kulturvereins zum Fastenbrechen während des Ramadan

Von Margarethe Gallersdörfer, Freimann

Emine Gök isst zuerst die getrocknete Dattel neben ihrem Suppenteller. Sie hat seit 17 Stunden nichts zu sich genommen, deswegen lässt sie es langsam angehen - sie will ihren Magen nicht überfordern. Die 28-Jährige sitzt in der Halle im Erdgeschoss des Deutsch-Türkischen Kulturvereins an der Heidemannstraße, ihr Vater Ayhan Gök ist hier der Vorsitzende. Kinder laufen zwischen den Bänken umher, Frauen tragen Nudeln mit Hackfleisch auf Plastiktellern durch den Raum. "Wir Frauen haben uns heute entschieden, zuerst zu essen und dann zu beten", erklärt Emine Gök. Die Männer machen es andersherum, der Klang der arabischen Verse aus den oberen Räumen mischt sich mit vielsprachigem Stimmengewirr in der Halle. Jeden Abend lädt der Deutsch-Türkische Kulturverein zum "Iftar" ein, dem Fastenbrechen nach Sonnenuntergang während des Ramadan. Und jeden Abend folgen bis zu 350 Flüchtlinge aus der Bayernkaserne dieser Einladung.

Das vierte von fünf Gebeten an diesem Tag dauert nur zehn Minuten. Ein Glück für die Männer, die sich aufs Essen freuen: Nur Sekunden, nachdem die Gebete verstummt sind, strömen sie aus dem Gebetsraum in ihre Hälfte des Saals und unter die Pavillons draußen vor der Halle. An der Essensausgabe bildet sich schnell eine lange Schlange. Die Stimmung ist entspannt - Angst, nichts mehr abzubekommen, scheint hier niemand zu haben.

Die Flüchtlinge sind nicht nur als Gäste hier, viele helfen auch mit beim Aufbau und der Essensausgabe. "Sie kommen von sich aus zu uns und fragen, was es zu tun gibt", sagt Kemal Altunkaynak vom Kulturverein. Ayhan Gök, der Vorsitzende des Vereins, blickt auf die Männerschlange. "Letztes Jahr waren es mehr Familien", sagt er, unter den diesjährigen Gästen seien viele sehr junge Männer, die meisten jünger als 20. Und aus vielen verschiedenen Ländern, ergänzt Kemal Altunkaynak: "Afghanistan, Pakistan, Albanien, Bosnien, Syrien, Irak, aus afrikanischen Ländern. Und manchmal auch Deutsche." Deutsche? "Die sehen die Schlange und stellen sich dann auch an." Altunkaynak findet das in Ordnung - auch die Flüchtlinge, die regelmäßig zum Iftar kommen, sind nicht alle gläubige Muslime. "Wir machen keinen Unterschied", sagt er.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Es gibt Suppe, Brot, Salat, zwei Hauptgerichte, außerdem Nachspeise und frittiertes Süßgebäck.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Erst das Gebet; dann das gemeinsame Essen.

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(Foto: Stephan Rumpf)

An der Essensausgabe bildet sich schnell eine lange Schlange. Die Stimmung ist entspannt.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Friedliches Miteinander: Trotz der vielen unterschiedlichen Nationalitäten und Kulturen, die sich hier versammeln, gibt es keinen Ärger.

Angefangen hat das gemeinsame Fastenbrechen im vergangenen Jahr, ganz inoffiziell. Der Deutsch-Türkische Kulturverein, vorher an der Knorrstraße ansässig, hatte ein altes Gebäude an der Heidemannstraße gekauft, nur ein paar hundert Meter von der Erstaufnahmeeinrichtung entfernt. Eine förmliche Einladung zum Fastenbrechen gab es nie: "Die Leute haben einfach mitbekommen, dass wir hier Iftar machen. Durch Mund-zu-Mund-Propaganda sind dann jeden Tag mehr gekommen", erzählt Kemal Altunkaynak.

Dieses Jahr war der Verein von Anfang an auf die Flüchtlinge vorbereitet: Jeden Tag geht Altunkaynak einkaufen, holt kiloweise Fleisch, Nudeln, Reis, Salat und Gemüse. 400 Euro gibt der Verein täglich für die Verpflegung seiner Gäste aus. Erdem Ismet, der Koch, macht sich um mittags um zwölf an die Arbeit. Es gibt jeden Tag Suppe, Brot, Salat und ein bis zwei Hauptgerichte, außerdem eine Nachspeise und frittiertes Süßgebäck.

Trotz der unterschiedlichen Nationalitäten und Kulturen, die sich hier versammeln, gibt es keinen Ärger, sagt Altunkaynak - weil das dem Geist des Festes widerspräche, aber auch, weil Gök und Altunkaynak ein wenig auf die Sitzordnung achten: "Wenn die Pakistaner drinnen sitzen, müssen die Albaner draußen sitzen und andersherum", sagt Altunkaynak mit einem Augenzwinkern.

Sonst gibt es beim Essen keine Aufteilung nach Nationalitäten. "We are all brothers", sagt Bekri Adam Idric. Er ist 17 Jahre alt und kommt aus dem Sudan, seit zwei Monaten lebt er in der Bayernkaserne. Zum Fastenbrechen beim Deutsch-Türkischen Kulturverein ist er jeden Tag gekommen. Wie für viele der Gäste ist das Essen hier die einzige Mahlzeit, die er während der Fastenzeit zu sich nimmt.

In der Kantine der Bayernkaserne gibt es zwar laut Auskunft der zuständigen Regierung von Oberbayern nach Sonnenuntergang noch eine gesonderte Essensausgabe und Lunchpakete für die muslimischen Bewohner. Die meisten, die zum Kulturverein kommen, scheinen davon jedoch nichts mitbekommen zu haben, vielleicht ist ihnen die Tafel beim Kulturverein auch einfach lieber. Emine Gök, die Tochter des Vereinsvorsitzenden, schüttelt den Kopf: "Ich verstehe nicht, warum die das nicht besser organisieren können. Wir richten uns ja auch auf die Gäste ein." Sie zeigt hinter sich zu den Bierbänken in der Halle, wo gerade die letzten aufstehen: "Wir würden sonst auch nicht jeden Abend so etwas Großes machen. Aber die Leute brauchen das. Also stellen wir uns darauf ein."

Für die Leute vom Deutsch-Türkischen Kulturverein ist das nicht nur Ehrensache, es entspricht auch dem Geist des Ramadan. Die Fastenzeit sei nicht nur eine Zeit des Verzicht und des Betens, sondern auch der Zuwendung zu den Menschen, denen es nicht so gut geht wie einem selbst, erklärt Emine Gök: "Wenn ich an die Situation der Leute hier denke, die mit ihren Kindern ihr Zuhause verlassen mussten, könnten mir direkt die Tränen kommen."

Das Mitgefühl teilen hier viele, gewissermaßen gehört es auch zum Ramadan: Spenden an Arme und Bedürftige sind während der Fastenzeit Pflicht für alle Muslime. Die Flüchtlinge, die mithelfen, bekommen oft etwas Geld von den Vereinsmitgliedern zugesteckt. Und auch das gemeinsame Fastenbrechen wäre ohne diesen Brauch wohl überhaupt nicht zu stemmen: Das Essen finanziert der Verein bislang ausschließlich aus Spenden.

Auch wenn gemeinsam gegessen wird und die Stimmung gelöst ist - nach einer Dreiviertelstunde ist alles vorüber. Die Vereinsmitglieder fangen an, aufzuräumen und warten auf das Nachtgebet. Ihre Gäste verschwinden schnell wieder in der Dunkelheit - in Richtung Bayernkaserne.

© SZ vom 16.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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