Freimann:Der teure Weg vom Müll zur Natur

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Die Deponie Nordwest nördlich der Allianz-Arena ist weitgehend verfüllt und wird nun Schritt für Schritt abgedichtet und begrünt. Das kostet mindestens 25 Millionen Euro, vielleicht auch mehr - auch weil zum Beispiel Zauneidechsen umgesiedelt werden müssen

Von Thomas Kronewiter

Manchmal liegt die Ursache, warum Projekte besonders teuer werden, ganz im Kleinen. Im Falle der Deponie Nordwest nördlich der Allianz-Arena passt sie auf eine Handfläche. Die Wechselkröte, die Zauneidechse, die Wildbiene und die Blauflügelige Ödlandschrecke sind wesentliche Gründe, warum die Oberflächenabdichtung des nahezu vollständig verfüllten Müllbergs in vier Bauabschnitten erfolgen muss. Würde man die Tiere nicht berücksichtigen, könnte das Bauvorhaben Millionen Euro billiger ausfallen. So aber rechnet Holger Huhle, beim städtischen Abfallwirtschaftsbetrieb verantwortlich für die Abteilung Anlagen, mit Gesamtkosten von netto 25,7 Millionen Euro, mit der bei solchen Großprojekten üblichen Risikoreserve sogar mit maximal 34,2 Millionen.

Das geht beileibe nicht allein auf das Konto von Flora und Fauna, zuvorderst steht die Technik. Gleichwohl machen die Tiere die Logistik komplizierter. Denn Fachleute müssen, soweit machbar, Abschnitt für Abschnitt alle Exemplare der geschützten Arten einsammeln und rollierend in Ersatzhabitaten wieder aussetzen, bevor schweres Gerät anrücken darf.

Das geschieht gerade. Zäune sollen dann verhindern, dass die Tiere zurück in die jeweiligen Baufelder kommen. Immerhin gehe es, so Projektleiter Stefan Schmidt, allein bei den Zauneidechsen um eine Population von geschätzt 500 Tieren. Und schließlich ist die Oberflächenabdichtung des "Entsorgungsparks Freimann", zu welcher der städtische Abfallwirtschaftsbetrieb (AWM) gesetzlich verpflichtet ist, um langfristig Gefahren für Mensch und Umwelt auszuschließen, für die Behörde laut Kommunalreferentin Kristina Frank "das derzeit größte Klimaschutzprojekt überhaupt".

Schwarze Schlacke unterm Windrad: Die Oberfläche der Deponie Nordwest soll abgedichtet werden. (Foto: Robert Haas)

Das kontrollierte Verbrennen von Methangas spart schon jetzt jährlich das Äquivalent von 4000 Tonnen CO₂ ein. Mit dem Oberflächenabdichtungssystem, das Gas nicht mehr diffus in die Atmosphäre entweichen lässt, sowie dem zusätzlichen Anschluss von Deponiegasbrunnen lassen sich weitere 5000 Tonnen einsparen. Das ist kein Pappenstiel: Immerhin gilt Methan als 28 Mal klimaschädlicher als Kohlendioxid. Ziel sei es außerdem, so Kristina Frank, den mit fast vier Millionen Kubikmetern riesigen Abfallhaufen trotz der integrierten Schadstoffe etwa aus Asbest letztlich als wertvollen Natur- und Lebensraum vollständig in die benachbarte Fröttmaninger Heide einzugliedern.

Im März hat der Stadtrat die Abdichtung des Müllbergs genehmigt und das dafür vorgesehene Geld aus Rücklagen des Abfallwirtschaftsbetriebs freigegeben. Die Ausschreibung läuft bereits, im Juni soll das Probefeld eingerichtet werden, nach dessen Abnahme durch die Behörden die eigentlichen vier Bauabschnitte starten können. Beginnen will das Projektteam mit dem letztlich beauftragten Generalunternehmer im Nordwesten im Frühjahr 2022, fünf Jahre später, im Laufe des Jahres 2026, will man den Berg, auf dessen Spitze das neue Windrad der Stadtwerke steht, auf nahezu elf Hektar Fläche komplett dicht haben.

Stefan Schmidt, Holger Huhle und Referentin Kristina Frank (von links). (Foto: Robert Haas)

Damit der Rotor nicht ins Wanken oder Wackeln gerät, hat man bei dessen Fundament besonders sorgfältig gearbeitet. Für den Fall von Setzungen sind etwa Hohlräume vorbereitet, in die Spezialbeton injiziert und das Bauwerk stabilisiert werden kann. Damit der ganze Berg nicht instabil wird, kommt über die jahrzehntelang eingelagerten Hausmüllabfälle, sogenannte Siedlungsreste, über Bauabfälle und siedlungsabfallähnliche Gewerbeabfälle, Schlacken aus der Müllverbrennung und Klärschlamm aus der Abwasserreinigung eine Schlackeauflage, die sich bestens verdichten lässt. Die beauftragte Firma darf sogar leicht belastete Baustoffe mitbringen und miteinbauen, um die Tragschicht zu stabilisieren - so lange dies unterhalb des Deckels geschieht.

Die eigentliche Abdichtung der 40 Metzer hohen Deponie wird dann aus neun Schichten bestehen. "Da kommt nicht einfach Dreck auf Dreck", sagt Projektleiter Schmidt. Kern ist eine zweimal 25 Zentimeter dicke Schicht aus Bentonit mit integrierter Geotextillage. Der eigens mit Tonmehl und Kies gemischte Bentokies - laut Projektleiter Schmidt eine hochwertige mineralische Dichtung - gilt als selbstheilend: Dringt Wasser ein, quillt das Material auf und dichtet sich selbst wieder ab.

Das Geotextil - der Hobbygärtner kennt es vereinfacht als Vlies, wenngleich hochwertig und eigens zertifiziert - sorgt dafür, dass das Bentonit nicht weggeschwemmt wird. Während man bei der Klärschlamm-Deponie Nord jenseits der Nürnberger Autobahn auf eine weitere Dichttechnik noch verzichten durfte, verlangen die Aufsichtsbehörden nun obendrein auch noch eine Decke aus Spezialasphalt, die zudem als Wurzelsperre fungiert. "Wie beim Dammbau", sagt Holger Huhle. Ob diese ein- oder zweilagig ausgeführt werden muss, ist derzeit noch Gegenstand von Debatten. Allein diese Frage entscheidet gegebenenfalls über Mehrkosten von einer halben Million Euro.

Ist der Berg dicht, wird er mit Büschen und Bäumen rekultiviert. Auch dann rechnen die Verantwortlichen allerdings noch mit einer jahrzehntelangen Nachsorge für den Berg an Zivilisationsresten am Fuße des Windrads, wenngleich mit tendenziell sinkendem Aufwand. Über Kamine saugt der AWM deshalb schon jetzt permanent Methangas ab und verbrennt es zentral an einer Schwachgasfackel - bis eines Tages das organische Material weit genug abgebaut ist.

Ziel der Verantwortlichen ist ein nahtloser Natur-Übergang der Deponie Nordwest zur benachbarten Heide. (Foto: Robert Haas)

Das sei ökologischer als jede teurere Verwertung, so die Experten. Permanent werden Gas- und Sickerwasserkonzentrationen gemessen. Allein bis die Masse des im Berg befindlichen Wassers in die Sickerwasseraufbereitung und von dort nach einer Vorbehandlung in das Klärwerk abgelaufen sei, dauere es zwei Jahre.

Es wird also Geduld und viel Geld brauchen, bis man sich um die Deponie, die inzwischen Entsorgungspark Freimann heißt, gar keine Gedanken mehr machen muss, bis kaum noch neues Niederschlagswasser ein-, kaum mehr Sickerwasser und kaum mehr Gas austreten wird. Bisher, sagt Stefan Schmidt, sei in Deutschland "noch überhaupt keine Deponie aus der Nachsorge entlassen" worden.

© SZ vom 08.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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