Freimann:Der Klang der Spinnweben

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Für die Projekt-Reihe "Frequenzen" hat Emanuel Mooner ein verlassenes, altes Haus in Freimann akustisch erkundet

Von Jutta Czeguhn, Freimann

Eine Eigenheimer-Straße in Freimann, unweit des Bayerischen Rundfunks. Im nahen Tennispark St. Florian sind fast alle Plätze von Feierabendspielern belegt, man hört das trockene, regelmäßige "Plock-Plock" der Bälle. Irgendwo mäht jemand Rasen, Amseln zwitschern. Es riecht nach Regen. Das Haus an der Zehetmeierstraße 2 steht still und irgendwie unantastbar da. Womöglich liegt es daran, dass sich in seinem Garten frisch abgeholzte Bäume und Büsche zu einem undurchdringlichen Dickicht türmen. "House of Good Memories" steht auf einem weißen Plakat am Zaun, das zum Eintreten einlädt. Zögernd öffnet man das Gartentor, der Weg führt über eine von Farnen überwucherte, glitschige Garagenzufahrt hinab zum Kellereingang. Die Türangeln quietschen. Drinnen Dunkelheit, Kälte, Staubgeruch, von irgendwoher dringen seltsam blecherne Stimmen.

"Ich hab' drei Monaten intensiv nach Leerstand geforscht und unglaublich viel gefunden", wird Emanuel Mooner später oben in der kahlen Küche erzählen. So kam er zu einem Notizbuch voller Adressen von verlassenen Häusern, um das ihn wohl alle Makler dieser Stadt beneiden. Am Ende aber blieb nur diese eine alte Freimanner Stadtvilla aus den Dreißigerjahren. Die Investoren, die das Haus gekauft haben, waren die einzigen, die es ihm für sein Kunstprojekt zur Verfügung stellen wollten. Mooner ist einer von insgesamt acht Münchner Künstlerinnen und Künstler, die von Mai bis Oktober die "akustischen Dimensionen der Stadt" hörbar machen. "Frequenzen" nennt das Kulturreferat die Reihe.

Hörerfahrungen: Im vollgerümpelten Keller und in der Küche können die Besucher der Geschichte der alten Stadtvilla nachspüren. (Foto: Stephan Rumpf)

Emanuel Mooner, bürgerlich Emanuel Günther, ist vieles, Musiker und DJ, Labelgründer und Collagekünstler. "Songs of the Siren. Part I - House of Good Memories" hat er sein Projekt getauft. Doch anders als Odysseus kann der Besucher dem Sirenengesang in der Villa gefahrlos lauschen. Denn zunächst ist da nichts als die Stille eines verlassenes Hauses, in die es hineinzuhören gilt. Wie ein Klangjäger hat Mooner vom Keller bis zum Dachboden nach Tönen gesucht. Sein Computer lief Tag und Nacht und zeichnete Geräusche auf, die er später am Rechner komprimierte. "Es gibt hier sehr wohl etwas zu hören, man muss sich Zeit lassen, es erschließt sich nicht sofort", sagt er. So sind auch seine akustischen Eingriffe eher subtil und womöglich lediglich Assistenz, sich in eine andere zeitliche Dimension "durchzuhören". Im ersten Stock etwa hat Mooner das Knarzen der Fußbodendielen akustisch verstärkt. In der Küche tickt der Sekundenzeiger der Uhr auffallend laut, als sei es der kalte Herzschlag des alten Hauses. Und im Keller, der voller Gerümpel ist, scheinen sich Töne und mit ihnen Erinnerungen in den Spinnweben verfangen zu haben, die von all dem Staub ganz dickfadig geworden sind. In einem der düsteren Räume dort unten - Mooner wird das auf fast jeder Etage ähnlich inszenieren - ist er in einem Video zusammen mit einem Kind zu sehen. Die beiden sind in ein Gespräch vertieft, über die Menschen, die im Haus gelebt haben könnten. Die beiden tauschen Bilder aus, "good memories", gute Erinnerungen an Leute, die sie gar nicht kannten, an Ereignisse, die sie nicht selbst erlebt haben. "Kinder haben eine andere, unmittelbarere Wahrnehmung als wir Erwachsene", sagt Emanuel Mooner.

Dann geht die Haustür auf und mit ihr drängt geräuschvoll das Heute herein. Mooner begrüßt einen älteren Herren, dessen Frau und Sohn. Es ist die Familie der ehemaligen Hausbesitzer, das wird schnell klar, denn die Drei bewegen sich mit großer Selbstverständlichkeit durch die vertrauten Räume, auch wenn sie seit Jahren nicht mehr hier waren. Sie machen Fotos und beginnen zu erzählen, von der Kindheit, vom Keller, der in den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs als Bunker diente, vom Swimmingpool im Garten, der eigentlich eher ein Trog war.... Obwohl neugierig auf ihre Geschichten, verspürt man den Drang, sich wie Odysseus' Männer die Ohren zu verschließen. Weil diese authentischen Erzählungen die Gedanken, Emotionen und Bilder verblassen lassen, die einem das leere, stille Haus zuvor so großzügig offenbart hat.

Der Künstler Emanuel Mooner leistet subtile, akustische Assistenz. (Foto: Stephan Rumpf)

"Songs of the Siren. Part I - House of Good Memories" von Emanuel Mooner, Zehetmeierstraße 2, bis 20. Mai, täglich von 15 bis 19 Uhr. "Applaus", Klanginstallation von Sofia Dona, am Hauptbahnhof (Starnberger Flügelbahnhof), 11. Mai bis 11. Juni, 7 bis 23 Uhr. Näheres zum Projekt "Frequenzen" über das Stadtportal www.muenchen.de

© SZ vom 10.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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