Freiham:Visionen für die "Entlastungsstadt"

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In den kommenden 25 Jahren werden sich in Freiham rund 25 000 Menschen ansiedeln, 7500 Arbeitsplätze sollen im neuen Stadtteil entstehen. (Foto: privat)

Bei einem Podium zum neuen Stadtteil Freiham skizziert Stadtbaurätin Merk das unabdingbare Grundgerüst eines lebenswerten Viertels, sie überrascht Zuhörer aber auch mit Gedankenspielen über eine erste drohnenfreie Zone der Republik oder einen Musical-Standort

Von Ellen Draxel, Freiham

In München Stadtplaner zu sein, ist keine leichte Aufgabe. Der Job erfordert Visionen und Pragmatismus. Laut Stadtbaurätin Elisabeth Merk ist die bayerische Landeshauptstadt deutschlandweit die Stadt mit dem "höchsten Transformationsdruck", weil sie das größte Bevölkerungswachstum bei gleichzeitiger Flächenknappheit aufweist. Zu spüren ist dieser Druck derzeit nicht zuletzt in Freiham und Umgebung. Im äußersten Münchner Westen entsteht, angrenzend an bereits bestehende Wohngebiete, in den kommenden 25 Jahren ein komplett neuer Stadtteil mit Wohnraum für rund 25 000 Menschen, einem eigenen Gewerbegebiet mit 7500 Arbeitsplätzen, einem Bildungscampus und einem weitläufigen Landschaftspark. Wie aber kann ein so großes Viertel lebenswert gestaltet werden?

Diese Frage war am Dienstagabend Gegenstand einer Podiumsdiskussion in Freiham-Süd. Eingeladen hatte die lokale CSU - ein politischer Schachzug mit dem nicht unerwünschten Nebeneffekt, die Hoheit auf dem politischen Parkett im Westen zu behaupten. Auf dem Podium vertreten waren Elisabeth Merk, Stadtrat Johann Sauerer (CSU) und Stadtentwicklungsexperte Christian Hörmann von der Stadtentwicklungs-Agentur Cima. Dass es in Freiham viele Herausforderungen zu meistern gilt, darin war man sich einig. Aus Sicht der Stadtbaurätin ist vor allem eine gute Vernetzung wichtig: "Wir müssen uns als Planer gut überlegen, wie wir Neubaugebiete in vorhandene Strukturen einbinden." Die Nahversorgung sollte funktionieren, Radwege müssten verknüpft und Grünstreifen angelegt werden, soziale Netzwerke sollten greifen. Und natürlich müsse die Verkehrsanbindung stimmen. "Hätten die Kollegen in früheren Zeiten schon eine U-Bahn-Trasse hierher gebaut, wären wir jetzt froh." Vorausschauend sei zumindest gewesen, 1963 den Zweckverband Freiham zu gründen und diese Flächen auch zu behalten, um dort irgendwann eine "Entlastungsstadt", wie das Quartier damals genannt wurde, errichten zu können. "Einzigartig" sei heute der Umgang mit Energie in Freiham und Neuaubing-Westkreuz - dank der Geothermie und des Projekts "Smarter together". "Da können andere Stadtteile noch etwas lernen", sagte sie. Dass sie sich mit der Forderung nach einem Konzertsaal in Freiham nicht durchsetzen konnte, bedauert Merk. "Aber", ergänzte sie augenzwinkernd, "wir brauchen ja auch noch einen Musical-Standort."

"Grundgerüst" eines lebenswerten Viertels ist für Merk die Nutzung öffentlicher Räume. Freiham bekommt als urbane Mitte zwei kleine Zentren, nicht, wie zunächst geplant, eine große Einkaufs-Mall nach dem Modell der Pasing Arcaden. "Die Einkaufsmeile abzuwenden, hat mich zwei Jahre Überzeugungsarbeit bei meinen Kollegen gekostet." Vorgesehen sind in Freiham-Nord außerdem Krautgärten und ein Schulcampus, der nicht am Rande, sondern mitten im Quartier liegt. "Dadurch", hofft die Planungschefin, "werden auch die Nahversorgungszentren belebter."

Speziell im Fokus hat Merk die Stärkung von Genossenschaften. "In diesen Wohnmodellen sind bürgerschaftliches Engagement und Angebote zum Mitmachen bereits integriert, deshalb sollten wir solchen Typologien ganz großen Raum geben." Für den zweiten Realisierungsabschnitt Freiham, für den derzeit die Rahmenplanung erstellt wird, prüfe das Planungsreferat gerade, "wie die Bausteine aussehen müssen, damit sie sich für Genossenschaften eignen". Unterstützt werden sollten zudem "Bürgervereine" - schon angesichts der Tatsache, dass 50 Prozent der Münchner Haushalte Singles und nur 14 Prozent Familien zuzuordnen sind.

Eine Forderung, die Stadtentwicklungsexperte Hörmann teilt: "Identität mit dem Wohnort entsteht durch gesellschaftliche Erlebnisse, durch Menschen." Wenn Städte rasch an Bevölkerung zulegten, müsse dieser menschliche "Kitt" strukturell vorgedacht werden - indem man bei der Planung von Quartieren Wohnen und Arbeiten vermische oder kulturelle und soziale Angebote mixe. Bei Erfolg würden damit auch Verkehrsströme vermieden. Zusätzlich gelte es, ehrenamtliches Engagement zu fördern. "Was gebraucht wird, sind Vereine", findet er. "Und ein Quartiersmanagement, das Partizipation ermöglicht, ohne groß kostenpflichtig zu werden." Ein lebendiges Viertel brauche Kommunikationsorte. In der Investorenausschreibung für Freiham sollte nicht stehen, ein Wochenmarkt könnte dort realisiert werden, "sondern, dass er dort entstehen muss".

Bei den Aubingern traf Hörmann damit einen Nerv. Der Stadtbezirk hat mehr als 40 Vereine, gerade deshalb ist den Menschen der Integrationsgedanke so wichtig. Und einen Wochenmarkt vermissen die Bürger schon länger, seit der Markt an der Ecke Mainau-/Radolfzeller Straße aufgegeben wurde. Erschließen würde Hörmann Freiham gerne mit Lastenrädern, Merk plädiert für Elektromobilität, Car-Sharing und "Dienstleistungshotspots" für An- und Ablieferungen, sodass nicht alle Fahrzeuge das Quartier passieren müssen. "Und vielleicht kann Freiham ja auch die erste drohnenfreie Zone der Republik werden." Gefragt nach persönlichen Zukunftsvisionen für Freiham äußerte Christian Hörmann den Wunsch, "von Süd nach Nord mit Stopp an einem großen Wochenmarkt durch den neuen Stadtteil radeln" zu können. Johann Sauerer würde gerne in eine U-Bahn im Stadtteilzentrum einsteigen.

© SZ vom 11.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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