Freiham:Hauptsache Herz

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Einer wird der Sieger sein: Sieben Teams stellen Bürgern ihre Wettbewerbsbeiträge für den zweiten Realisierungsabschnitt Freiham vor. Unkonventionelle Formen und Spielereien mit Türmchen und Erker kommen am besten an

Von Ellen Draxel, Freiham

Freiham ist eines der ganz großen Stadtentwicklungsprojekte in Europa. Bei der Planung dieser Vision einer Stadt des nächsten Jahrhunderts geht es Thomas Jocher zufolge daher um mehr, als nur "ein paar Kilometer Häuser unterzubringen". Wichtig, so der Vorsitzende des Preisgerichts für den zweiten Realisierungsabschnitt, sei vor allem das, was zwischen den Häusern geschehe. Die soziale Vernetzung. Der Verkehr. Das Ökonomische.

Wie die sieben Teams, die die Jury vor wenigen Tagen aus 23 Bewerbern auswählte, diese Vorgabe lösen wollen, haben sie am Freitagabend einigen Dutzend Bürgern präsentiert. Eines von ihnen wird dann im April 2018 in einer zweiten Jury-Runde zum Sieger gekürt und der Entwurf zur Realisierung empfohlen.

Das Münchner Team Laux/Burger etwa stellt sich die Stadt wie eine "Geflecht" vor, dessen Hauptfäden die Freiräume und Straßen sind. Auf diesem Gewebe sollen die nachbarschaftlichen Bewegungen stattfinden. Die Baublöcke ähneln dem des ersten Bauabschnitts, sind zugunsten einer persönlicheren Wohnatmosphäre aber kleinteiliger strukturiert: Immer vier kleeblattartige Gebäudegruppen versammeln sich um einen Stadtplatz. Hochhäuser sind wie Schulen und Nahversorger am Rand des Viertels vorgesehen.

Die Starnberger Blaumoser/Zaharias dagegen setzen auf Abgrenzung und wollen das 60 Hektar große Baugebiet des zweiten Realisierungsabschnitts in "polygonale Felder" einteilen. Die Höfe sind groß, aber keilförmig unterbrochen, sodass das Grün des benachbarten Freihamer Landschaftsparks in die Urbanität einfließen kann. Die Straßen sind bei diesem Entwurf immer mal wieder geknickt und verschwenkt, viele Routen enden zudem in einer Sackgasse. "Unsere Absicht ist, den Autoverkehr zu unterbrechen und Fußgängern wie Radlern den Vorzug zu geben." Charakteristisch auch das sanfte Ansteigen der Gebäudehöhen: Ein Haus kann drei bis acht Geschosse haben, dadurch sollen "lebendige Effekte" entstehen.

Entwurf von Scheithauer Gross Architekten und Stadtplaner mit Plandrei Landschaftsarchitekten. (Foto: Kister Scheithauer, Plandrei Landschaftsarchitekten GmbH)

Konzept Nummer drei des Dachauer Büros Deffner Voitländer mit den Schegk Landschaftsarchitekten aus Haimhausen plädiert für eine Verzahnung mit dem Bestand und legt die Versorgungsschwerpunkte ebenfalls an den Rand des Gebiets, steht aber gleichzeitig für Durchlässigkeit. Der wichtigste Platz wird betont durch ein besonders hohes Gebäude. Es gibt eine innere, städtische Zone mit hofartigen Quartieren und eine offene Bebauung mit Punkthäusern zum Park hin. Auf der Nord-Süd-Achse wechseln sich Gasse und Plätze konsequent ab. "Wir haben sehr kleinteilig gearbeitet, um den menschlichen Aspekt nicht aus den Augen zu verlieren", sagt Dorothea Voitländer.

Die Stadt "harmonisch weiterbauen" möchten auch die Berliner Wessendorf/Loidl, deren Entwurf mit einer geschlossenen Blockrandbebauung sehr der Optik des ersten Bauabschnitts ähnelt. Ganz im Gegensatz zu dem Büro Kister Scheithauer Gross aus Leipzig und Köln, das mit den Plandrei Landschaftsarchitekten aus Erfurt diesem Quartier eine historische Dimension einhauchen will. "Für uns", erklärt Johannes Kister, "ist die Stadt der Zukunft nicht denkbar ohne Geschichte: Durch Bayerns Dörfer führte immer eine große Marktstraße, sie ist das Element bayerischer Stadtbaukunst". Dieses Element wolle man dem neuen Gebiet einschreiben. Mit einer bogenförmigen "Achse der Kommunikation" quer durch den zweiten Realisierungsabschnitt, die ausschließlich für Fußgänger und Radler nutzbar sein und von "einem Tor rein- und zum anderen rausführen" soll.

Auch der internationalen Arbeitsgemeinschaft Hild und K Architekten aus München, Sergison Bates aus London sowie Ballmoos Krucker und Studio Vulkan (beide Zürich) ist das Visionäre wichtig. "Es kann nicht um einzelne Häuser gehen, im Fokus müssen die Hierarchien der Grünräume stehen", betont Bruno Krucker. Schließlich solle Freiham-Nord mehrere hundert Jahre halten. Die Planer haben Schwabinger Raumaufteilungen über den neuen Stadtteil im Westen gelegt: den Elisabeth- und den Hohenzollernplatz etwa. Außen hohe Häuser, nach innen tiefer, Ecken mit kleineren Plätzen. "Ziel sind vertraute Stadtstrukturen, auch wenn man am Stadtrand wohnt."

Die Stadt als urbanes Dorf: Unterschiedliche architektonische Ansätze verfolgen dieses Ziel. (Foto: Studio Wessendorf, Atelier Loidl Landschaftsarchitekten GmbH)

Verweisen auf den Schwabinger Elisabethplatz und das Vorbild Theodor Fischers wollen außerdem die Münchner 03 Architekten/Studio B, deren unregelmäßig geformte, mäßig hohe Wohnblocks sich bewusst an den Rändern befinden. Das Team ist das Einzige, das die Schulen mitten ins Quartier legt, ergänzt durch Läden, kulturelle und soziale Nutzungen sowie Kitas. Ihr Ziel: das städtische Gefüge dauerhaft zu beleben. Wie es das Schwabinger Gisela-Gymnasium tut.

Unkonventionelle Formen, durchlässige, offene Höfe, eine "liebenswert neue Bebauung im alten Stil" mit Biergärten, gemütlichen Details, Türmchen und Erkern - das kommt bei den Bürgern im Westen gut an. Sie wollen keine hermetisch abgeschlossenen, massiven "Wagenburgen", keine sterilen, abweisenden, metallisch-gläsernen Blocks mit Flachdächern. Sondern identitätsstiftende, kleinteilige Bauten aus "münchnerischem", organischem Material. Die Idee des Straßenbogens loben sie als "charmantes Motiv", Wege sollten mäandrierend und nicht im Rastermuster verlaufen. Wichtig ist den Aubingern aber auch die Frischluftzufuhr, der Lärmschutz und - der zentralste Punkt überhaupt - eine gute Verkehrsanbindung. Bevor dieses Thema nicht geklärt sei, bleibe jede weitere Planung Makulatur. München, meinte ein Besucher, habe ja den Slogan "Weltstadt mit Herz". Es wäre doch schön, wenn sich die Bewohner Freihams darin wiederfinden könnten.

© SZ vom 20.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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