Freiham:Die Zukunft der Vergangenheit

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Das Gut Freiham wurde vor neun Jahrhunderten erstmals urkundlich erwähnt und erlebte seitdem eine wechselvolle Geschichte. Im Auftrag der Edith-Haberland-Wagner-Stiftung wird das Anwesen jetzt saniert, 2023 soll alles fertig sein - samt Dorfgasthaus und Brennerei

Von Ellen Draxel, Freiham

Das Gut Freiham, darauf legt Herbert Liedl großen Wert, ist schon seit dem 16. Jahrhundert "kein Dorf" mehr. Das Konzept der Edith-Haberland-Wagner-Stiftung, aus dem Gut "das Dorf des 21. Jahrhunderts" zu machen, wie die neue Eigentümerin des Gutes die Revitalisierung des mehr als 900 Jahre alten Relikts promotet, sei deshalb "aufgelegter Unsinn", kritisiert der Aubinger Ortshistoriker. "Freiham", betont der 79-Jährige, "ist immer ein Nobelobjekt für reiche Leute gewesen". Ein Einzelanwesen. Ein Wirtschaftsbetrieb. Die Freude darüber, dass das inzwischen unter Denkmalschutz stehende Ensemble letztlich nicht Immobilienspekulanten zum Opfer fiel, sondern restauriert werden soll, ist deshalb aber keineswegs geschmälert. Der frühere Aubinger Bezirksausschuss-Vorsitzende Liedl kennt sich aus, er betreibt seit 20 Jahren ein "Freihamer Archiv" und ist, ebenso wie der ehemalige bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser, ein ehemaliger Stadtrat und zwei weitere frühere BA-Chefs, Gründungsmitglied der "Freunde Freihams". "Alle, die ich kenne und denen an Freiham liegt", weiß er, "sind glücklich über den Verlauf der Dinge".

Die Kirche Heilig Kreuz steht in der Mitte. (Foto: Albert Baumbach)

Bei einem vom Kulturforum München-West organisierten Vortrag geht Liedl näher ins Detail. Das Gut Freiham, erzählt er, sei ein uralter Siedlungsplatz, gelegen auf dem wenig fruchtbaren Moränenausläufer des Würmgletschers. Archäologische Grabungen belegen dessen Nutzung bereits in der Bronzezeit. Später wurde die Gegend dann Rodungsraum, im Mittelalter Edelsitz und Hofmark, ein landwirtschaftlicher Vorzeigebetrieb von Hof- und Industrieadel. Die erste urkundliche Erwähnung Freihams lässt sich auf das Jahr 1136 zurückdatieren. Damals bestätigte Papst Innozenz II. dem Kloster Polling erstmals den Besitz der "villa Frihaim" in einem Diplom. Ob es damals schon eine Kirche gab, ist offen, einen Hinweis auf eine solche findet sich erst 1315 in einer Pfarrmatrikel von Bischof Konrad von Freising. "Heilig Kreuz", wie die Kirche heute noch heißt, war zu Zeiten Bischof Konrads eine Filiale von St. Michael in Lochhausen.

Hugo Ritter und Edler von Maffei modernisierte das Gut. (Foto: Freiham-Archiv)

In den folgenden Jahrhunderten gehörte Freiham zunächst den begüterten Herren von Baierbrunn, später den Münchner Patrizier-und Ratsfamilien Barth, Pütrich, Ligsalz und Lindauer. "Es ist kaum anzunehmen, dass diese Familien ihre kommoden städtischen Wohnsitze mit den rustikalen Verhältnissen Freihams vertauscht und dort dauerhaft Wohnung genommen haben", glaubt Liedl. Die Schwaige sei wohl eher "ein mehr oder weniger lohnendes Investment in eine Immobilie" gewesen. Auch deshalb war Freiham nie wehrhaft befestigt.

Rustikales Inventar. (Foto: Albert Baumbach)

Höfischer Glanz zog in Freiham erst ein, als Achilles von Hermersreith in die Familie Lindauer einheiratete. 1680 entstand das Schloss, damals noch in barocker Gestalt. Und da Achilles Kammerdiener und Cellist des Kurfürsten war, "dürfen wir davon ausgehen, dass auch die Musik eine Hauptrolle bei der Ausübung des höfischen Lebensstils gespielt hat". Heutzutage sind im Schloss wieder Kammerkonzerte zu erleben: US-Milliardär Rex Maughan hat das Kleinod vor zehn Jahren samt dazugehörigem Park erworben, auf eigene Kosten saniert und restauriert und zum Vertriebssitz seiner Kosmetikfirma "Forever Living Products" gemacht. Die Konzerte mit Mitgliedern der Münchner Philharmoniker sind öffentlich, sie werden von den Freunden Freihams organisiert.

Das Gut verfügt auch über eine Gärtnerei. (Foto: Albert Baumbach)

Die inzwischen neugotische Optik des Schlosses hingegen stammt aus der Zeit nach 1865. Nachdem Achilles verstorben war, ging Freiham erst an ein Nonnenkloster, 1760 dann an den bayerischen Starjuristen und Staatskanzler Wiguläus Aloysius von Kreittmayr und 1785 schließlich an den Reichsgrafen Johann Nepomuk Kasimir von Yrsch. Der Reichsgraf, dem besonders die Förderung der Schafzucht am Herzen lag, wollte das Gut eigentlich für den Staat erwerben. Doch Intrigen führten dazu, dass er die Schwaige selbst behalten musste.

Alles, was ein Museum braucht: Im ehemaligen Kuhstall stehen schon die ersten Exponate. (Foto: Albert Baumbach)

Über vier Generationen blieben die von Yrschs auf Freiham. "Sie waren es, die mit ihrer gegenüber den altbayerischen Bauern modernen Art, Landwirtschaft zu treiben, die Landwirtschaft um Freiham am nachhaltigsten geprägt haben", sagt Liedl. Die nach Meinung des Orthistorikers "schönste historische Ansicht von Freiham", gemalt von Lorenzo Quaglio, entstand 1846. Das Bild zeigt das Schloss in seiner ursprünglichen Form und die Kirche noch mit dem alten Turmgeschoss. "Auf dem Gemälde ist zu sehen, dass Freiham lediglich eine Schafzucht hatte. Also nichts mit großer Landwirtschaft."

Den Yrschs ist es Liedl zufolge auch zu verdanken, dass es auf dem Gut irgendwann ein Wirtshaus gab. "Die Arbeiter sind immer nach Aubing rübergelaufen in die Kirche, weil sie dort eine Gaststätte vorfanden." Um die Menschen zu halten, mussten die Gutsbesitzer demnach ein eigenes Lokal einrichten. Was die wenigsten wissen: "Die Schlosswirtschaft war das erste Herrenhaus in Freiham. In dem Gebäude saßen früher die Verwalter, dort tagte das Gericht."

Ende des 19. Jahrhunderts jedoch hatten die Yrschs "abgewirtschaftet". Gut Freiham kam unter den Hammer, neuer Eigentümer wurde 1887 der damals reichste Bürger Münchens, Lokomotivenbauer Hugo von Maffei. Der Ritter nutzte den Standort für den Bau der V. Centralwerkstätte der Königlich Bayerischen Staatsbahn in Neuaubing, später bekannt als Ausbesserungswerk Neuaubing. Heute befinden sich auf dem Bahngelände der Gewerbestandort "Triebwerk" und die Neubausiedlung "Gleisharfe".

Auch die Familie von Maffei blieb mehrere Generationen. Hugo von Maffei modernisierte den Gutsbetrieb, sein Sohn Rudolf und dessen Ehefrau Ida ließen das Schloss innenarchitektonisch standesgemäß umgestalten. Die Brennerei etwa gibt es seit dieser Zeit, der Brand allerdings bestand seinerzeit aus Kartoffeln. "Der Freihamer Boden", erklärt Liedl, "war nicht allzu viel wert, Kartoffeln aber konnte man anbauen".

Bis 2007 bewohnten die Kinder von Rudolf und Ida von Maffei mit ihren Familien das Schloss. Über Umwege erwarb dann die Edith-Haberland-Wagner-Stiftung, Mehrheitsanteilseignerin der Augustiner-Brauerei, 2015 das rund 30 000 Quadratmeter große denkmalgeschützte Anwesen - mit Ausnahme des bereits verkauften Schlosses. Bis spätestens 2023 soll das Ensemble nun in neuem Glanz erscheinen. Bereits fertiggestellt ist die Kirche Heilig Kreuz: Ein Juwel, "vollgestopft mit Kostbarkeiten aus dem Barock und dem Rokoko". Laut Liedl wurde für ihr Inventar eine halbe Million Euro veranschlagt. "Ich bin sicher, die Freihamer Kirche wird binnen kurzem die beliebteste Hochzeitskirche Münchens werden."

© SZ vom 09.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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