Fraunhofer:Einer für alle

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Beppi Bachmaier ist seit 37 Jahren der Wirt im Fraunhofer - an seinem mehr als zweihundert Jahre alten Gasthaus perlen die Moden des Glockenbach-Nachtlebens einfach ab. Die Kundschaft kommt trotzdem - oder wahrscheinlich gerade deshalb.

Michael Ruhland

Im Kopf hatte er seinen Plan schon durchgespielt. Große Tafeln würde er vor die Tür stellen, "Bio-Currywurst, ein Euro das Stück!", vielleicht draufschreiben. Auf jeden Fall wäre er billiger als alle anderen. "Mir wär das Geschäft wurscht gewesen, ich wollte nur Flagge zeigen", sagt Josef Bachmaier, den alle Beppi nennen, und lacht kurz aus voller Brust. "Flagge, dass wir das Viertel nicht an die Currywurst abgeben."

Krustenbraten und Kalbshaxen in historischem Ambiente: Seit mehr als 200 Jahren gibt es das Fraunhofer. Die Gäste im Traditionswirtshaus könnten kaum unterschiedlicher sein. (Foto: Stephan Rumpf)

Es ist dann nichts geworden aus der spontanen Reaktion des Fraunhofer-Wirts auf den Currywurst-Hype im Gärtnerplatzviertel, und die Gründe dafür sagen schon eine ganze Menge über Beppi Bachmaier aus. Er habe, erzählt er, mit den neuen "Curry"-Nachbarn in der Fraunhoferstraße 11 (und inzwischen dritten Currywurstanbietern im Umkreis von 150 Metern) geratscht und festgestellt, "dass die unheimlich nett sind und außerdem ihre ganz eigene Philosophie haben und Pommes nur aus frischen Kartoffeln machen", sagt Bachmaier. Das habe ihn sofort wieder besänftigt.

Es ist auch nicht so, dass Beppi Bachmaier und sein Wirtshaus unter den schnellen Moden des Gärtnerplatz-Glockenbach-Nachtlebens leiden würden. Im Gegenteil. Am Wochenende strömt mehr junges Publikum ins Fraunhofer als früher, der große, hohe Raum mit dem filigranen Stuck an der Decke und den mannshohen Holzvertäfelungen an den Wänden ist dann einfach noch voller. Eher ist es so, dass das Fraunhofer all diesen Moden trotzt. Dass es einfach dasteht, wie es immer schon dastand (das Gasthaus existiert seit 1775), während sich draußen alles verändert.

Ein Fels in der Brandung - die leicht angestaubte Metapher gefällt dem Wirt, der eigentlich auch immer schon da war. Seit 37 Jahren führt er das Fraunhofer. Und manchmal reizt es selbst einen gelassenen Menschen wie Beppi, Flagge zu zeigen, wie er das nennt. Man könnte auch sagen: den Leuten den Spiegel vorhalten. Nicht mit moralinsaurer Miene, eher mit einem hinterfotzigen Grinsen.

Dienstag, 18 Uhr, das Fraunhofer ist noch fast leer. Am runden Tisch vor der Theke essen die Bedienungen, noch bleibt Zeit dafür. Beppi Bachmaier setzt sich an den kleinen Holztisch direkt am Eingang. Es ist sein Stammplatz, den er nur freigibt, wenn sich wartende Gäste vorne am Eingangsbereich gegenseitig auf die Füße treten. "Ich wär' ein schlechter Wirt, wenn ich Gäste, die Geld ausgeben wollen, wieder rausschicken würde", sagt er fast ein wenig empört auf die Frage, ob ihm der Tisch heilig sei.

Der Wirt ist keiner, dem die Worte von alleine aus dem Mund quellen. Aber jetzt, wo es darum geht, warum das Fraunhofer junge Studenten genauso anzieht wie gestylte Business-Damen, schwule Paradiesvögel und ergraute Herren mit abgewetzten Sakkos, muss man nicht lange auf Antworten warten. "Ein Wirt hat immer das Publikum, das er verdient", sagt Beppi Bachmaier. Auf seines ist er stolz, denn einen Wunsch hegte er: Dass Leute jedweder Couleur kommen, um sich hier beim Bier und Schweinsbraten zu unterhalten, vielleicht auch mal zu streiten.

Impressionen aus dem Fraunhofer
:Anlaufstelle für Gäste aller Couleur

Die Traditionsgaststätte Fraunhofer im Münchner Glockenbachviertel ist Anlaufstelle für Gäste aller Couleur.

Michael Ruhland

Als Bachmaier das Fraunhofer 1974 gemeinsam mit seinem Freund Uwe Kleinschmidt von der Spatenbrauerei pachtete, war das Publikum noch studentisch und politisiert, was nicht nur an den Zeiten lag, sondern schlicht an der Tatsache, dass die beiden neben dem "Musikalischen Unterholz", der legendären Kleinkunstbühne MUH in der Hackenstraße, ein Wirtshaus suchten. "Die Leute haben im MUH während des Programms dauernd geratscht, die brauchten was, wo sie sich treffen konnten."

Damals war Beppi Bachmaier, der im Gärtnerplatzviertel aufgewachsen ist, ein paar Mal in London unterwegs. Die Pubs faszinierten ihn, dort war es lustig und laut - ein Ort, wo sich alle trafen, denen nach Geselligkeit war. So etwas in die Richtung wollte er auch. Und darauf hat Bachmaier sein Leben ausgerichtet.

Er wohnt direkt über dem Fraunhofer. "Wie es sich für einen guten Wirt gehört", sagt er. Und manchmal, wenn das Gasthaus schon zu ist, sitzt er noch lange mit Kabarettisten wie Sigi Zimmerschied oder mit den Geigerinnen der Volksmusikgruppe "Zwirbeldirn" bei Bier und Wein hinten in der Kulisse, der Theaterbühne des Fraunhofer. "Grad die Volksmusik ist etwas, was für mich zum Wirtshaus dazugehört", sagt Beppi Bachmaier. Von Kirchweih bis Ostern gibt es sonntags einen musikalischen Frühschoppen, seit 20 Jahren organisiert das Fraunhofer Volksmusiktage - sechs Wochen, 50 Veranstaltungen, 250 Musiker.

Inzwischen ist es 20 Uhr, das Gasthaus gut gefüllt. Beppi Bachmaier, der mit seiner dunkelblauen Strickjacke, Jeans, schwarzen Halbschuhen und Siebentagebart wie ein Stammgast wirkt, schaut gedankenverloren in den großen Raum. Dessen hundert Jahre alte Jugendstilmöbel, Holzvertäfelungen und Stuckaturen lässt er von Zeit zu Zeit restaurieren. Von seinem Platz aus hat er praktisch die ganze Wirtschaft inklusive Schenke und Essensausgabe im Blick.

"Oana geht immer": An den Tischen rücken die Gäste gern zusammen

Ob er Alex sieht, den Kellner mit der Optik eines glückseligen Benediktinermönchs (den viele für den Wirt halten, erzählt Bachmaier), wie er gerade einer Kollegin vor dem Tresen liebevoll den Nacken massiert? Oder den hageren, dunkelhäutigen Mann im zu großen beigen Anzug, der erst ein wenig verloren herumsteht, sich dann ein Herz fasst und an einem Tisch freundlich ("Oana geht immer!") aufgenommen wird? Und den alternden Dandy mit rotem Einstecktuch?

Plötzlich ist Beppi Bachmaier wieder präsent und erzählt eine Geschichte von Winfried, seinem Chefkoch. Der habe nach fast zwanzig Jahren im Fraunhofer gekündigt, weil er mal was anderes machen wollte. Bachmaier ließ ihn schweren Herzens ziehen und gab kurz darauf eine Annonce auf. "Der erste, der sich gemeldet hat, war Winni", erinnert er sich. Winni wollte zurück in die Fraunhofer-Familie. Jetzt steht der Hüne mit dem kahlen Schädel wieder in der Küche und fertigt Krustenbraten und Kalbshaxn. Seither lässt Beppi ihn ab und zu bedienen. Damit er mal was anderes macht.

© SZ vom 06.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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