Franziska Gehm liest:Im Schatten der Mauer

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Die Mauer tragen sie nicht nur im, sondern auch auf dem Kopf: die Autorin Franziska Gehm (links) und die Buchpalast-Inhaberin Katrin Rüger. (Foto: Catherina Hess)

Deutsch-deutsche Geschichten im "Buchpalast"

Von Barbara Hordych, München

Der Mauerfall war für die Autorin und Übersetzerin Franziska Gehm, Jahrgang 1974, ein Glücksfall: "Ich war kein Arbeiterkind, sondern meine Eltern waren beide Ärzte und nicht in der Partei. Ich hätte kein Abitur machen dürfen. Auch wenn die, die zugelassen wurden, schlechtere Noten hatten als ich. Sowieso durften nur zwei oder höchstens drei Schüler pro Klasse studieren. Das wäre niemals ich gewesen". So aber kam, nach 1989, alles anders. Ihr Weg führte von Sondershausen in Thüringen an die Universität Jena und weiter nach England und Irland, wo sie Anglistik, Psychologie und Interkulturelle Wirtschaftskommunikation studierte. Für eine Tätigkeit bei BMW kam sie vor 18 Jahren nach München. Und begann zu schreiben.

Erfolgreich ist sie vor allem mit ihrer humorvoll-anarchischen Fantasy-Buchreihe um die "Vampirschwestern", die auf 13 Bände angewachsen ist und schon drei Verfilmungen aufzuweisen hat. "Das Gute daran ist, dass man sich dann leisten kann, seine Herzensprojekte auch mit kleinen, ambitionierten Verlagen umzusetzen", sagt Gehm bei einem Treffen im Buchpalast.

Dort wird sie zum Auftakt der Veranstaltungsreihe "Leben im Schatten der Mauer" am Samstag, 13. April, ihr Sach-Bilder-Buch "Hübendrüben - Als deine Eltern noch klein und Deutschland noch zwei waren" vorstellen. Ein Herzensprojekt, das im vergangenen Herbst in Monika Osberghaus' kleinem Klett-Kinderbuch-Verlag erschien. "Nachdem ich hier angekommen war, stellte ich fest, dass wir immer sehr viel gewusst haben vom Leben im Westen. Insbesondere, weil wir alle West-Fernsehen geguckt haben, auch wenn das verboten war. Umgekehrt hielt sich das Interesse daran, wie wir in der DDR lebten, wohl in Grenzen. Davon wollte ich erzählen." Auch ihren eigenen Kindern, die inzwischen elf und sechs Jahre alt sind. "Hübendrüben", ein Sach-Bilderbuch für Grundschulkinder, schildert die Kindheit und das Familienleben auf beiden Seiten der Mauer, in der BRD und in der DDR. Da rücken, von Horst Klein akribisch illustriert, Details ins Auge wie die unterschiedlichen Haar- und Jeansschnitte, Leckereien wie Brausestangen im Westen und "Halogen-Kugeln" (Kamelle) im Osten. Mit den Cousins Maja im Osten und Max im Westen blättern sich die Leser durch eine Kindheit in den Siebzigerjahren: Während Max' Vater arbeitet, bleibt die Mutter zu Hause und kümmert sich um ihn und sein Geschwisterchen. Majas Eltern hingegen sind beide berufstätig, sie geht nach der Schule in den Hort und kommt doch oft vor ihren Eltern nach Hause. Begehrt sind in ihrer Familie besonders die West-Pakete die neben Kaffee und "Bluh-dschjiens" Pralinenschachteln enthalten, in deren Boden gerne West-Zeitschriften geschmuggelt werden. Die bei Kindern beliebteste Seite des Buchs? Das sei die Doppelseite, auf der sie erkläre, warum Maja nicht einfach so ohne Erlaubnis aus der DDR zu ihrem Cousin Max in die BRD reisen könne, sagt Gehm.

"Diese Seite ist genau so, wie man Grundschulkindern die Thematik vermitteln kann", schwärmt die Buchpalast-Inhaberin Katrin Rüger. Der erklärende Text sei meisterlich, nämlich verständlich, ohne jemals simplifizierend zu sein. "Ohne dass ein einziges Hakenkreuz zu sehen ist, wird geschildert, was im noch ungeteilten Deutschland Furchtbares passierte; dass die einen Menschen behaupteten, die anderen Menschen seien schlechter als sie, weniger wert und würden nicht dazugehören". Im Text heißt es abschließend: "Den anderen Ländern reichte es. Sie schlugen zurück und besiegten Deutschland. Zur Sicherheit blieben sie eine Weile".

Eine thematisch passende Ausstellung gibt es im Buchpalast auch. An den Wänden hängen historische Fotos, in Vitrinen und in einem "Zeitkoffer" veranschaulichen Exponate wie Geldstücke aus Ost und West, Schulhefte, ein FDJ-Hemd oder auch der FDJ-Ausweis von Franziska Gehm das Leben diesseits und jenseits der Mauer. "Als wir das Ganze zusammenstellten, haben uns viele Kunden ihre eigenen Erfahrungen geschildert oder uns ihre Erinnerungsstücke zur Verfügung gestellt", sagt Rüger. Eine Kundin berichtete von ihrem Vater, Karl-Heinz Torge, der in den Sechzigern Wehrdienst in Potsdam an der Grenze zu Westberlin abzuleisten hatte. Die Arbeiten am Stacheldrahtzaun nutzte er, um in den Westen zu flüchten. Von seiner und anderen Fluchten erzählt der Zeitzeuge am 7. Mai im Buchpalast. Auch Sigmund Jähn, der als erster Deutscher im All Raumfahrtgeschichte geschrieben hat - das Deutsche Museum widmet ihm einen ganzen Raum - wird zu Gast sein. Am 18. Mai gibt der 81-Jährige Einblicke in seine Zeit als Kosmonaut, begleitet von Maja Nielsen, der Autorin des Buchs "Kosmonauten".

Katrin Rüger selbst hat ihre Kindheit in West-Berlin, im Schatten der Mauer, verbracht. "Das macht ja etwas mit einem, wenn man immer gegen eine Mauer läuft", erinnert sie sich. Ein Zeugnis ihrer Mutter Marianne, das diese als Viertklässlerin bekam, hängt jetzt ebenfalls an der Wand. "Nach dem Westen beurlaubt" ist darauf gestempelt. "Hintergrund ist der, dass meine Mutter zu den Kindern gehörte, die bei der Blockade 1948/49, als die Sowjetunion die Wege sperrte, ausgeflogen wurde". Neun Monate verbrachte sie bei einer Pfarrersfamilie in Bad Aibling, schrieb jede Woche mit großem Heimweh nach Hause. Die Eltern, Marianne und Hans-Joachim Rüger, werden am 16. Mai vom "Berliner Inselleben" berichten.

Hübendrüben , Lesung mit Franziska Gehm, Samstag, 13. April, 15 Uhr, Buchpalast, Kirchenstraße 5

© SZ vom 12.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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