Dritte Startbahn vor Gericht
Die Anwohner
Die Münchner haben den Bau der dritten Startbahn abgelehnt, die Richter müssen sich dennoch ab Mittwoch mit dem Flughafenausbau beschäftigen. 17 Klagen liegen vor. Der eine fürchtet um die Gesundheit seines Sohnes, die andere um das Erdinger Moos. Und der Flughafen um seine wirtschaftliche Zukunft. Die Protagonisten des Startbahn-Verfahrens. Wer abends zu Michael und Elisabeth Buchberger nach Attaching kommt, wird vorher gebeten, nicht an der Haustür zu klingeln. Ihr Sohn Johannes schläft dann nämlich, der 15 Monate alte Bub soll nicht geweckt werden. Laut wird es trotzdem immer wieder, denn der Flughafen ist gleich um die Ecke. "Doch mit dem Flughafen haben wir uns arrangiert", sagt Michael Buchberger - nicht aber mit den Plänen für eine dritte Startbahn. Buchberger ist einer der Musterkläger gegen den Bau. Aus dem Freisinger Stadtteil Attaching hat die Schutzgemeinschaft aus betroffenen Kommunen und Privatleuten ihn und drei weitere ausgesucht. Sie werden von der Schutzgemeinschaft auch finanziell unterstützt. "Ich denke, sie haben mich genommen, weil ich von Anfang an als Privatperson mit einem Rechtsanwalt gegen den Bau gekämpft habe, schon beim Raumordnungsverfahren und der Planfeststellung", sagt Buchberger. "Somit habe ich da Erfahrung." Buchberger stammt aus einer alteingesessenen Attachinger Familie. Die Großeltern haben den Hof aufgegeben, das alte Wohnhaus hat er sich modern ausgebaut. Buchberger, der als Projektleiter bei einer Software-Firma arbeitet, lebt gerne hier. Und dann erzählt der 39-Jährige, warum er die dritte Bahn fürchtet. "Über meinem Haus sollen es dann 78 Starts pro Tag ab 200 Metern Höhe sein." Keine 500 Meter weiter seien sogar 400 Landungen in einer Höhe von bis zu 78 Metern geplant. "Für unseren Johannes bedeutet das, dass er nie mehr bei offenem Fenster schlafen kann, egal bei welchem Wetter." Dann sei da noch das Risiko sogenannter Wirbelschleppen. "Wir müssen spezielle Sonnenschirme für Windstärke 6 anschaffen, die Dachplatten müssen angeschraubt werden", sagt Buchberger. Ob sein Sohn dann noch im Garten spielen könne, sei fraglich, von der Geruchs- und Gesundheitsbelastung durch Kerosin ganz zu schweigen. Buchberger wird bei den Verhandlungen im Gericht dabei sein. Dafür hat er sich Urlaub genommen. "Ich möchte persönlich vor dem Richter sprechen." Text: Regina Bluhme
Dritte Startbahn vor Gericht
Der Flughafen
Für Flughafenchef Michael Kerkloh ist die geplante dritte Piste im Erdinger Moos ein "ganz wichtiges Projekt, nicht nur für München, sondern für ganz Bayern". Und auch wenn die Münchner sich beim Bürgerentscheid im vergangenen Juni dagegen ausgesprochen haben, hält Kerkloh weiterhin daran fest. Er glaubt, dass die Zahl der Starts und Landungen wieder steigen werde, so wie die Zahl der Passagiere stetig wächst. So würden sich in ein paar Jahren auch die Münchner vom Bedarf einer dritten Bahn überzeugen lassen. Deshalb will er den Gerichtsstreit vor dem Verwaltungsgerichtshof gewinnen. Die Baugenehmigung soll gerichtsfest in der Schublade liegen, sollte Kerkloh in ein paar Jahren erneut einen Vorstoß für den Bau der vier Kilometer langen Bahn wagen. Im Gerichtssaal selbst wird er aber nicht auftreten. Dafür schickt der Flughafen eine ganze Armada von Projektplanern, Gutachtern zu allen möglichen Fragen sowie Verwaltungsjuristen ins Rennen. Zugleich versucht er, seine Rolle in dem Verfahren klein zu spielen. "Wir sind nur Beigeladene", sagt ein Sprecher. In der Tat richten sich die 17 Klagen gegen den Freistaat, weil es mit Regierung von Oberbayern eine seiner Behörden war, die die Baugenehmigung im Sommer 2011 erteilte. Daher seien es auch nicht die Airport-Leute, die im Gerichtssaal "das Wort führen werden", sagt der Flughafensprecher. De facto allerdings geht es für Kerkloh und seine Planer in den nächsten Monaten um die Wurst. Deshalb versuchten bereits während der Vor-Ort-Termine im Herbst vor allem die Flughafen-Vertreter die Argumente zu entkräften, die die Naturschützer, Anwohner und Vertreter der Kommunen vorbrachten. Die Juristen und Fachleute der Regierung von Oberbayern hielten sich dagegen oft zurück. Text: Marco Völklein
Dritte Startbahn vor Gericht
Die Umweltschützerin
Der gesamte Flur ihrer Wohnung in Freising sei voll mit Aktenordnern rund um den Startbahn-Streit, sagt Christine Margraf. Seit Wochen bereitet sich die Mittvierzigerin, die als Referentin für ganz Oberbayern beim Bund Naturschutz (BN) in München arbeitet, auf die mündliche Verhandlung vor. Immer wieder hat sie sich in die Gutachten und Stellungnahmen des Flughafens eingelesen. Sie will die Daten und Fakten, die Aussagen und Wertungen präsent haben, wenn in der Verhandlung dann zum Beispiel auf eines dieser Gutachten Bezug genommen wird. Ganze Abende und Wochenenden gingen dafür drauf, erzählt Margraf. Und alle 14 Tage nimmt sie sich einen Tag frei, um sich zu Hause intensiv in die Akten zu vertiefen. Ohne dass immer wieder das Telefon klingelt oder eine E-Mail eingeht. Zudem war Margraf zuletzt ständig damit beschäftigt, Schreiben, Eingaben und Erwiderungen an das Gericht zu formulieren. Ein Rechtsstreit vor einem Verwaltungsgericht ist in erster Linie eine Materialschlacht: Kläger und Beklagte hauen sich ordnerweise Papier um die Ohren. Gleich mehrere Fachanwälte für Verwaltungsrecht hat der BN mit seiner Klage betraut; der Kampf gegen das 1,2-Milliarden-Euro-Projekt ist eines der wichtigsten Themen für den Naturschutzverband. Eine spezialisierte Anwältin aus Frankfurt am Main kümmert sich zum Beispiel nur um die Frage, welchen Stellenwert der Klimaschutz in dem ganzen Verfahren einnehmen soll. Denn aus Sicht der Naturschützer wurde dieser Aspekt von der Bezirksregierung in der erteilten Baugenehmigung viel zu lasch abgehandelt. Auch über diesen Hebel hoffen Margraf und ihre Mitstreiter, die Baugenehmigung noch kippen zu können. Text: Marco Völklein
Dritte Startbahn vor Gericht
Die Anwälte des Freistaats
Sie sind im Wortsinne die Staats-Anwälte dieses Verfahrens. Nur dass sie keine Klage führen, sie verteidigen vielmehr. Denn sie vertreten den Freistaat Bayern, der formal der Beklagte ist. Wann immer ein staatlicher Akt vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochten wird, schlägt die Stunde der Landesanwaltschaft, einer kleinen, aber nicht unbedeutenden, und vor allem einzigartigen Behörde. 15 Landesanwälte arbeiten für sie, drei von ihnen sind mit dem Flughafen-Verfahren betraut: Marcus Niese (Fachgebiet: Luftverkehrsrecht), Anton Meyer (Baurecht) und Maximilian Wiget, zuständig für Straßenrecht und zugleich Vizechef der Behörde. Mehr ist über die Herren nicht zu erfahren. Die Landesanwaltschaft legt Wert darauf, als Behörde aufzutreten, Einzelpersonen will sie deshalb nicht hervorheben. Klar ist: Die Landesanwälte sind Verwaltungsjuristen, ihre Aufgabe ist die "prozessuale Begleitung" des Mammutverfahrens, wie Niese es formuliert - Rechts- und Verfahrensfragen also. Wann immer Details etwa zu Wiesenbrütergebieten oder Lärmschutz gefragt sind, greifen die Landesanwälte auf die Expertise der Beamten der Regierung von Oberbayern zurück, die von 2007 bis 2011 das Planfeststellungsverfahren betrieben haben. In etwa 2000 Fällen pro Jahr vertritt die Landesanwaltschaft den Freistaat vor dem Verwaltungsgerichtshof oder dem Bundesverwaltungsgericht. Sie ermittelt zugleich in Disziplinarverfahren gegen staatliche Beamte, manchmal auch gegen kommunale. Aber selbst wenn jemand gegen den Verwaltungsakt einer Gemeinde oder Stadt klagt, kann er sich plötzlich einem Landesanwalt gegenübersehen. Sie kann sich nämlich als "Vertreterin des öffentlichen Interesses" einschalten und in den oberen Instanzen die Kommune vertreten. In dieser Konstruktion ist die Landesanwaltschaft, die dem Innenministerium untersteht, bundesweit einmalig. Mit der Karrierejuristin Heidrun Piwernetz führt sie seit knapp eineinhalb Jahren eine Frau - erstmals in der 134-jährigen Geschichte der Behörde. Text: Kassian Stroh
Dritte Startbahn vor Gericht
Die Gemeinde
Schon früh, sagt Oberdings Bürgermeister Helmut Lackner (CSU), habe sich seine Gemeinde entschlossen, auch gerichtlich gegen den Planfeststellungsbeschluss der Regierung von Oberbayern vorzugehen. "Wir sind zwar nicht der Hauptkläger, von den Auswirkungen der dritten Startbahn wären wir aber sehr wohl betroffen", so begründet er die Entscheidung, vor den Verwaltungsgerichtshof zu ziehen. Zwar wurden mit dem Kinder- und dem Feuerwehrhaus in Schwaig lediglich zwei Gemeindegebäuden eine Mehrbelastung durch Fluglärm bescheinigt, doch Lackner will vor allem den Flächenverbrauch nicht hinnehmen: Etwa 600 der insgesamt 800 Hektar Fläche, die der Flughafen für seinen Ausbau veranschlagt, liegen auf Oberdinger Gemeindegebiet. Hinzu kämen 300 bis 400 Hektar an Naturschutz-Ausgleichsfläche, die die Oberdinger Landwirte nicht mehr nutzen könnten. "Zusammen mit den 11.000 Hektar, die der Flughafen schon jetzt von unserer Flur beansprucht, geht damit insgesamt ein Drittel unserer Gemeindefläche verloren", empört sich der Bürgermeister. Neben der Absiedlung im Schwaigermoos und der Beschränkung der Baufreiheit der Gemeinde möchte Lackner das Augenmerk auch auf die zunehmende Verkehrsbelastung richten, die der Flughafenausbau für Oberdings Bürger mit sich brächte. "Gegen Fluglärm lässt sich wenig machen, aber gegen den Verkehrslärm schon. Wenn man für 25 Euro in eine europäische Metropole fliegen kann, muss es auch möglich sein, die Infrastruktur so auszubauen, dass die Anwohner geschützt sind", sagt Lackner. Nicht umsonst fordere seine Gemeinde schon seit Jahren die Fertigstellung des S-Bahn-Ringschlusses und dränge darauf, dass mehr Verkehr auf die Schiene komme. "Das ist jetzt schon eine Zeit, in der wir sehr scharf darauf sind, etwas zu erreichen", so formuliert er seine Erwartungen an die Verhandlung. Die wolle er "selbstverständlich" soweit wie möglich im Gerichtssaal mitverfolgen. "Unsere Headline ist nach wie vor: Eine dritte Bahn muss für uns nicht sein." Text: Sarah Schiek
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Der Richter
Richter scheuen im Allgemeinen das Scheinwerferlicht. Nicht ihre Person soll im Vordergrund stehen, sondern das unabhängige Amt, das sie ausüben. Für Verwaltungsrichter gilt das insbesondere. Denn die Fragen, über die sie oft zu entscheiden haben, sind nach jahrelangem Hickhack in der Regel stark politisch aufgeladen - so wie jetzt beim Prozess um die dritte Startbahn. Erwin Allesch, Vorsitzender Richter des achten Senats und zugleich Vize-Präsident des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH), ist da keine Ausnahme. Interviewanfragen zum Beispiel lässt er abblocken. Auch auf die Frage, welchen Hobbys der 62-Jährige nachgeht, bekommt man beim VGH keine Auskunft. Fast schon penibel achtet der Jurist, der aus Röhrnbach (Landkreis Freyung-Grafenau) stammt, darauf, den Gerichtsstreit um die geplante dritte Start- und Landebahn im Erdinger Moos möglichst fair und ausgewogen zu führen. Das sagen Juristen beider Seiten. Als sich etwa die Umweltschützer beschwerten, dass bei den vom Gericht anberaumten Vor-Ort-Terminen im Moos an tristen Novembertagen so gut wie nichts von der aus ihrer Sicht bedrohten Natur zu sehen sei, legten Allesch und seine Richterkollegen kurzerhand einen weiteren Termin Anfang Mai fest. Allesch hat Erfahrung mit Prozessen um umstrittene Projekte. Zuletzt musste der achte Senat über den Bau der A94 durch das Isental entscheiden; vorausgegangen war dem Ganzen ein jahrelanger Streit vor allem zwischen der CSU und Umweltschützern. Allesch ist ein erfahrener Jurist: Nach dem Studium wurde er 1977 zunächst Richter beim Verwaltungsgericht Regensburg. Es folgte eine mehrjährige Tätigkeit beim Landratsamt Freyung-Grafenau. In dieser Zeit promovierte Allesch an der Universität Passau, an der er seit 1987 auch einen Lehrauftrag hat. Nach drei Jahren bei der Regierung von Niederbayern kam er 1990 als Richter ans Verwaltungsgericht München. 1993 wurde er zum Richter am VGH ernannt und gleichzeitig für drei Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter ans Bundesverfassungsgericht abgeordnet. Seit 2003 ist er Vorsitzender Richter am VGH und seit Dezember 2010 dessen Vizepräsident. Zudem ist Allesch seit 1999 Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs. Text: Marco Völklein