Sie ist 105 Jahre alt. Sie war die Sekretärin von Joseph Goebbels. Nun hat Brunhilde Pomsel zum ersten Mal ausführlich über ihre Erlebnisse, Erfahrungen und Ängste im engsten Zirkel um Hitlers Hetzer gesprochen. Ein Team von vier Filmemachern hat aus 30 Stunden Interviewmaterial und historischem Schwarz-Weiß-Aufnahmen eine Dokumentation montiert, die auf dem Münchner Filmfest Premiere hatte. Deren Titel: "Ein deutsches Leben".
Sie beschreibt Goebbels und seine Doppelgesichtigkeit, seine Eitelkeit bis hin zur "täglichen Maniküre". Sie erzählt auch, wie sie die Akte der Geschwister Scholl in Händen hielt und auf Anweisung ihres Vorgesetzten im Propagandaministerium keinen Blick hineinwarf, "um dessen Vertrauen nicht zu enttäuschen". "Darauf bin ich bis heute stolz", sagt sie.
Brunhilde Pomsel räumt offen ihren Opportunismus und ihr Trachten nach den Vorteilen eines angenehmen Lebens ein: "Ich könnte keinen Widerstand leisten, ich bin zu feige. Ich würde mich das nicht trauen... Diese Hinrichtungen, da merkte man, dass das Leben eigentlich gar nichts ist. Zufall. Durch Zufall sind wir alle Mensch geworden."
Wie sie selbst wurde, was sie ist, beschreibt sie in den verblüffend plastischen Erinnerungen an ihre Kindheit. Geboren wurde sie 1911 als die Tochter eines Malers und Dekorateurs in Berlin. "Das Leben war viel enger", sagt sie im Film. "Das fängt an bei der Kindererziehung: Wenn wir ungezogen waren, wurden wir versohlt. Mit Liebe und Verständnis, da kam man nicht weit... Gehorchen und ein bisschen schwindeln und lügen oder die Schuld auf jemand anders schieben, das gehörte dazu."
Doch sie stellt die Schuldfrage an den Gräueltaten des Dritten Reichs nicht nur anderen - sondern auch sich selbst. Dabei geht sie sogar einen verheerenden Vergleich ein. "Heute versuchen die Menschen darzustellen, dass sie damals mehr für die armen Juden getan hätten. Ich glaube ihnen ihre ehrliche Absicht, aber in Wahrheit hätten sie auch nichts machen können. Das ganze Land war wie unter einer Glocke. Wir waren selber alle in einem riesigen Konzentrationslager. Das alles soll aber nichts entschuldigen."
Keinen Zweifel hegten die Russen an einer Mitverantwortung von Brunhilde Pomsel. Sie nahmen sie für fünf Jahre in Kriegsgefangenschaft - unter anderem sperrten sie Brunhilde Pomsel in das ehemalige KZ Buchenwald. Als sie wieder auf freiem Fuß war, konnte sie dort anschließen, wo sie als junge Frau vor ihrer Zeit im Propagandaministerium gearbeitet hatte; bis 1942 war sie Stenotypistin beim Rundfunk gewesen. 1950 bekam sie eine Stelle beim Südwestfunk SWF und stieg später zur Chefsekretärin des ersten ARD-Koordinators Lothar Hartmann auf.