Fehlende Abstellflächen:Wohin mit den Schrotträdern?

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Mitarbeiter des Münchner Baureferats entfernen Schrottfahrräder am Sendlinger-Tor-Platz in der Münchner Innenstadt. (Foto: Robert Haas)

Rostig, demoliert, unbrauchbar: Herrenlose und schrottreife Fahrräder blockieren Abstellflächen an Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen. Einmal im Jahr werden sie von der Stadt beseitigt - doch das ist eine juristisch heikle Angelegenheit.

Von Marina Brafa und Marco Völklein

Aus dem Lenker tropft braunes Regenwasser, der Sattel fehlt, von der Kette blättert der Rost. Funken sprühen auf, als ein Mitarbeiter der Stadt seine Flex an der Kette des Fahrradschlosses ansetzt. Kurz riecht es nach verbranntem Metall, dann fällt das Schloss zu Boden. Sein Kollege zerrt das Rad aus dem Ständer am Sendlinger Tor und dreht es auf den Kopf.

Marke: Sursee. Rahmennummer: 113037. Polizeihauptmeister Johannes Dittmar notiert alles in seiner Liste. Eine halbe Stunde erst läuft die Aktion. Es ist 9.30 Uhr am Montagmorgen, doch auf Dittmars Liste stehen schon 31 Räder. Die zugehörigen Originale stapeln sich ein paar Meter weiter neben- und aufeinander auf der Ladefläche des Lasters, den die Stadt organisiert hat.

"Seitenwechsel", ruft ein Mitarbeiter und überquert die Tramschienen. "Morgen, am Marienplatz, werden es vermutlich 150 bis 200 Räder", sagt Dittmar und blättert durch seine Listen mit den Fahrradnummern. Hier, beim Auftakt der jährlichen "Schrottrad-Aktion" der Stadt, ist er eine der Hauptpersonen. Der Polizist entscheidet, welche Räder schrottreif sind und von den Mitarbeitern der Stadt losgesägt und eingelagert werden dürfen.

Denn so genervt viele sind von all den verkommenen Gefährten, die die Radlständer an nahezu jeder U- und S-Bahn-Station blockieren - die Aufräum-Aktion ist juristisch gesehen eine heikle Angelegenheit: Auch wenn ein Fahrrad augenscheinlich über Monate nicht bewegt wurde (und vielleicht sogar nicht mehr fahrtauglich ist), kann die Stadt es nicht so ohne Weiteres entfernen. Zumal die Räder oft mit einem Schloss gesichert sind. Würden die Mitarbeiter das Schloss aufbrechen und das Rad abtransportieren, könnten die Besitzer Schadenersatzansprüche stellen. Und je mehr Räder entfernt werden, desto größer ist das Risiko für die Stadt.

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Daher konzentriert sich das Baureferat bei seinen jährlichen Schwerpunktaktionen an großen Plätzen vor allem auf echte "Schrotträder" oder einzelne Fahrradteile. Offensichtlich "herrenlose" Fahrräder, die noch als weitgehend intakt erscheinen, fassen die Mitarbeiter meist nicht an.

Doch an vielen Plätzen sind gerade diese herrenlosen Räder ein Problem - viel mehr noch als die tatsächlich schrottreifen Velos. Mit einem Pilotversuch will daher die städtische Park & Ride GmbH in den kommenden Monaten zusammen mit der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) an einigen U-Bahnhöfen auch diesen Rädern zu Leibe rücken. An den U-Bahnhöfen Trudering, Neuperlach-Süd und Olympiazentrum werden die Mitarbeiter Banderolen an den Fahrrädern anbringen, kündigt Stefan Reinhold von der P & R GmbH an. Damit wird der Besitzer darauf hingewiesen, dass bald Arbeiter anrücken und die Räder entfernen werden. Vier Wochen werde man warten, sagt Reinhold, dann kommt der Abräum-Trupp. "Bei den Rädern, an denen die Banderolen noch hängen, kann man davon ausgehen, dass sie nicht mehr benutzt werden."

Die Fahrräder, die bei der Aktion mit den Bändchen aussortiert werden, kommen für sechs Monate ins Lager. Die Räder der Aufräumaktion am Sendlinger Tor hingegen sind so kaputt, dass sie nur noch drei Monate in der Gmunder Straße eingelagert werden. Trotzdem gibt es die Möglichkeit, sein Fahrrad wiederzuholen - wenn man glaubhaft nachweist, dass es einem auch gehört. Für diesen Fall lassen die Stadtmitarbeiter das aufgesägte Schloss am Fahrrad hängen. "So kann man einfach den Schlüssel mitbringen und schauen, ob er passt", erklärt Eduard Kessler vom Baureferat.

Seine Leute sind am Sendlinger Tor nach anfänglichem Zögern inzwischen in Fahrt gekommen: Im Sekundentakt schieben oder tragen sie ein Radl nach dem anderen zu Polizeihauptmeister Dittmar, der kommt kaum noch nach mit dem Notieren der Fahrraddaten. Im vergangenen Jahr habe man übrigens 2000 Räder eingesammelt, sagt Kessler.

Weil das alles ziemlich aufwendig ist, wollen Reinhold und seine Leute mit den Banderolen zunächst mal einen Testlauf starten, um Erfahrungen zu sammeln. Zudem soll sich zeigen, wie oft sich tatsächlich angebliche Besitzer melden, wie viel Personal man brauche und wie viel Fläche für die einzulagernden Fahrräder, sagt Reinhold: "Wir möchten exakte Daten sammeln, um den Aufwand abschätzen zu können." Bezahlt wird der Pilotversuch übrigens von der MVG.

Sollte sich das Vorgehen bewähren, soll es auf andere U-Bahnhöfe ausgeweitet und möglichst auch mehrmals im Jahr wiederholt werden. Möglich ist auch, dass das Baureferat Reinholds Radl-Abräumer beauftragt, städtische Plätze wie den Marienplatz oder den Stachus regelmäßig von herrenlosen Rädern zu befreien.

Denn die Sache mit den Schrotträdern und herrenlosen Fahrrädern ist nicht nur juristisch kompliziert, sondern auch noch von den Zuständigkeiten her verworren: Es gibt Radlständer vor allem an den innerstädtischen U-Bahnhöfen, die gehören der MVG. Die P & R GmbH wiederum betreibt zahlreiche Fahrradparkplätze an den Park & Ride-Anlagen im Umland, aber auch einzelne Anlagen wie etwa das neue Radlparkhaus am Pasinger Bahnhof oder die moderne Doppelstock-Abstellanlage am S-Bahnhof in Berg am Laim.

Für die Ständer auf vielen Plätzen in der Stadt ist wiederum das Baureferat zuständig. Und zu allem Überfluss betreibt die Deutsche Bahn an einigen ihrer Stationen auch noch eigene Abstellanlagen. Für welchen Ständer wer zuständig ist - das ist selbst für Kenner auf den ersten Blick oft nicht so einfach auszumachen.

Zudem müssen sich die Verantwortlichen nicht nur mit schrottreifen sowie herrenlosen Rädern herumschlagen; in der Definition der Juristen gibt es auch noch "widerrechtlich abgestellte" Fahrräder: also zum Beispiel an Geländer gekettete, die Zugänge zu Aufzügen oder Rampen versperren. Nicht selten schimpfen dann Eltern mit Kinderwagen, Rollstuhlfahrer oder ältere Menschen mit Rollatoren, dass sie nicht durchkommen.

Um das Problem in den Griff zu bekommen, hatte die MVG an den U-Bahnhöfen Obersendling und Milbertshofen vor etwa einem Jahr neue Hinweisschilder aufgehängt und mit Banderolen gedroht, die Räder zu entfernen, sollten sie weiterhin die Zugänge versperren. Zudem wurden in der Nähe zusätzliche Radlständer errichtet. Ob es nun die Drohungen waren oder das zusätzliche Abstellangebot - unterm Strich sei die Aktion erfolgreich gewesen, sagt MVG-Planungschef Gunnar Heipp. Die Situation habe sich "deutlich gebessert".

© SZ vom 15.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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