Fahrradkurier in München:Der Zeit davonradeln

Lesezeit: 3 min

Stefan Kerscher ist Fahrradkurier in München. (Foto: Stephan Rumpf)

Geschenke zum FC Bayern, Blutproben ins Labor, Unterlagen an den Steuerberater. Stefan Kerscher befördert all das blitzschnell durch die Stadt - und das auf dem Fahrrad. Wer ihn auf seiner Tour begleiten will, merkt schnell: Radlkurier ist ein Knochenjob.

Von Marco Völklein

Das Päckchen soll zum FC Bayern in die Säbener Straße gehen. Eine Flasche Wein als Gratulation zum Triple-Gewinn. An "Herrn Karl-Heinz Rummenigge", steht auf der Verpackung. Den Zusatz "persönlich" hat die Sprechstundenhilfe in der Arztpraxis an der Maximilianstraße noch hinzugefügt. Dass Stefan Kerscher das Päckchen dann aber so persönlich abgeben würde, hätte sich der Radlkurier auch nicht gedacht: Als er in der Säbener Straße ins Treppenhaus eilt, kommt ihm der Bayern-Boss direkt entgegen.

"Hallo, Herr Rummenigge", sagt Kerscher, selbst überrascht. "Ich habe da ein Päckchen für Sie." Und ehe er sich versieht, hat er ein Autogramm - schließlich muss der Empfänger die Zustellung quittieren. "Damit bin ich jetzt der King", sagt Kerscher, faltet den Zettel zusammen - und eilt weiter Richtung Solln. Zeit hat ein Radkurier wie Stefan Kerscher schließlich keine zu verschenken.

Seit fast eineinhalb Jahrzehnten ist der Mittdreißiger als Fahrradkurier für das Münchner Unternehmen Rapid unterwegs. Blut- oder Urinproben von einer Arztpraxis ins Labor schaffen, Unterlagen von einer kleinen Firma zum Steuerberater bringen, oder auch Schlüssel für Bäckereifilialen abliefern, weil ein Mitarbeiter erkrankt ist und ein anderer den Laden aufsperren muss - all das erledigt Kerscher mit seinem Rad und dem großen, roten Rucksack auf dem Rücken. In einem atemberaubenden Tempo. Und nicht immer ganz regelkonform.

Muss Kerscher zum Beispiel an einer großen Kreuzung links abbiegen, spart er sich den von der Stadt meist ausgewiesenen Radlweg, der ihn zunächst einmal geradeaus über die querende Straße führt und ihn dann dazu zwingt, dort zu warten und bei der nächsten Grünphase weiterzufahren. Stattdessen macht Kerscher mit seinem Rad einen großen Satz vom Radweg hinunter auf die Straße - und reiht sich in die von den Autos benutzte Linksabbiegerspur ein. Oder schlängelt sich am besten an diesen vorbei, um ganz vorne an der Ampel Aufstellung nehmen zu können. "Das spart an einigen Kreuzungen schon mal zwei oder drei Minuten", sagt Kerscher. Wie gesagt: Zeit hat ein Radkurier eben nicht zu verschenken. Geld aber auch nicht.

Rote Ampeln, sagt Kerscher, beachte er mittlerweile. Nicht nur, weil er auf seine Gesundheit achten muss. Sondern auch, weil "die Polizei mich schon mehrmals erwischt hat". Und das wurde eben teuer. Solche Verstöße könne er sich schlicht nicht mehr leisten. Zumal Kuriere wie Kerscher mit ihrem signalroten Rucksack und dem Firmensignet auf dem Rücken auch als "Botschafter" des Unternehmens fungieren. "Da muss man auch darauf achten, wie man draußen ankommt", sagt Kerscher, der seit ein paar Jahren auch Teilhaber von Rapid ist - und demnächst als Geschäftsführer zusätzliche Verantwortung übernimmt. Da verändert sich auch die Sicht auf einige Dinge.

Typologie der Lastenfahrräder
:Badewanne oder Flitzer

Manche sind ideal, um Bierkästen zu verstauen, andere unterstreichen den Individualismus: Bei Lastenfahrrädern ist es auch nicht mehr anders als bei Autos - sie sind ein Statussymbol und können viel über ihre Besitzer aussagen. Eine kleine Typologie.

Wobei Kerscher und seine Kollegen nicht immer unter Zeitdruck stehen. Etwa 30 Kuriere schlängeln sich Tag für Tag für Rapid durch die Münchner Straßen; dazu kommen noch sechs bis sieben Autokuriere, die größere Transporte übernehmen oder Fahrten ins Umland erledigen. Aber nur etwa jeder zweite Radkurier davon ist als "freier Kurier" unterwegs - steht also ständig per Funk oder Smartphone in Kontakt mit der Rapid-Zentrale, die in einem Hinterhof in Neuhausen untergebracht ist. Dort nehmen die Disponenten die Anrufe der Kunden entgegen und reichen die Aufträge dann an die Kuriere weiter. Für diese Kuriere ist Zeit wirklich Geld, denn viele ihrer Aufträge sind zeitkritisch. "Da gibt der Kunde vor, dass eine Sendung zum Beispiel innerhalb einer Stunde zugestellt sein muss", sagt Kerscher. Und der Fahrer muss losflitzen.

Der anderen Hälfte der Rapid-Radkuriere hat das Unternehmen dagegen feste Touren zugeteilt, die sie Tag für Tag aufs Neue abstrampeln. Vor allem Arztpraxen und Labore liegen auf diesen Strecken; auch Spezialfirmen für Zahntechnik nutzen diese Touren gern. Die Kuriere holen zu festgelegten Zeiten die Blut- oder Urinproben ab und bringen sie für die Analysen ins Labor. Steht danach eine weitere Probe an, die noch dringend analysiert werden muss, schicken die Disponenten aus der Zentrale einen der frei verfügbaren Kuriere vorbei. Das allerdings kostet extra.

Für den Transport der Flasche Wein aus der Maximilianstraße zum Trainingsgelände des FC Bayern zum Beispiel kassiert Kerscher knapp 15 Euro, inklusive ein paar Euro Trinkgeld. Im Durchschnitt verdient ein Fahrer etwa 250 Euro am Tag, wie Kerscher sagt, und legt dabei locker 100 oder gar 120 Kilometer zurück. Ein Knochenjob. Und vor allem nicht ganz ungefährlich.

Wer versucht, Kerscher auf einer seiner Touren zu folgen, merkt schnell: Der Mann muss nicht nur viel und kräftig strampeln können. Er muss auch stets hoch konzentriert fahren. Ein Seitenblick aufs Maximilianeum oder andere Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke? Ist kaum drin. Ein kurzer Schwatz auf dem Radweg? Kann gefährlich sein. Immer wieder muss Kerscher scharf abbremsen, weil ein Autofahrer aus einer Einfahrt rausschießt, ohne dabei auf den querenden Radverkehr zu achten. Oder weil jemand beim Rechtsabbiegen den Kurier auf dem Radweg übersieht. Wobei Kerscher, das muss gesagt sein, auch deutlich schneller unterwegs ist als der durchschnittliche Münchner Radler.

Radschnellwege, wie von den Rathaus-Grünen jetzt gefordert, hält Kerscher daher natürlich für eine gute Idee. Zumal die Stadt aus seiner Sicht noch viel tun könnte, um den Radverkehr zu fördern. Deutlich mehr und breitere Radwege, Ampelschaltungen, die auf die Bedürfnisse der Radler abgestimmt sind - das würde dem Verkehr in der Landeshauptstadt helfen, sagt der Profi-Radler. "Bis zur Radlhauptstadt ist es noch ein langer Weg."

© SZ vom 04.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: