EU-Wahl in München:"Europa betrifft jeden Bürger"

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Uneins im Detail, einig im Großen: Bernd Posselt (CSU) und Wolfgang Kreissl-Dörfler (FDP) wollen für München ins Brüssler Parlament.

J. Bielicki und B. Neff

Seit 1994 gehören Bernd Posselt (CSU) und Wolfgang Kreissl-Dörfler (SPD) dem Europaparlament an. Da sie auf den Listen ihrer Parteien gut platziert sind, haben beide gute Chancen, erneut den Sprung nach Europa zu schaffen.

Bernd Posselt (CSU) und Wolfgang Kreissl-Dörfler (SPD) wollen erneut den Sprung ins Europaparlament schaffen. (Foto: Foto: Robert Haas)

SZ: Die Wirtschaftskrise macht auch vor reichen Gegenden Europas nicht Halt, etwa Bayern und München. Was können Europa-Parlamentarier tun, damit München die Krise gut übersteht?

Bernd Posselt: Ohne den Euro, der uns Stabilität gibt, ohne den gemeinsamen Binnenmarkt hätten wir noch viel größere Probleme. Was wir jetzt brauchen, sind zwei Dinge: eine europäische Finanzaufsicht, die besser funktioniert als die deutsche, und eine gemeinsame Vertretung europäischer Interessen in der Welt, wenn es darum geht, eine neue Weltfinanzordnung zu errichten, die nicht dem Diktat der Amerikaner unterliegt.

Wolfgang Kreissl-Dörfler: Von den Konjunkturprogrammen, die nun auf europäischer Ebene aufgelegt werden, profitiert auch der bayerische Raum und München. Wir haben schon seit Jahren bessere Kontrollen des Finanzsystems gefordert. Ich freue mich, dass die Konservativen nun auf diesen Kurs einschwenken, die das früher immer als Teufelszeug abgelehnt haben. Ich habe im Jahre 2000 an einer Broschüre mitgewirkt, die den Titel trug "Regulieren statt spekulieren". Jetzt brauchen wir klare Vorgaben auf europäischer Ebene, damit wir in ein paar Jahren nicht wieder das gleiche Desaster erleben. Um den Euro beneiden uns jetzt sogar die Briten.

SZ: Wenn es stimmt, dass ein großes, starkes Europa die Krise besser bewältigen kann, müsste es doch gut sein, neue Mitgliedsstaaten aufzunehmen.

Kreissl-Dörfler: Wir sind dazu bereit, müssen aber zunächst sicherstellen, dass Europa in seiner jetzigen Form mit 27 Mitgliedsstaaten stabilisiert wird. Die Verhandlungen mit Kroatien und mit der Türkei laufen, aber wichtiger ist es derzeit, die neu hinzugekommenen Staaten zu stützen. Ich bin nach wie vor für den Beitritt der Türkei, aber zuerst muss die Türkei ihre Hausaufgaben machen.

Posselt: In meinen Augen ist die Türkei nicht Großeuropa, sondern Kleinasien, wie es ein österreichischer Grüner formuliert hat. Wir müssen den Menschen eine Antwort auf die Frage nach den Grenzen Europas geben. Ich sehe die Türkei als einen ganz wichtigen Nachbarn, lehne aber eine Vollmitgliedschaft in der EU ab. Das würde die EU überdehnen und die Türkei überfordern.

SZ: Wie erklären Sie das den Millionen Türken, die hier leben, dass sie nicht als Europäer dazugehören sollen?

Posselt: Wer hier lebt, sich integriert, ist doch schon Europäer. In Frankreich zum Beispiel ist die Mehrheit der Zuwanderer aus Nordafrika, aber trotzdem nehmen wir Nordafrika nicht in die EU auf.

Kreissl-Dörfler: Wenn Sie solche Vergleiche bringen, können Sie auch noch Brasilien hernehmen, die haben die schöneren Frauen und die besseren Fußballer, die sowieso schon alle da sind! Die Türkei hat einen Antrag gestellt, die EU hat zugestimmt, das sind die Fakten. Bei der CSU weiß man nicht mehr, was sie wirklich will, und Herr Seehofer wechselt seine Positionen stündlich.

Posselt: Diese Behauptung halte ich für besonders absurd. Wir sind die einzige Partei, die fast einstimmig das Nein gegen den EU-Beitritt der Türkei ins Programm geschrieben hat - bis auf eine Delegierte, die nicht mehr bei der CSU ist...

SZ: Sagen Sie doch den Namen, Gabriele Pauli...

Kreissl-Dörfler: Von Ihnen "Türken-Gabi" genannt, da ist es mir schlecht geworden. Herr Posselt, wir verstehen uns in vielen Dingen sehr gut, aber das hätten Sie nicht sagen sollen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie meine Schwester in den sechziger Jahren Ami-Braut genannt wurde, weil sie einen amerikanischen Freund hatte.

Posselt: Ich hätte kein Problem, wenn mich jemand Kroaten-Bernd nennen würde, weil ich mich für den Beitritt Kroatiens massiv einsetze. Nicht einmal mit Türken-Bernd hätte ich ein Problem, denn ich bin ja für eine enge Zusammenarbeit mit der Türkei.

SZ: Könnte man die Bürger über solche Fragen direkt entscheiden lassen?

Kreissl-Dörfler: In Deutschland wäre dafür eine Änderung des Grundgesetzes nötig. Den kommunalen Bürgerentscheid mussten wir in harten Kämpfen gegen die CSU durchsetzen. Beim Transrapid lehnte ihn die CSU ab, jetzt, kurz vor der Europawahl, hätte es die CSU wieder gern. Das ist mir zu fadenscheinig. Es gibt allerdings, gerade auch auf europäischer Ebene, viele Fragen, die sich mit einem simplen Ja/Nein nicht beantworten lassen.

Posselt: In Bayern gibt es den Volksentscheid von Anfang an in der Verfassung. Auf nationaler und europäischer Ebene ziehe ich aber die repräsentative Demokratie vor, auch wenn etwa die Frage des EU-Beitritts der Türkei relativ leicht durch ein Referendum zu klären wäre. Mit Wahlkreisen, die es derzeit bei Europawahlen noch nicht gibt, könnten wir die Gewählten näher an die Wähler heranbringen. Ich denke, es wäre in unser aller Interesse, wenn mindestens die Hälfte der Kandidaten, wie beim Bundestag, über Wahlkreise vergeben würden.

SZ: Den Münchnern erscheinen Brüssel und Straßburg ziemlich weit entfernt. Wie erklären Sie den Münchnern, dass es wichtig ist, zur Wahl zu gehen?

Kreissl-Dörfler: Das Problem ist, dass alles, was wir im EU-Parlament beschließen, in nationales Recht umgesetzt werden muss und so mit jahrelanger Verspätung hier ankommt. Und dann gibt es noch den Rat und die Kommission. Diesmal allerdings geht es um eine Richtungswahl: Was für ein Europa wollen wir? Ein stärker sozial orientiertes oder eines, in dem der Einzelne wenig zählt? Jetzt können die Münchner Bürger entscheiden, ob im europäischen Parlament ihre Interessen oder die einer bestimmten Klientel vertreten werden.

Posselt: Wir müssen den Bürgern verdeutlichen, wie wichtig die Arbeit der EU-Parlamentarier ist. Dort werden mehr Gesetze verabschiedet als in Bundes- und Landtag zusammen - und alle betreffen jeden Einzelnen. Das Parlament ist der natürliche Feind der Bürokratie, deshalb muss es gestärkt werden. Es ist in der Tat eine Richtungswahl, nur trifft Ihre Vereinfachung nicht zu. Sie bemühen sich, neoliberal und christlich-sozial in einen Topf zu werfen, aber das geht nicht. Mir ist sowohl der lupenreine Kapitalismus zuwider, den ein Tony Blair betrieben hat, als auch ein marxistischer Sozialismus. Ich bin für die Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft.

SZ: Die Stadt blickt oft sorgenvoll nach Europa, etwa wenn dort das deutsche Sparkassensystem oder die Stadtwerke in Frage gestellt werden.

Kreissl-Dörfler: Das Recht der Kommunen, ihren Personennahverkehr selbst zu organisieren, ist auf unser Drängen hin verankert worden. Es gibt aber, zum Beispiel von den Privatbanken, Angriffe auf die Sparkassen, da müssen wir uns schützend davor stellen. Dass die Sparkasse an der Ecke für die Rentnerin da ist, die kein Online-Banking machen kann, gehört ebenso zur sozialen Daseinvorsorge ...

Posselt: ... für die wir uns parteiübergreifend einsetzen. Auch wir wollen starke Kommunen. Allerdings war die Grenze zwischen privat und staatlich oft fließend. Es muss klar definiert werden, was kommunale Daseinvorsorge ist. Eine mit Steuergeld subventionierte Stadtgärtnerei sollte zum Beispiel privaten Gärtnereien keine Konkurrenz machen.

SZ: Was die Münchner derzeit besonders mit Europa in Verbindung bringen, ist die Umweltzone, die wegen der EU-Richtwerte zum Feinstaub nötig wurde.

Posselt: Die Umweltzone ist nur eine der Möglichkeiten, dem Problem des Feinstaubs beizukommen.

SZ: Für die Stadt fast die einzige, denn München kann ja die Autobauer nicht zwingen, schadstoffarme Motoren zu entwickeln. Das muss von Brüssel kommen.

Posselt: Über unsere Vorgaben stöhnt und jammert die Autoindustrie bereits.

Kreissl-Dörfler: Bei mir sind schon alle großen Autofirmen vorstellig geworden, um unsere Entscheidungen zu beeinflussen. An strengeren Richtwerten führt aber kein Weg vorbei. Wir haben einen Anstieg bei Allergien, immer mehr Kinder leiden unter Asthma.

Posselt: Das EU-Parlament hat sich in diesen Fragen als Gesetzgeber bewährt, etwa beim CO2-Paket oder dem Emissionshandel. Und wenn uns etwas nicht passt, lassen wir die Vorschläge der Kommission im Parlament scheitern. Gerade haben wir eine ausgesprochen unsoziale Arbeitszeitrichtlinie abgelehnt. Und die geplante Hafenrichtlinie haben wir ebenfalls versenkt. Die hätte dazu geführt, dass ausländische Gaskonzerne ...

Kreissl-Dörfler: ... den Hamburger Hafen hätten kaufen können.

SZ: Es kursiert das Vorurteil, EU-Parlamentarier seien hochbezahlt, und nun gab es sogar den Plan, ihre durch die Finanzkrise angeschlagene Pensionskasse mit Steuergeld aufzustocken ...

Posselt: ... was wir mit großer Mehrheit ...

Kreissl-Dörfler: ... abgelehnt haben. Mit absoluter großer Mehrheit. Es ist ja so, dass eine Fraktion nie allein entscheiden kann, es muss immer fraktionsübergreifend laufen.

Posselt: Und was den Verdienst betrifft, bekommt ein Europa-Parlamentarier exakt so viel wie ein Bundestagsabgeordneter, nur arbeitet er mit doppelt so vielen Sitzungswochen noch mehr. Ich komme oft auf eine 100-Stunden-Woche.

Kreissl-Dörfler: Ich habe als Entwicklungshelfer für wirklich wenig Geld gearbeitet, aber für die Arbeit, die ich jetzt leiste, ist die Bezahlung angemessen. Sie bringt auch eine gewisse Unabhängigkeit, die man sich bewahren muss. Ich habe keine Nebenjobs, habe keine Kanzleien am Laufen wie ein Herr Gauweiler oder ein Herr Westerwelle oder auch ein paar aus meiner Partei. Was wir verdienen, kann nachgelesen werden, wir sind eines der transparentesten Parlamente und oft fleißiger als der Bundestag ...

Posselt: ... und keinesfalls qualitativ schlechter.

SZ: Um die Arbeit dort fortsetzen zu können, muss aber die CSU am 7. Juni noch eine bundesweite Hürde nehmen.

Posselt: Das ist keine Hürde, denn ich bin sehr zuversichtlich, dass uns die Wähler vertrauen und die CSU die fünf Prozent bundesweit packt.

SZ: Für die SPD hat es 2004 in München nur zu Platz drei gelangt, hinter den Grünen. Was ist diesmal Ihr Ziel?

Kreissl-Dörfler: In den Umfragen liegen wir derzeit bundesweit bei 28 Prozent, weitaus mehr als damals, als uns die Hartz-IV-Debatte doch sehr geschadet hat. Jetzt merke ich ein großes Interesse an der Wahl, die Stimmung ist anders und besser.

© SZ vom 30.05.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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