Essen in Schulen:Die Quadratur des Speisens

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Bio und lecker, aber natürlich auch schnell und günstig: All das soll Schulverpflegung leisten. Das klappt oft nicht - und viele Mensen bleiben leer

Von Christina Hertel und Melanie Staudinger, München

Döner scharf oder mit Joghurtsoße, Pommes mit Ketchup, panierte Hähnchenflügel, oder doch lieber eine belegte Semmel? Für Ferdinand ist es ein enorm großer Vorteil, in eine Innenstadtschule zu gehen - da ist die Essensauswahl in unmittelbarer Nähe so reichhaltig. Beinahe jeden Tag nach Schluss des Vormittagsunterrichts zieht der Zehntklässler mit seinen Kumpels los, dabei könnten sie auch in die Mensa ihres Gymnasiums gehen. Wann er dort das letzte Mal gespeist habe? Keine Ahnung. "Schmeckt nicht so toll", sagt Ferdinand, der in Wahrheit anders heißt. Seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen, seine Eltern sollen nicht wissen, wie viel Ungesundes er täglich in sich hineinstopft.

Ferdinand ist mit seiner Abneigung gegen die Mensa nicht allein, an vielen Schulen in München ist die Situation ähnlich. Dabei hat die Stadt viel Geld für die Schulverpflegung ausgegeben, neue Speisesäle und sogar komplette High-Tech-Küchen in die Bildungseinrichtungen gebaut. Manche Schulen entschieden sich für einen Pächter, der in der Schule frisch kocht. Andere lassen einen Caterer mit fertigen Speisen kommen. Doch oft bleiben die Plätze leer. Viele Lehrer und Schüler greifen noch immer auf Leberkässemmel oder Pizzabaguette zurück, anstatt in der schuleigenen Kantine zu essen.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Einige bemängeln die Qualität der Speisen, anderen gefällt die Auswahl oder die Atmosphäre nicht. Dabei gilt: Umso älter und damit selbständiger die Schüler werden, desto seltener finden sie den Weg in die Mensa. Vom oft vorhergesagten Ende der Stullenmentalität ist an der Mehrzahl der Münchner Schulen nur wenig zu spüren.

Besonders schlecht steht es offenbar um die Ernährungsgewohnheiten von Berufsschülern und Gymnasiasten. An den Gymnasien meiden acht von zehn Schülern die Mensa, an den Berufsschulen der Stadt holen sich lediglich 15 Prozent ein warmes Mittagessen an der Schule. An den Realschulen verzichtet mehr als die Hälfte der Schüler auf eine warme Mahlzeit und greift lieber auf Snacks zurück. Das hat die Schulklimabefragung im Jahr 2014 an städtischen Schulen ergeben.

Dass das Essen in der Schule gesünder wird und dass am Ende der Pause die Mülleimer nicht voller Tetrapaks und Plastiktüten sind, darum kümmert sich sogar ein eigener Arbeitskreis im Referat für Bildung und Sport. "Gesunde Schulverpflegung ohne Abfall" heißt der und existiert mittlerweile seit 20 Jahren. Der Arbeitskreis hat verschiedene Projekte ins Leben gerufen, die das Bewusstsein von Kindern und Jugendlichen schärfen sollen. Mit dabei: Ein Lernparcours, bei dem Schüler Rätsel zum Thema Umwelt und Ernährung lösen sollen. Zum Beispiel herausfinden, wie viel Kerosin für ein Kilo Erdbeeren aus dem Süden benötigt wird oder wie man einen möglichst umweltfreundlichen Obstsalat zubereitet. Aber was hat der Arbeitskreis erreicht? Franz Hammerl-Pfister, der ihn 1996 gründete, sagt: "Das hängt natürlich vom Engagement der einzelnen Schulen ab." Und das sei eben schwer zu kontrollieren. Für die Zukunft wünsche er sich, dass an den Schulen Fachkräfte arbeiten, die Speisepläne erstellen und ein Auge auf das Essen haben.

Christiane Klimsa vom Referat für Bildung und Sport nennt das, was sie eigentlich gerne beim Schulessen erreichen würde, eine "Quadratur des Kreises". Am besten Bio, lecker und gleichzeitig möglichst billig. Sie sagt, die Aktionen des Arbeitskreises seien für die Kinder zum Schuljahresbeginn eine schöne Abwechslung gewesen. "Aber das ist mir zu wenig." Für die Zukunft will sie, dass gesunde Ernährung zum Alltag der Schüler dazugehört. Denn zu tun gibt es noch einiges. Dieses Schuljahr hat das Bildungsreferat die Schulen in München dazu aufgefordert, die Angebots- und Preislisten ihrer Pausenverkäufe einzuschicken. Bei etwa der Hälfte, schätzt Klimsa, besteht noch Nachholbedarf - zu viele Süßigkeiten, zu viele pappige Getränke. "Wir wollen den Schulen aber auch nichts aufzwingen." Gleichzeitig beobachtet Klimsa, dass sich bereits vieles verändert hat. Da, wo bei Klassenfahrten früher Schokoriegel und Bonbons im Rucksack steckten, finden sich heute oft Brotzeitboxen voller Kohlrabi und Karottensticks. In den Familien sei das Bewusstsein für gesunde Ernährung größer geworden und Kinder würden auch Gemüse essen, wenn man es ansprechend präsentiere.

Neben Qualität und Präsentation der Speisen spielt der Preis eine große Rolle. Eine Statistik, wie viel Eltern für das Mittagessen ihrer Schulkinder bezahlen müssen, existiert nicht. Das Bildungsreferat teilt lediglich mit, dass man auf sozialverträgliche Preise achte. Mit bis zu fünf Euro pro Menü müssen Familien aber rechnen. Das kann sich nicht jeder leisten.

Dabei muss frischgekochtes Bioessen nicht teuer sein, sagt Stephanie Weigel. Sie leitet das Projekt "Bio für Kinder", das es seit mittlerweile zehn Jahren gibt. Weigel sagt: 35 Cent pro Mahlzeit kostet Biokost mehr als konventionelles Essen. Vorausgesetzt, der Caterer oder Pächter weiß, wie er kalkulieren muss. Die Schulverpflegung wird oft an externe Dienstleister abgegeben, die in erster Linie Geld verdienen wollen. Die Folge der Gewinnoptimierung in der Mensa seien kleinere, oftmals lieblos angerichtete Portionen, schlechtere Qualität der Nahrungsmittel, weniger Auswahl für die Schüler - und damit weniger Kunden, sagt Weigel. "Wir haben bei unseren Projekten gesehen, dass manche Gastronomen bis zu 15 Prozent der Lebensmittel wegwerfen mussten, nur weil sie falsch portioniert haben." Wer den Überschuss vermeidet, spart Geld - und kann günstigere Preise anbieten.

"Wenn die Portionen größer wären und es coolere Sachen gäbe, würde ich schon mal in der Mensa essen", sagt der Zehntklässler Ferdinand. Jeden Tag allerdings würde er das keinesfalls machen. "Es ist viel zu schön, auch mal aus der Schule raus in die Stadt zu gehen", erklärt er. Gesunde Ernährung hin oder her.

© SZ vom 14.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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