Ermittlungen nach Babytod:"Es ist alles wahnsinnig absurd"

Lesezeit: 3 min

Antonio H. soll sein Kind umgebracht haben. (Foto: Liesa Johannssen/photothek.net)

Ein 32-Jähriger sitzt seit Monaten in Haft, weil er sein Baby getötet haben soll. Zu Unrecht, sagt sein Anwalt. Auch die Mutter des Kindes glaubt ihrem Mann.

Von Thomas Schmidt

Franziska stirbt um 4.04 Uhr, keine sechs Wochen nach ihrer Geburt. Sie stirbt in den Armen ihres Vaters, nachdem die Ärzte der Haunerschen Kinderklinik die künstliche Beatmung abstellen, weil sie einfach nichts mehr tun können für das kleine Baby. Franziska schläft ein - und wacht nie wieder auf.

Das Mädchen ist noch keine zweieinhalb Stunden tot, als Polizeibeamte ins Krankenhaus kommen und die Eltern getrennt voneinander befragen. Warum musste Franziska sterben, fragen sich die Ermittler. Rasch glauben sie, die Antwort gefunden zu haben. Zwei Tage nach dem Tod des Babys nehmen sie den Vater, einen 32-jährigen Italiener aus München, fest. Er soll, so der Verdacht, seine Tochter totgeschüttelt haben. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet: Mord.

Kindesmissbrauch
:Zahl der Missbrauchsopfer in Deutschland gesunken

Angehörige reagieren heute sensibler und holen schneller Hilfe als noch vor zehn Jahren. Doch gleichzeitig wird im Internet immer mehr kinderpornografisches Material verbreitet.

Von Roland Preuß

Seit fünf Monaten sitzt der Vater nun schon ohne Anklage in Untersuchungshaft, seine Tochter starb im vergangenen Oktober. Sein Verteidiger Peter J. Guttmann besteht darauf, den Namen seines Mandaten nicht zu nennen, "Antonio H." solle man schreiben. Auch die kleine Franziska hieß in Wahrheit anders. Der Rechtsanwalt spricht von einem "Justizirrtum", einer "Tragödie". Er wolle den Fall öffentlichen machen, um einen "Hilfeschrei" auszusenden. Die Staatsanwaltschaft hingegen geht davon aus, dass Antonio H. seine Tochter heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen ermordet hat.

An dem Wochenende, als es geschah, soll Franziska mehr geschrien haben als üblich, berichtet der Anwalt. Die Mutter habe das Kind gestillt, anschließend sei sie ins Bad gegangen, während Antonio H. seine Tochter in den Armen wog. Plötzlich sei das Kind "wie ein Stofftier zusammengebrochen" und habe aufgehört zu atmen, so die Aussage des Vaters.

Verängstigt habe er das Kleinkind auf den Balkon getragen, raus an die frische Luft, und habe Franziska "geschüttelt", damit sie wieder zu Bewusstsein kommt. Seine Ehefrau sei aus dem Bad zurückgekehrt und habe den Notruf alarmiert. Gemeinsam hätten sie dann versucht, ihr Kind wiederzubeleben, pusteten Luft in die kleine Lunge. Franziska lebte, als Sanitäter sie ins Krankenhaus brachten. 13 Stunden später war sie tot.

Antonio H. ist nicht vorbestraft. Seine Ehefrau und sein Anwalt beteuern, er sei ein liebenswürdiger, geduldiger Mensch, der nie zu Gewalt neige. "Er ist die Ruhe selbst", sagt seine Frau. Der 32-Jährige spricht kaum deutsch. Als die Polizei ihn ein zweites Mal vernimmt, dieses Mal auf der Wache, stellt sie ihm zwar eine Dolmetscherin zur Seite, befragt ihn aber vier Stunden lang ohne Rechtsanwalt. "Nicht hinnehmbar", wird sein Verteidiger später kritisieren.

Die Beamten hätten seinem Mandaten falsche Vorhaltungen gemacht, sagt Guttmann. Sie hätten behauptet, sie wüssten, dass das Kind zu Tode geschüttelt worden sei, dabei habe es zu diesem Zeitpunkt nur einen Verdacht gegeben. "Geben Sie es doch zu", hätten sie H. stundenlang bedrängt. So etwas könne passieren, man habe dafür Verständnis. Irgendwann, weit nach 23 Uhr, habe er zugegeben, Franziska "geschüttelt" zu haben. Die Polizisten hätten sofort "wie eine Bulldogge zugebissen", sagt Guttmann.

Hat Franziska aufgehört zu atmen, weil sie geschüttelt wurde? Oder wurde sie geschüttelt, weil sie aufhörte zu atmen? Der Rechtsanwalt sagt: "Wir wissen nicht, was die Ursache war. Aber kennen wir die Ursache für den plötzlichen Kindstod?" Die Rechtsmediziner sagen: Tod durch Schütteltrauma.

Die Staatsanwaltschaft sagt: Keine fahrlässige Tötung, kein plötzlicher Kontrollverlust, sondern heimtückischer Mord. Heimtückisch deshalb, weil der Vater es "ausgenutzt" habe, dass seine Frau kurz das Zimmer verließ. Es sei "besonders verwerflich und geradezu verachtenswert", wenn ein Vater sein Kind tötet, nur damit es "endlich aufhört zu schreien". Dieser Verdacht stehe nun im Raum.

Franziska sei ihr Wunschkind gewesen, sagt Antonio H.s Ehefrau. Die 30-Jährige presst die Lippen zusammen, versucht, die Tränen zurückzuhalten. Es gelingt ihr nur fast. "Er ist nicht Schuld daran, da bin ich mir ganz sicher", sagt sie mit zitternder Stimme. "Das alles ist wahnsinnig absurd."

Neben ihr sitzt Rechtsanwalt Guttmann, er sagt, er wolle ein Gegengutachten in Auftrag geben, gegen die Expertise der Rechtsmedizin. Aber das kann sich die Familie eigentlich nicht leisten. Sein Mandant hätte nie ohne einen Anwalt verhört werden dürfen, erst recht nicht, weil er kaum Deutsch spreche. "Schütteln, schaukeln, wiegen", vermeintlich kleine Unterschiede könnten am Ende entscheidend sein.

Der Schlussbericht der Kriminalpolizei soll kommende Woche fertig sein. Dann will die Staatsanwaltschaft ihre Anklageschrift erstellen.

© SZ vom 07.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKindesmissbrauch
:Wann hört es auf, harmlos zu sein?

Wie können Eltern ihre Kinder dafür sensibilisieren, wann eine Berührung Grenzen überschreitet und wann sie in Ordnung ist - ohne ihnen Angst zu machen? Die Erziehungswissenschaftlerin Ulli Freund gibt Tipps.

Interview von Helena Ott

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: