Erinnerung an NS-Opfer:Stolpersteine werden zum Politikum

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Bislang dürfen die Stolpersteine in München nur auf privatem Grund verlegt werden. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Charlotte Knobloch ist strikt dagegen, die politischen Parteien sind unterschiedlicher Meinung: Die Stolpersteine, mit denen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert werden soll, erregen die Gemüter in München. Auch zehn Jahre nach ihrem Verbot bleibt die Kontroverse aktuell.

Von Melanie Staudinger

In Köln, Berlin oder Hamburg erinnern sogenannte Stolpersteine an die Opfer des Nationalsozialismus. Vor deren ehemaligen Wohnhäusern sind kleine quadratische Messingplatten in den Boden eingelassen - mit Namen, Geburts- und Todestag. Christof Eberstadt hätte einen solchen Stolperstein gerne auch für seine Urgroßmutter Hermine Eberstadt, die am 25.Dezember 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt starb. Passanten sollen sich an seine Uroma erinnern, wenn sie in der Heßstraße unterwegs sind, wo sie gelebt hatte, bevor die Nationalsozialisten sie deportierten. "Ich will, dass die Münchner auf dem Stolperstein meiner Urgroßmutter herumtreten", sagt Christof Eberstadt.

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, sieht die Sache anders. Sie hat das Nazi-Regime miterlebt. Die Bilder von jüdischen Menschen, auf die eingetreten wurde, die mit Stiefeltritten in die Transporter getrieben wurden, sind ihr täglich in der Erinnerung präsent. "Für mich ist der Gedanke unerträglich, dass diese Menschen und die Erinnerung an sie erneut mit Füßen getreten wird", sagt sie. Ein Gedenken auf dem Boden sei für sie "kein würdiges Gedenken".

Die Meinungen gehen auseinander

Sind Stolpersteine also eine berührende Art der Erinnerung oder stellen sie eine nachträgliche Verunglimpfung der Opfer dar? Mit dieser Kontroverse beschäftigen sich derzeit wieder die politischen Gremien in München. Fast zehn Jahre ist es her, dass der Stadtrat ein Stolperstein-Verbot beschlossen hat. Nur auf Privatgrund sind die Messingplatten erlaubt. Knapp 30 sind bisher verlegt worden, die anderen gestifteten Steine warten noch darauf.

Die Oberbürgermeisterkandidaten und ihre Parteien sind unterschiedlicher Meinung. "Stolpersteine bergen die Gefahr, dass das wichtige Gedenken wörtlich mit Füßen getreten werden kann", sagt Josef Schmid, der für die CSU den OB-Posten holen will. Unterstützt wird er von Stadtrat Marian Offman, der Angehörige im Holocaust verloren hat. "Wir haben nicht das Recht zu entscheiden, ob der Name unserer Vorfahren in die Straße eingraviert wird oder nicht", sagt er. Für die CSU gibt es würdigere Gedenkorte in der Stadt, etwa den Gang der Erinnerung im Jüdischen Zentrum. Mehr als 300 000 Besucher haben diesen bisher besichtigt, etwa 4500 Namen von getöteten Münchner Juden sind dort veröffentlicht.

Eindeutiges Ergebnis

Die SPD orientiert sich wie Oberbürgermeister Christian Ude bisher am Standpunkt der Israelitischen Kultusgemeinde. Einer neuen gesellschaftlichen Diskussion werde man sich aber nicht verschließen, sagt Parteichef Hans-Ulrich Pfaffmann. Wenn sich die Meinung der betroffenen Verbände mehrheitlich ändere, werde auch die SPD ihre Haltung revidieren. Sabine Nallinger, OB-Kandidatin der Grünen, hingegen sagt: "Wir müssen auch den Willen der Familien respektieren, die Stolpersteine für ihre Angehörigen fordern." Die Grünen fordern für Herbst ein Stadtrats-Hearing mit Vertretern der Opfergruppen und Nachfahren. Ihren Antrag stützen sie auf die Resultate des Bürgerbeteiligungsprojekts "München mitdenken", bei dem die Stolpersteine auf Platz zwei der eingereichten Ideen kamen.

Auch eine Umfrage der Initiative Stolpersteine für München hat ein eindeutiges, wenn auch nicht repräsentatives Ergebnis gebracht. Nach Angaben des Vorsitzenden Terry Swartzberg votierten 93 Prozent der 453 teilnehmenden Münchner für die Stolpersteine. Swartzberg wirbt in den Bezirksausschüssen für die Stolpersteine. Die Stadtteilvertretungen in Neuhausen-Nymphenburg, Schwabing-West, Schwanthalerhöhe, Schwabing-Freimann und Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt haben sich für die Gedenkplatten ausgesprochen, letztlich entscheidet aber der Stadtrat. Swartzberg zufolge ist auch die liberale jüdische Gemeinde Beth Shalom der Initiative beigetreten. "Wie aus den jüngsten Ereignissen zu ersehen ist, geht die Unterstützung der Stolpersteine quer durch die ganze Stadt", sagt er.

Christof Eberstadt hofft auf ein Einlenken. Ihm gehe es nicht darum, Menschen ein schlechtes Gewissen einzureden. Sie sollen einfach einen Moment seiner Urgroßmutter gedenken.

© SZ vom 05.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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